Mehr als 130 Tote in einer Region, offenbar wegen einer Atemwegskrankheit: Die mysteriöse „Krankheit X“ im Kongo weckt Erinnerungen an die Anfänge der Corona-Pandemie. Steht die Menschheit wieder am Scheideweg? Ein chronologischer Überblick.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Corona 2019 in China – „Krankheit X“ 204 im Kongo: Es ist wie ein Déjà-vu. Man könnte glauben, das gegenwärtige Ereignis früher schon einmal erlebt zu haben. Die Art und Weise, wie beide Krankheitserreger in die Welt gekommen sind, wie nationale und internationale Organisationen und Gesundheitsexperten darauf reagieren, wie die Weltöffentlichkeit darüber informiert wird: All das offenbart frappierende, besorgniserregende und unheimliche Parallelen zwischen den Krankheiten.

 

Die Genese beider Erreger und des offiziellen Umgangs damit gleicht einem Wissenschaftskrimi. Nur, dass dieser in der Realität stattfindet und keine Fiktion ist. Ein chronologischer Überblick:

2015

Die World Health Organization (WHO) in Genf sucht nach globalen Strategie, um schnell und effizient auf einen sich erst regional und dann global ausbreitenden unbekannten Krankheitserreger zu reagieren. Die Strategie wird „WHO R&D Blueprint for Epidemics“ getauft.

Anfang 2018

Die WHO definiert „Disease X“ (deutsch „Krankheit X“) als Platzhaltername für zukünftig etwaig auftretende Infektionskrankheiten, für die keine spezifischen Vorkehrungen getroffen werden können. Die Gründe: Es ist noch nicht bekannt, wie sich solche noch unbekannten Krankheitserreger verhalten werden und wie die Krankheiten aussehen werden, die sie hervorrufen.

Die WHO definiert „Disease X“ („Krankheit X“) Foto: Imago/SOPA Images

November 2019

Die WHO ruft den „Global Pathogen Prioritization effort“ – auf deutsch: Globale Bemühungen zur Priorisierung von Krankheitserregern – ins Leben. Aufgrund der Erfahrungen mit SARS-CoV-2 will sie ein „Concept of Pathogen Prioritization“ – also ein Konzept der Priorisierung von Krankheitserregern - erstellen.

November 2019

In China muss es nach nachträglichen Analysen Fälle einer mysteriösen Lungenerkrankung geben, die später den Namen Covid-19 erhalten wird.

Anfang Dezember 2019

Erste offiziell bestätigte Infektionen werden in der chiensischen Millionenmetropole Wuhan erfasst, als eine „Lungenkrankheit unbekannter Genese“ in Erscheinung tritt.

Erste offiziell bestätigte Infektionen werden in der Metropole Wuhan erfasst. Foto: CHINATOPIX/AP/dpa

31. Dezember 2019

Die Weltöffentlichkeit erfährt erstmals von einer „viralen Lungenkrankheit unbekannter Ursache“, als die chinesischen Behörden die Weltgesundheitsorganisation WHO offiziell informieren.

Anfang Januar 2020

WHO- Experten identifizieren das Virus SARS-CoV-2 als Auslöser der Infektionskrankheit Covid-19. SARS-CoV-2 ist die Abkürzung für englisch „Severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2“ – also Schweres-akutes-Atemwegssyndrom-Coronavirus Typ 2. SARS-CoV-2 ist ein Betacorona-Virus, das nach dem erstmaligen Nachweis zunächst auch als neuartiges Coronavirus oder nur als Coronavirus bezeichnet wird.

3D-Darstellung des Betacoronavirus SARS-CoV-2. Foto: Imago/Zoonar

30. Januar 2020

Die WHO ruft angesichts der Ausbreitung und schnellen Zunahme der Infektionen mit dem Corona-Virus 2019-nCoV eine „gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite“ aus.

Die WHO ruft eine „gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite“ aus. Foto: Imago/Panthermedia

11. Februar 2020

Die WHO schlägt den Namen Covid-19 für die neu aufgetretene Infektionskrankheit vor.

Januar 2020

Die neue Virus-Erkrankung wird in China zur Epidemie erklärt.

11. März 2020

Die WHO klassifiziert das Auftreten der Erkrankung auf Grund der weltweiten Ausbreitung als Pandemie.

