Die erstmals in Fellbach (Rems-Murr-Kreis) veranstaltete „Made in Stuggi“-Messe zeigt, dass hinter „Neckar-Blörre“ auch eine Liebeserklärung steckt, dass ein Ohrstecker aus alten Backenzahn-Kronen ein Hemmnis sein kann und auch Brandenburg an der Havel ja irgendwie noch zur Region zählt.
Wer das schöne Städtchen Fellbach als einen Teil der Landeshauptstadt verortet, wird normalerweise mit Missgunst und einem Besuchsboykott nicht unter drei Jahren bestraft. Zwar feiern durchaus auch Fellbacher beim Volksfest, jubeln ausgiebig bei Toren der VfB-Jungs mit und gehen im Zweifelsfall lieber in Stuttgart als im Rems-Murr-Kreis zum Arzt, in die Reha oder gar ins Krankenhaus. Doch Wert auf die kommunale Eigenständigkeit legt man unterm Kappelberg schon nach wie vor – und zwar vielleicht noch ein wenig mehr als anderswo.
Insofern war es ein kleiner Fauxpas für die lokale Gefühlswelt, dass die Veranstalter der Messe „Made in Stuggi“ am Wochenende ein Plakat mit der Ortsangabe „Stuttgart-Fellbach“ vor der ehrwürdigen Alten Kelter aufgehängt hatten – als sei die 45 000 Einwohner zählende Große Kreisstadt nur ein Vorort wie, sagen wir mal, Zuffenhausen, Möhringen oder Neugereut. Da die Werbebanner im Vorfeld rar gesät waren, dürfte das zwar die wenigsten Besucher mitbekommen haben. Doch eine Rolle bei den Publikumszahlen könnte der verletzte Lokalstolz neben dem Verzicht auf eine großflächige Plakatierung schon auch gespielt haben.
Bei den Ausstellern haben die Messemacher einen spürbaren Rückgang
Denn in Fellbach war der Besuch am Samstagnachmittag zwar ordentlich, von einer drangvollen Enge wie in der für die Stuggi-Messe bisher als Location genutzten Phönixhalle im Römerkastell konnte in der Alten Kelter aber keine Rede sein. Mit ein Grund, dass es noch Raum zum Schauen, Staunen und Kaufen gab, war freilich der spürbare Rückgang bei den Ausstellern. Statt mehr als 80 wollten sich in Fellbach nur etwas über 50 kreative Köpfe mit ihren Produkten präsentieren.
Aus der Not hatten die Messemacher deshalb eine Tugend gemacht und den Ausstellern wie Besuchern über größere Standbreiten und luftiger gestellte Gänge mehr Platz eingeräumt – nicht die schlechteste Idee, um eine vorweihnachtliche Drucketse zu vermeiden. „Das ist super, im Römerkastell ging es viel zu eng zu“, lobte eine Besucherin am Samstag das umgemodelte Konzept.
Dass synonym zum Veranstaltungsort bei „Made in Stuggi“ auch der Stuttgart-Begriff etwas weiter gefasst wird, ist ein schon von den zurückliegenden sechs Messen bekanntes Phänomen. Als total lokal gilt bei „Made in Stuggi“ im Zweifelsfall alles, was irgendwo zwischen Schwäbischer Alb und Heilbronner Unterland das Licht der Welt erblickt hat. Nicht aus der Landeshauptstadt kommt etwa Corina Förste. Sie kommt aus Tamm im Kreis Ludwigsburg, macht sich um die Picknick-Kultur verdient und stellt mit buntem Stoff bezogene Röhren her, in denen Weingläser und Whiskey-Schwenker samt Zigarre bruchsicher im Rucksack verstaut werden. Ebenfalls um den Trinkgenuss müht sich Tanja Schnell, übrigens aus Waiblingen, die mit dem 3D-Drucker schimmernde Drachen und hübsche Flaschenverschluss-Figuren macht – mal mit Dackel, mal mit Häschen, mal mit einem den Mittelfinger reckenden Gartenzwerg.
Das passende Gesöff haben Jan und Jule ein paar Stände weiter parat. Sie produzieren einen Gin, den sie zwar wenig appetitlich „Neckar-Blörre“ nennen, aber mit Kiwi statt mit Zitrusfrüchten verfeinern. Für eine gewisse Schärfe ist Chili mit drin, Sonnenblumenkerne sorgen für einen recht samtigen Abgang. Trotz des Titels stellt der in Esslingen gemachte Stoff für die beiden Stehpaddel-Fans eine Liebeserklärung an den Fluss der Schwaben dar. „Der Neckar hat ein Imageproblem, weil man die verborgene Schönheit nicht sehen kann, wenn man auf der B 10 im Stau steht. Aber der Eisvogel kann sich ja nicht irren“, sagt Jan Ludwig.
Gartenzwerge aus dem 3D-Drucker und Gin mit Kiwi und Chili
Die erste wirkliche Stuttgarterin, auf die der Besucher beim Messerundgang stößt, ist Marie Freitag. Die hat eigentlich Webdesign studiert, in Neuseeland aber die Liebe zur Töpferscheibe entdeckt – und macht jetzt lieber echtes Handwerk als ewige Mausklicks. Von „Made in Stuggi“ erhofft sie sich, dass sie künftig in Untertürkheim von Kundschaft für ihre mit hauchdünnen Rändern versehenen, aber spülmaschinenfesten Tassen auch gefunden wird. „Es ist nicht so einfach, da Leute hinzubekommen“, sagt sie.
Sarah Bayha, eine junge Goldschmiedin aus der Esslinger Webergasse, präsentiert in der Alten Kelter in Fellbach „fairen Schmuck“. Gemeint ist mit dem Slogan, dass sie nur mit recyceltem oder fair gehandeltem Material arbeitet – wie bei Kaffee oder Südfrüchten gibt es auch für Gold, Silber und Platin einen Markt für ein gutes Gewissen. Beim geneigten Publikum scheiden sich am ressourcenschonenden Umgang allerdings die Geister: Mit einem Ohrstecker aus alten Backenzahn-Kronen könnten sich die Kundinnen vielleicht noch anfreunden. Beim aus eingeschmolzenen Eheringen bestehenden Verlobungsreif aber hört der Spaß an der Moral auf – Edelmetall mit Scheidungshintergrund gilt für viele als schlechtes Omen.
Neun Stunden ist Steffi Möbius mit feinem Linoldruck angereist
Ansonsten gibt es Flaschenöffner im Fernsehturm-Design in der Alten Kelter, handbemalte Leuchtkugeln und Klamotten mit Stuttgart-Aufdruck. Der Winnender Waschmittelhersteller Wöhrle gibt Gratisproben aus, aus Berglen ist die Waldhornbrennerei am Start, aus Marbach am Neckar die Gürtel-Manufaktur Hepco, aus Fellbach die aus dem Kunstverein-Dunstkreis bekannte Renate Herrmann mit großformatigen Broschen und Ina Kappler mit Taschen aus ausgedienten Jeansjacken, aus der Nähe von Reutlingen ein Aussteller, der sich auf Grabmale aus Holz spezialisiert hat. Die zweifellos weiteste Anfahrt allerdings hat die zur Unterstützung einer Freundin aus Brandenburg an der Havel angereiste Steffi Möbius – neun Stunden im Zug mit einem Rollenkoffer feinster Linoldrucke. Den Geist der Messe mag diese Wegstrecke vielleicht sprengen. Aber zwei Probierschlucke später dehnen sich Raum und Zeit auch bei nach Helden der Region suchenden Menschen: Denn sind wir nicht alle ein bisschen Stuggi?