In vielen Wohnungen in Stuttgart und der Region finden sich derzeit Wanzen. Welche Wanzen es gibt und woher sie alle kommen, erklärt ein Insektenexperte.
S-Ost/S-Nord - Wanzen! Verfolgt man die Diskussionen in Medien und sozialen Netzwerken, beschäftigen die Sechsbeiner in diesen Tagen unglaublich viele Menschen in Deutschland. Nach unserer Berichterstattung über das gehäufte Auftreten von Wanzen an sonnengewärmten Hauswänden und in Wohnungen in der vergangenen Woche griffen Medien und Online-Portale das Thema auf, der von uns befragte Nabu-Insektenexperte Stefan Kress aus Kaltental bekam Anfragen von Funk und Fernsehen. Auf der Facebook-Seite der Stuttgarter Zeitung schildern Menschen aus ganz Deutschland in mehr als 2000 Kommentaren ihre Begegnungen mit Wanzen.
Die meisten Wanzen sind winzig
Auch die Insektenforscher im Naturkundemuseum am Löwentor verfolgen die bundesweite Aufregung. Einerseits freut sie die neue Aufmerksamkeit für Insekten – andererseits schwillt ihnen aber auch manchmal die Zornesader. „Wir haben keine Plage!“, sagt der Entomologe Andreas Haselböck vom Naturkundemuseum. In Deutschland sind nach dem Stand der Forschung rund 870 Wanzenarten gemeldet. In Stuttgart leben nach Einschätzung von Haselböck etwa 200 bis 300 Arten, genau ist das nie erforscht worden. Die meisten davon sind noch nie jemandem aufgefallen, weil sie so klein sind. Tatsächlich finden die Stuttgarterinnen und Stuttgarter in diesen Wochen vor allem zwei Arten in ihren Wohnungen – und die stammen noch nicht einmal von hier. Die heimischen Arten dagegen wollen entweder gar nicht in die Wohnungen oder sind in diesem Jahr sogar eher selten.
Die wegen ihrer auffälligen Rotfärbung bekannte heimische Feuerwanze beispielsweise, die an Malven, Stockrosen oder auch an den Stämmen von Linden zu finden ist, kommt praktisch nie in die Wohnung. Das gilt auch für die kaum einen Zentimeter kleine Gemeine Bodenwanze, die oft unter der losen Rinde von Holz lebt, besonders gerne auch in Brennholzstapeln. Tauchen sie in der Wohnung auf, hat sie meistens der Kaminbesitzer mit dem Holz selbst reingetragen. Andere heimische Arten sind die Rotbeinige Baumwanze, die graue Gartenwanze oder die Grüne Stinkwanze, deren Name in diesen Tagen so oft auftaucht. Dabei ist gerade die im Stuttgarter Raum nach den Einschätzungen von Andreas Haselböck und seinen Kollegen am Löwentor eher selten, wie so manche andere heimische Wanzenart auch.
Für manche Hungersnot, für andere Schlaraffenland
„Alle Wanzen, die an Pflanzen, Blättern am Boden saugen, haben in diesem Jahr ein Problem“, sagt Haselböck. Die lang anhaltende Trockenheit hat viele Pflanzen vertrocknen lassen, damit ist diesen Wanzenarten die Existenzgrundlage verdorrt.
Für zwei zugewanderte Arten sind die Wetter- und Wachsbedingungen in diesem Jahr dagegen geradezu ideal gewesen. Da gibt es zum einen die Amerikanische Zapfenwanze, auch Kiefernwanze genannt, die 2006 zum ersten Mal in Deutschland entdeckt wurde und die sich seitdem munter weiter verbreitet. In Stuttgart ist sie laut Haselböck seit 2009 zu finden. Wie der Name schon sagt, lebt diese Wanze von Zapfen aller Art: Fichtenzapfen, Kiefernzapfen, Douglasienzapfen. All diese Baumarten haben in diesem Jahr ein sogenanntes Mastjahr, das bedeutet, es gibt besonders viele Zapfen. Die Folge: „Die Zapfenwanze fühlt sich hier sehr wohl“, sagt der Insektenforscher.
Noch sind die Vögel misstrauisch
Ähnlich gut geht es der ursprünglich aus Ostasien stammenden Marmorierten Baumwanze. Die wurde 2012 das erste Mal in Konstanz nachgewiesen, in Stuttgart ist sie erst seit vergangenem Jahr bekannt. Diese eingeschleppte Wanze saugt gerne den süßen Saft unter anderem von Äpfeln. Dieses Jahr ist ein gutes Apfeljahr, also ist es auch ein gutes Wanzenjahr. Das anhaltend warme Wetter hat dann sogar noch eine zweite Wanzen-Generation, deswegen gibt es trotz der kurzen Lebenserwartung von zwei bis elf Monaten gerade so viele davon. Und natürliche Feinde haben sie noch nicht so viele. Ganz nach dem Motto des alten Sprichworts „Was der Bauer nicht kennt . . .“ halten sich viele Vögel beim Verzehr dieser neuen Leckerei noch zurück. Andreas Haselböck: „Wenn etwas Neues reinkommt, dauert es eine Weile, bis sich der Rest anpasst und merkt: Das kann man ja essen.“ Aber es soll inzwischen Meisen geben, die Wanzen-Vorkoster spielen. Wenn sich das unter den Vögeln herumspricht, werden wir nächstes Jahr weniger ungebetene Hausgäste haben.