Die WHO erklärt den Ausbruch von SARS-CoV-2 zur Pandemie. Foto: CTK/Uhlíø Patrik/dpa

Dezember 2023

Die Welt ist nach wie vor nur unzureichend auf mögliche neue Gesundheitskrisen oder Pandemien vorbereitet. Zu diesem Schluss kommt die unabhängige Beobachtungsstelle Gesundheits-Krisenvorsorge (Global Preparedness Monitoring Board, GPMB) in ihrem Bericht „A Fragile State of Preparedness: 2023 Report on the State of the World’s Preparedness“.

Ist die Welt auf künftige Pandemien vorbereitet? Nein, meinen Mediziner. Foto: Imago/Dreamstime

Juni 2024

Die WHO veröffentlicht das „Pathogens Prioritization: A Scientific framework for Epidemic and pandemic research prepardness“ – also Priorisierung von Krankheitserregern: Ein wissenschaftlicher Rahmen für Epidemien und Pandemien zur Forschungsvorbereitung.

Die WHO veröffentlicht ein Strategiekonzept für den Umgang mit Krankheitserregern. Foto: Imago/Depositphotos

5. November 2024

Die WHO stellt im Rahmen des R&D Blueprint for Epidemics“ im medizinischen Fachblatt „eBioMedicine“ ihre „Study lists top 17 endemic pathogens“ mit „Pathogens Prioritization“ offiziell Fachwelt und der Weltöffentlichkeit vor. Es ist die erste offizielle WHO- Liste der gefährlichsten Krankheitserreger – wie das Influenza-Virus oder das Respiratorisches-Synzytial-Virus (RSV) –, gegen die dringend Impfstoffe entwickelt werden sollten.

24. Oktober 2024

Der erste Fall einer unbekannten tödlichen Erkrankung wird in der Panzi-Gesundheitszone (Provinz Kwango der Demokratischen Republik Kongo in Zentralafrika) verzeichnet. Die Patienten leiden an grippeähnlichen Symptomen wie Fieber, Schnupfen, Kopf- und Gliederschmerzen sowie Atembeschwerden.

Der erste Fall der unbekannten tödlichen Erkrankung wird im Kongo verzeichnet. Foto: AP/Moses Sawasawa/dpa

November 2024

Die Krankheit breitet sich schnell in der Verwaltungsregion Panzi aus. Von dort dringen über Wochen keine Informationen heraus.

1. Dezember 2024

Im Kongo erfolgt wegen der „Krankheit X“ die erste Alarmmeldung auf nationaler Ebene. Zu dieem Zeitpunkt sind bereits 67 Tote erfasst.

3. Dezember 2024

  • Ein Team medizinischer Experten trifft in den betroffenen Ortschaften im Südwesten des zentralafrikanischen Landes ein, in denen mindestens 60 Todesfälle verzeichnet worden sind.
  • Die entlegene Lage der Region macht den Zugang für Helfer und Experten schwierig. Das erste nach Panzi geschickte Team brauchte zwei Tage für eine 400 Kilometer lange Strecke. Die Straßen sind in schlechtem Zustand.
  • Das Institut für öffentliche Gesundheit der Demokratischen Republik Kongo verwendet unter Bezugnahme auf die Definition der WHO für den unbekannten Erreger den Begriff „Krankheit X“. Es ist noch völlig unklar, was „Disease X“ verursachen könnte.
Es ist noch völlig unklar, was „Disease X“ verursachen könnte. Foto: dpa/Tom Weller

4. Dezember 2024

  • Die WHO schickt Fachleute in die Demokratische Republik Kongo, um die dortigen Gesundheitsbehörden bei den Untersuchungen zu der mysteriösen „Krankheit X“ zu unterstützen. Das Team besteht aus Epidemiologen, Klinikern, Labortechnikern sowie Experten für Infektionsprävention und -kontrolle, teilt das WHO-Regionalbüro für Afrika mit.
  • Einige Dörfer mit Dutzenden verstorbenen Patienten weden erst im Laufe der folgenden Tage ausfindig gemacht. Das führt zu einem sprungartigen Anstieg der veröffentlichten Todeszahlen auf mehr als 130.
Die WHO schickt Experten und medizinisches Gerät in den Kongo. Foto: AP/Samy Ntumba Shambuyi/dpa
  • Nach WHO-Angaben bringen die entsandten Experten auch wichtige Medikamente sowie Diagnose- und Probenentnahme-Kits mit, um bei der schnellen Analyse und Ermittlung der Krankheitsursache zu helfen.
  • Das Team werde sich auf epidemiologische Untersuchungen und Probenentnahmen, aktive Fallfindung, Behandlung und Aufklärungsaktivitäten konzentrieren, heißt es seitens der WHO.

