Künstler Joseph Kosuth Zu Besuch im Palazzo eines Kunststars

Einer der ganz Großen der Konzeptkunst: Joseph Kosuth Foto: Peter Lindbergh

Am Stuttgarter Hauptbahnhof prangte ein Hegel-Zitat in Neonschrift – eine Arbeit des Konzeptkünstlers Joseph Kosuth, dem das Kunstmuseum nun eine Solo-Schau widmet.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

So richtig gut hat er Stuttgart nicht in Erinnerung. Aber es war auch ein unschöner Streit damals an der Kunstakademie auf dem Weißenhof. Zunächst war man stolz, dass man den amerikanischen Konzeptkünstler hatte gewinnen konnte, aber kaum trat Joseph Kosuth 1991 seine Professur an, wurde Kritik laut. Die einen störte seine liberale Auffassung von künstlerischem Unterricht, andere monierten, dass er zu selten präsent sei. „Baden-württembergische Logik“, sagt er noch heute abschätzig. Man habe eben lieber „einen Fels“, der ständig vor Ort ist – statt einen „Shooting Star“ wie ihn.

 

An Selbstbewusstsein mangelt es Joseph Kosuth nicht. Aber er war wie kaum ein Künstler schon früh vom Erfolg verwöhnt. Schon mit Anfang zwanzig fiel er mit seinem ersten konzeptuellen Werk auf. Bald sprach man auch in Europa von diesem jungen Amerikaner – und in immer mehr Städten brachte er im öffentlichen Raum Zitate von Philosophen und Literaten an. Auch am Stuttgarter Hauptbahnhof hat Kosuth ein Hegel-Zitat in blauer Neonschrift installiert: „ . . . daß diese Furcht zu irren schon der Irrtum selbst ist.“

Sein Zuhause in Venedig ist perfekt inszeniert

In seiner Bibliothek in Venedig stehen all die „intellektuellen Helden“, die ihm das Material für seine Kunst bis heute liefern: Goethe und Ludwig Wittgenstein, Sigmund Freud, Sören Kierkegaard und Walter Benjamin. Während Corona ist Joseph Kosuth nach Venedig gezogen und hat einen imposanten Palazzo in bester Lage bezogen. Direkt am Canal Grande, einen Steinwurf von Rialto entfernt, residiert und arbeitet er nun, wobei das historische Gebäude wie ein Museum wirkt: Auf den stuckverzierten Wänden hängen seine Neon-Installationen, auf den Steinböden liegen Teppiche mit Schrift – es sind Textarbeiten von ihm. Ein perfekt inszeniertes, hochästhetisches Ambiente.

Man sieht sofort, dass Joseph Kosuth nichts dem Zufall überlässt, deshalb hat er auch selbstverständlich die Ausstellung mitkuratiert, die das Kunstmuseum Stuttgart an diesem Wochenende eröffnet. Denn so unerquicklich die Debatten damals an der Akademie gewesen sein mögen, so hat die öffentliche Hand doch viele seiner Werke angekauft und besitzt das Kunstmuseum die größte Kosuth-Sammlung in Deutschland. Deshalb war für die Direktorin Ulrike Groos schnell klar, dass das Kunstmuseum eine Jubiläumsausstellung zeigen wird zu seinem achtzigsten Geburtstag in diesem Jahr. „Geistig bin ich 25“, betont er zwar, aber das Gehen macht zunehmend Probleme, sodass er wohl nicht nach Stuttgart wird reisen können. Und wer weiß, ob er sobald wieder nach New York kommen wird, wo er noch eine Wohnung hat. Aber es zieht ihn ohnehin nicht in die Heimat. „Der Einfluss der Republikaner hat dazu geführt, dass alles verdummt ist“, sagt er. „Wobei die ultimative Verdummung, die möglich ist, Donald Trump ist.“

Auch im Kunstmuseum Stuttgart wird eine Variante von „FIVE WORDS AND FIVE COLORS“ zu sehen sein. Foto: VG Bild-Kunst/Frank Kleinbach

