John Heer ist mürbe vom Streit über die Zukunft der Altstadt: Er will sein Laufhaus an die Stadt verkaufen. Foto: privat
Dem Willen des Gemeinderats, Sexarbeit aus der Altstadt zu verbannen, will John Heer mit einem weiteren Bordellbetreiber „nicht im Weg stehen“. Der Stadt haben sie ihre Laufhäuser zum Kauf angeboten. Wie geht es weiter im Leonhardsviertel?
Der Reiz des Verruchten beflügelt coole Bars im Rotlichtviertel. Von denen gibt es im Leonhardsviertel in Stuttgart inzwischen mehr als Bordelle. Gastronomen erscheint der Einstieg in der Altstadt gerade jetzt, da alles anders werden soll, verlockend: Yusuf Oksaz etwa macht aus der früheren Schwulenkneipe Goldener Heinrich den neuen Treff Jackie Brown. Auch Max Benzing (Studio Amore), Hans Helferich (Fridas Pier) und Johannes Paulus (Jigger und Spoon) wollen für frischen Wind im Quartier sorgen und übernehmen die Altstadtbars Puf und Lido. Und vor der Uhu-Bar stehen Tausende für zwei Stunden in der Schlange, um am vergangenen Wochenende bei der Langen Nacht der Museen mal ein Laufhaus von innen zu sehen.
Leonhardsviertel – quo vadis? Mit dem Ansturm am Samstagabend haben die jungen Wirte der Uhu-Bar „absolut nicht gerechnet“. Die Leonhardstraße war bis nachts um 1.30 Uhr belagert. Die oberen Stockwerke des Uhus, in denen einst Prostituierte ihre Freier empfangen haben, zogen die Massen an. Seit fünf Jahren werden diese kleinen Zimmer nicht mehr für sexuelle Dienstleistungen genutzt – und es gibt kein Zurück mehr, was der Bebauungsplan auch gar nicht zulassen würde. Künstlerinnen stellten in dieser Nacht unter dem Titel „Bordellisage“in den Räumen aus, was sich nach dem riesengroßen Interesse wiederholen soll.
Riesige Schlange vor dem früheren Laufhaus der Uhu-Bar Foto: ubo
Wirte und Bordellbetreiber waren verärgert, weil man ihnen nichts von der Ausstellung im Laufhaus gesagt habe. Ihre Geschäfte liefen schlecht, da das Viertel fest in der Hand der Museumsnacht war. „Wir ahnten nicht, dass so viele kommen“, sagt der Uhu-Wirt. Die Veranstalter der Museennacht des Magazins „Lift“ haben indes das Programm öffentlich gemacht, weshalb es keine Geheimaktion gewesen sei.
Früheres Laufhaus wird für private Feiern vermietet
Die riesige Warteschlange zeigt, wie groß das Interesse an der Geschichte des Leonhardsviertels ist. Nach dem Willen der Stadtverwaltung soll die Altstadt zu einem urbanen Zentrum ohne Bordelle werden, das Wohnen, Kultur, Handel und Gastronomie vereint und in der Nähe des künftigen Hauses für Film und Medien und des Mobility-Hubs an Attraktivität gewinnen werde. Die Betreiber der Uhu-Bar reagieren auf das große Interesse. Künftig vermieten sie das obere Stockwerk, in dem sich die „Verrichtungszimmer“ befanden, für private Feiern inklusive DJ-Pult.
Heinrich Huth, der seit über 20 Jahren im Leonhardsviertel die Jakobstuben betreibt, gibt zu bedenken: „Hoffentlich verstehen die neuen Wirte, dass das hier kein Amüsier-Hotspot fürs Wochenende ist, sondern auch ein Wohngebiet.“ Sein Appell lautet: Man möge „Rücksicht auf die Anwohnerinnen und Anwohner“ nehmen.
Inzwischen hat die Landesregierung einen Strich durch die Rechnung der Stadt gemacht, die laut Mehrheitsbeschluss im Gemeinderat Bordelle, bordellartige Betriebe und Wettbüros (die es dort gar nicht gibt) im Leonhardsviertel verbieten will. Messalina-Chef John Heer fühlt sich bestätigt. Der Bestandsschutz gelte sehr wohl für zwei Laufhäuser, die das Rathaus zu Unrecht als illegal eingestuft habe. Denn in den 1970ern, als die Bordelle eingerichtet wurden, habe man nicht gegen die Gesetze verstoßen.
Nach Signalen der Landesregierung sollte „Stadt den Kauf erneut prüfen“
Auch wenn es für ihn nun gut aussehe, was die Entscheidung des Landes für das schnelle Bauen bestätigt habe, will Heer „den Plänen der Stadt nicht im Weg stehen“, wie er im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt. Mit einem Kollegen habe er der Stadtverwaltung den Verkauf der Laufhäuser seit dem Jahr 2018 mehrfach angeboten – „zu marktüblichen Preisen“, wie Heer betont. Wie hoch die gewünschte Summe sei, will er nicht öffentlich verraten.
Die beiden Bordellbetreiber, offenbar mürbe vom ständigen Streit mit den Behörden und mit den Kritikern der Prostitution, wollten ihre Gebäude bereits mehrmals an die Stadt verkaufen, zuletzt schriftlich am 14. Februar 2022. Dies habe der Finanzbürgermeister abgelehnt, weil das städtische Baurechtsamt den Bestandsschutz für die betreffenden Häuser nicht bescheinigt habe. Nachdem sich die Voraussetzungen dafür mit dem Gesetz für das schnelle Bauen, von der grün-schwarzen Landesregierung wohl gegen den Willen der Stadt festgezurrt, nun von Grund auf ändern, sollte die Stadt das Kaufangebot erneut prüfen, appelliert Heer.
Das Leonhardsviertel soll nach dem Willen der Stadt „urbaner“ werden. Foto: Lichtgut//Julian Rettig
„Die Stadt wollte in der Vergangenheit den Versuch unternehmen, unsere Gebäude als illegal dastehen zu lassen, um die Kaufpreise in massiver Art und Weise zu reduzieren“, erklärt der Messalina-Chef. Bei der Verkaufssumme müsse man sich „auf Grundlage der marktüblichen Preise“ einigen. „Wir können jederzeit die Gesellschaften, die Eigentümer der Immobilien sind, veräußern, ohne dass die Stadt Stuttgart ein Vorkaufsrecht ausüben kann“, fügt John Heer hinzu.
Auch wenn die beiden Vermieter der Bordellzimmer nach den klaren Aussagen der Landesregierung wohl noch auf Jahre bleiben könnten, wollen sie sich nach eigenen Angaben aus der Altstadt verabschieden. Im Viertel wird diskutiert, ob das ernst gemeint ist. Heer jedenfalls versichert, er werde nach seinem geplanten Ausstieg aus den Laufhäusern nicht an anderer Stelle erneut Zimmer an Prostituierte vermieten. Dieses Kapitel seines Lebens sei dann beendet.