5. Dezember 2024

Die Abgelegenheit der Region könnte eine schnelle Ausbreitung verhindern. Trotzdem gelte „höchste Alarmbereitschaft“, erklärt der kongolesische Gesundheitsminister Roger Kamba. „Das bedeutet, dass wir es als eine Art Epidemie betrachten, die so genau wie möglich überwacht werden muss.“

Es gelte „höchste Alarmbereitschaft“, erklärt der kongolesische Gesundheitsminister Roger Kamba. Foto: AP/Samy Ntumba Shambuyi/dpa

6. Dezember 2024

  • „Wir unternehmen alles, um die Ursache der Krankheit zu ermitteln, ihre Übertragungswege zu verstehen und so schnell wie möglich eine angemessene Reaktion sicherzustellen“, betont Matshidiso Moeti, WHO-Regionaldirektorin für Afrika.
  • Als mögliche Ursache der im Kongo als „Krankheit X“ bezeichneten Krankheit wird der WHO zufolge ein Krankheitserreger der Atemwege wie Influenza oder Covid-19 untersucht, aber auch Malaria, Masern und andere kämen infrage.
Matshidiso Moeti, Afrika-Direktorin der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Foto: Keystone/Salvatore Di Nolfi/dpa
  • Die ersten Analysen zur „Krankheit X“ liegen vor: Demnach starben mindestens zehn Erkrankte nach offiziellen Angaben an schwerer Anämie. in den Gesundheitseinrichtungen der abgelegenen Region gab es für sie keine Blutkonserven.
  • Etwa 40 Prozent der Menschen in der Region sollen unterernährt sein, bei den Kindern wird der Anteil sogar auf 60 Prozent geschätzt.
  • Unter den 382 Patienten, die die Merkmale der Krankheit X aufweisen, waren 198 Kinder im Alter unter fünf Jahren.
  • Warum die Menschen krank wurden, ist bisher unklar. Dafür werden Laborergebnisse der Proben benötigt.
  • Es könnte eine nicht-ansteckende Krankheit sein, etwa ausgelöst durch Umweltbedingungen, oder eine ansteckende Krankheit.
Die Abgeschiedenheit der betroffenen Region macht schnelle und umfassende Hilfe schwierig. Foto: AP/Moses Sawasawa/dpa
  • Handelt es sich um eine Infektionskrankheit, kann es eine Pilzinfektion sein, eine bakterielle Infektion, eine parasitäre Infektion oder eine Virusinfektion.
  • Die afrikanische Gesundheitsbehörde CDC Africa spricht von ersten Hinweisen, dass die Krankheit durch die Luft übertragen werden könne. Noch allerdings seien sowohl die Übertragungswege wie auch die genaue Art der Krankheit mit vielen Fragen versehen.
  • Ist die Ursache gefunden, muss weiter geschaut werden: Handelt es sich beispielsweise um einen bekannten Krankheitserreger oder um einen neuartigen Erreger? Auch darüber könnten die Laborergebnisse Aufschluss geben.
  • „Wir wissen nicht, ob die Anämie durch die Krankheit verursacht wird, oder ob die Krankheit zusätzlich zu einer Anämie, etwa durch Unterernährung, auftritt“, stellt Roger Kamba fest. Der kongolesische Gesundheitsminister schließt nicht aus, dass es sich um eine besonders starke Version der saisonalen Grippe handeln könnte. Die ersten Krankheitsfälle wurden zu Beginn der Grippesaison im Kongo verzeichnet.
Die afrikanische Gesundheitsbehörde CDC Africa spricht von ersten Hinweisen, dass die Krankheit durch die Luft übertragen werden könne. Foto: AP/Moses Sawasawa/dpa
  • „Die Teams arbeiten auf Hochtouren“, sagt Dieudonné Mwamba, Generaldirektor des Instituts für öffentliche Gesundheit des zentralafrikanischen Landes, auf einer Pressekonferenz der afrikanischen Gesundheitsbehörde CDC Africa. „Wir warten auf die Laborergebnisse in den nächsten 24 bis 48 Stunden, damit wir genau wissen, worum es sich handelt.“

7./8. Dezember 2024:

Die ersten Ergebnisse der Laboranalysen sollen an diesem Wochenende vorliegen. Foto: Imago/Pond5 Images

Im Kongo dauert das Warten auf die Laboruntersuchungen zur Krankheit X an. Die ersten Ergebnisse der Laboranalysen sollen an diesem Wochenende vorliegen. Vielleicht weiß man dann mehr über die mysteriöse „Krankheit X“ und ihren Erreger (mit AFP/dpa-Agenturmaterial).