Eine bittere Erfahrung für einen, der mit seinen Arbeiten im öffentlichen Raum doch immer zum Denken anregen wollte. Leicht hat er es seinem Publikum dabei allerdings nie gemacht. Dass es sich zum Beispiel bei dem Hegel-Zitat am Stuttgarter Bahnhof (das wegen der Sanierung abgenommen wurde) um eine künstlerische Botschaft handelt, muss man wissen – und kann es nicht am Werk selbst ablesen. Damit müssten die Leute zurechtkommen, sagt er und will all jene, „die nicht ins Museum gehen wollen, gezielt stolpern lassen.“

Auch in der Ausstellung im Kunstmuseum wird sicher mancher stolpern über Werke, deren Bedeutung quasi hinterm Werk selbst liegt. Für Kosuth sind die einzelnen Arbeiten ohnehin nur Teile seines „Projekts als Künstler“, das er auch gern als „ein einziges großes theoretisches Werk“ bezeichnet. Dessen Einzelteile müsse man „in seinem Kopf zusammensetzen“ meint er – und schert sich wenig darum, ob das dem Publikum gelingt – oder ob es beim Stolpern über lapidare Zitate von Beckett, Benjamin oder Simone de Beauvoir bleibt.

Ein IQ nur vier Punkte niedriger als der von Stephen Hawking

In früheren Jahren wurde Joseph Kosuth mitunter vorgeworfen, dass er sich mit fremden Federn schmücke. Er entgegnet, dass er Künstler alles verwenden dürfe, was existiert. Ohnehin dienen ihm die literarischen oder philosophischen Zitate nur dazu, „Denkprozesse zu visualisieren“, wie er es nennt – um hinterher zu schieben, dass sein IQ nur vier Punkte niedriger sei als der von Stephen Hawking.

So war er auch klug genug, seine Kunst, die per Definition geistig und nicht ans Objekt gebunden ist, erfolgreich zu vermarkten, indem er die Ideen vielfach reproduzierte. Die Neonarbeit „Five Words And Five Colors“ von 1965 wurde in verschiedensten Farben und sprachlichen Varianten aufgelegt. Die Serie „First Investigation“, bei der Wörterbuchdefinitionen vergrößert werden, ist zu seiner umfangreichsten Serie angewachsen. Auch hier wird jedes Teil als Unikat gehandelt.

Alltägliche Dreieinigkeit

Die Arbeit, mit der er als junger Mann den Durchbruch schaffte, ist sogar mehr als hundert Mal reproduziert worden: „One and Three Chairs“. Sie besteht aus einem Stuhl, der Fotografie des Stuhls und dem Lexikoneintrag zum Stichwort Stuhl. Im Lauf der Jahre hat Kosuth die „alltägliche Dreieinigkeit“ mit immer neuen Gegenständen durchdekliniert.

Auch in der Sammlung des Kunstmuseums befindet sich eine Variante der Serie: ein Aktenschrank , der mit Foto und Lexikondefinition gezeigt werden wird.

Schneller Aufstieg

Person
Geboren wurde Joseph Kosuth 1945 in Ohio. 1965 ging er nach New York, um an der School of Visual Arts zu studieren, gab die Malerei aber schnell wieder auf, schließlich wollte er nicht Kunst produzieren, sondern hinterfragen. Das führte ihn zur Konzeptkunst. Die war vor allem in Deutschland begehrt, nachdem er 1972 erstmals auf der Documenta in Kassel vertreten war.

Info
„Joseph Kosuth. Non autem memoria.“ Der Titel der Ausstellung bezieht sich auf eine lateinische Redewendung, deren Rest man sich dazu denken muss: „Die Zeit vergeht, nicht jedoch die Erinnerung.“ Kunstmuseum Stuttgart, 14. Juni bis 12. April, geöffnet Dienstag bis Sonntag 10–18 Uhr, Freitag 10–21 Uhr.

Weitere Themen