Die Messe, veranstaltet von den beiden Krimiautoren Ann-Katrin Zellner und Stefan Zeh, wurde zu einer Liebeserklärung an das Lesen. Sie lockte Autoren und Autorinnen aus kleineren, unabhängigen und regionalen Verlagen sowie Selfpublisher an – und deren Fans, die oft extra zur Messe angereist kamen.
Es geht auch um die schönen Buchdeckel
Ja, es gibt sie, die neue Begeisterung am Lesen der weiblichen Generation Z , der zwischen 1995 und 2010 Geborenen. Diesen Trend bestätigt auch Ruth Wieczorek, die Leiterin der Stuttgarter Stadtbibliothek am Mailänder Platz: „Es ist wieder cool zu lesen und über die Bücher zu sprechen, sowohl im privaten Umfeld als auch in den sozialen Medien.“ Es liege auch wieder im Trend, die Bücher zu kaufen, auch „wegen der schönen Cover- und der Buchblockgestaltung“.
Die neuen Genres heißen: Romance, Romantasy, Dark Romance, Young Adult oder New Adult. Oft schreiben die Autoren und Autorinnen ganze Reihen, viele Bücher haben auffallend gestaltete Cover. Farben und Farbverläufe spielen dabei eine große Rolle. Das spiegelt sich auch in den Stuttgarter Buchhandlungen Osiander, Hugendubel und Thalia wider. Hier gibt es gibt es Extratische und Regale mit diesen auffallenden Buchcovern. Der Onlinebuchhandel wirbt mit der Rubrik „Beliebt auf Tiktok“.
Freundschaft und Liebe, Krieg und Rassismus
Denn vor allem die Video-App Tiktok, aber auch Instagram und andere soziale Medien befeuern die neue Leselust unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen und sind hier Impulsgeber. Unter dem Hashtag „BookTok“ stellen auf „Tiktok“ vor allem junge Frauen Neuerscheinungen vor, rufen zu Challenges auf oder nehmen an ihnen teil, zeigen sich auf Buchmessen oder erzählen einfach über ihre Lieblingsbücher. Hinter ihnen meist bunte Buchrücken, nach Farben geordnet, in strahlend weißen Regalen.
Wie schätzt die Bibliotheksleiterin diese neue Begeisterung am Lesen ein? Sind die zeitlosen Themen und Motive ein Grund? „Themen wie Liebe und Freundschaft sowie Krieg und Rassismus ziehen sich durch diese Bücher“, erläutert Ruth Wieczorek. Aber auch Themen wie Missbrauch, Mobbing und psychische Erkrankungen spielten eine große Rolle. Mit dem Thema Queerness werde offen und selbstverständlich umgegangen. Sie ist überzeugt: Durch diesen Umgang mit Themen, die lange ein Tabu darstellten, fühlten sich die Leser und Leserinnen verstanden und in ihrer Lebenswirklichkeit abgeholt.
Carina Mehlis ist eine der begeisterten Leserinnen. Für sie macht das Abtauchen in eine andere Realität den Reiz des Lesens aus. Sie gehört mit 34 Jahren zwar nicht mehr zur Generation Z, ist dafür aber freie Lektorin und Story-Coach-Expertin für die Genres Romantasy, New Adult und Contemporary Romance.
In allen drei Genres geht es um Liebes- und Beziehungsgeschichten. Sie unterscheiden sich nur in ihrer Ausgestaltung und Zielgruppe. So ist die Handlung von Büchern aus der Kategorie Romantasy in einer fiktiven Welt angesiedelt.
Wer liest was?
In Bücher des Genres New Adult geht es dagegen um Liebesgeschichten aus der Realität. Sie schließen die Lücke zwischen Jugendbuch und klassischem Liebesroman. Eine Altersgruppe – zwischen 18 und Mitte 20 –, die Autoren und Verlage lange vernachlässigt haben. In einer Contemporary Romance sind die Protagonistinnen älter, in ihren Dreißigern. Sie kämpfen mit Problemen, etwa im Berufsleben, die für die jungen Erwachsenen noch weit weg sind.
Als einen Grund für die Rückkehr der Buchbegeisterung nennt Mehlis die Coronajahre. Lesen als eine Flucht aus der Realität, als der Austausch mit anderen Menschen gefehlt habe. In Büchern konnten junge Menschen während der Isolation beispielhaft sehen, wie andere mit den Herausforderungen des Lebens umgehen – und daran wachsen.
Tatsächlich startete die Booktok-Community Ende 2020 während des Lockdowns und wächst seither stetig. Auch die Zahlen der Studie „Bock auf Buch! – Wie junge Menschen heute Bücher finden und kaufen“, die unter anderem vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels in Auftrag gegeben und im März veröffentlicht wurde, sprechen für diese Annahme: Die Ausgaben für das Genre Kinder- und Jugendbücher sind von 2019 auf 2023 um 7,4 Prozent auf 672 Millionen Euro gestiegen. Besondere Wachstumstreiber sind die Lesenden von 13 bis 15 Jahren (Ausgaben plus 65 Prozent) und von 16 bis 19 Jahren (plus 77 Prozent).
Ist das Lesen vielleicht eine Gegenbewegung zur ständigen Verfügbarkeit in den sozialen Medien? „Klar gibt es dieses Endlos-Scrollen immer noch. Aber ich beobachte, dass junge Menschen sich wieder bewusster auch herausnehmen und offline gehen“, erzählt Leserin Carina Mehlis. Andererseits laden die auffälligen Cover und Marketingformate der Bücher geradezu dazu ein, sie in den sozialen Medien, auf Instagram und Tiktok zu präsentieren. Sie kenne Autoren, die glauben, ihre Bücher würden nur gekauft, um sie in die Kamera zu halten: eine Inszenierung des Lesens statt Lesen.
Ganz anders macht es die 19-jährige Vielleserin Chiara Hagenmaier aus Wiesensteig. Auch sie holt sich Inspiration aus den sozialen Medien, vor allem von Tiktok und Pinterest. Ihr Interesse gilt aber klassischer Literatur wie Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ oder den Büchern von Franz Kafka. „Ich mag die tiefgründigen Gedanken der Autoren. Die zeitlosen Klassiker haben einen besonderen Charme“, findet sie.