Lkw-Fahrer Franco Filippone „Sie sterben sozusagen am Arbeitsplatz“ – Aber das erwähnt keiner

Franco Filippone, seit 40 Jahren als Fernfahrer am Steuer. Foto: Sebastian Ruckaberle

Seit 40 Jahren fährt Franco Filippone im Fernverkehr. Er hat einen Eimer für die Notdurft, kaum soziale Kontakte, Angst vor Unfällen und wenig Schlaf.

Geld/Arbeit: Daniel Gräfe (dag)

„Unter diesen Arbeitsbedingungen würde ich heut nicht mehr Fernfahrer werden“, sagt Franco Filippone. Der 61-Jährige, der für eine mittelständische Spedition aus dem Schwarzwald fährt, kämpft seit vielen Jahren im Kraftfahrerkreis für ein besseres Leben der Lkw-Fahrer auf und an den Autobahnen. Geändert habe sich fast nichts – auch deshalb werden derzeit in Deutschland mindestens 80.000 Lkw-Fahrer gesucht. Warum wir alle Teil des Systems sind, sagt Filippone im Interview.

 

Herr Filippone, welche Tour sind Sie zuletzt gefahren?

Ich habe Plastikbehälter für die Firma Fresenius nach Bad Homburg gebracht. Dann bin ich nach Ladenburg weiter, um Dämmstoffe für eine Baustelle nach Böblingen zu fahren. Dazwischen habe ich übernachtet.

Wie lange haben Sie nach einem Parkplatz gesucht?

Vielleicht eine halbe Stunde. Ich konnte zum Glück hinter Bruchsal an der Autobahn übernachten, zuvor waren alle Parkplätze voll. Weiter Richtung Stuttgart hätte ich keine Chance gehabt. Andere Fahrer übernachten in Industriegebieten – aber da muss man sich auskennen, außerdem verliert man viel Zeit.

Wie war der Parkplatz ausgestattet?

Da gab es nicht einmal ein Dixi-Klo. Da muss man wildpinkeln. Für das größere Geschäft habe ich einen kleinen Eimer dabei, in den ich eine Plastikfolie lege. Dann ziehe ich in der Fahrzeugkabine die Gardinen zu und entsorge danach die Plastiktüte im Müll. Das machen die meisten Fahrer so.

Wie machen Sie es mit ihrer Wäsche?

Ich habe das Glück, dass ich maximal zwei Wochen unterwegs bin. Ich nehme für zwei Wochen Wäsche mit, da habe ich schon Erfahrungswerte. Zuhause wäscht mir das meine liebe Frau. Die Kollegen aus Osteuropa oder Drittstaaten wie Indien haben es schwieriger. Die waschen teils per Hand in einem Eimer und geben etwas Spülmittel hinein. Das hängen sie dann auf dem Auflieger oder vorne unter der Motorkappe zum Trocknen auf.

Franco Filippone sitzt in seinem Truck auf einem Autobahn-Rastplatz. Foto: Daniel Gräfe

Wo übernachten Sie am liebsten?

Am liebsten auf einem Autohof, wo man abends auch etwas spazieren gehen kann. Manchmal haben sie auch eine Busverbindung, dass man in die Stadt fahren kann. Denn das Essen ist ja fast immer teuer und schlecht, außerdem gibt es meist die gleichen Gerichte, etwa Currywurst oder Schweineschnitzel. Deshalb nehme ich mir meist etwas zu essen mit.

Wie gut schlafen Sie?

Die ersten zwei, drei Stunden schläft man aus Müdigkeit noch tief und fest, danach ist es ein Dämmern. Es gibt immer Geräusche von der Autobahn, das Fahrzeug wackelt wegen der Luftstöße der vorbeifahrenden Autos. Außerdem fühlst du dich in deinem Fahrzeug ungeschützt.

Wurden Sie schon einmal überfallen?

Ich habe bisher Glück gehabt, ich bin bisher nur zweimal beim Be- und Entladen bestohlen worden, da war unter anderem mein Geldbeutel aus dem Führerhaus weg. Dann werden immer wieder die Planen durchgeschnitten – die Diebe wollen schauen, was sich holen lässt.

Macht das Berufsleben krank?

Schlechtes Essen, wenig Schlaf und Bewegungsmangel – da sind viele Fahrer übergewichtig. Wenn Sie auf die Unfälle schauen, dann entstehen viele, weil die Fahrer einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erleiden. Sie sterben sozusagen am Arbeitsplatz, aber das erwähnt keiner. Sie können davon ausgehen, dass fast täglich ein Fahrer an seinem Arbeitsplatz stirbt – ob durch einen medizinischen Notfall oder Unfall. In meiner Spedition hatten wir zwei Fälle in den vergangenen drei Jahren.

Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Arbeitgeber?

Ich arbeite bei einem mittelständischen Unternehmen – bei den Fahrzeugen zählen wir wahrscheinlich zu den Top 5 der mittelständischen Speditionen. Beim Lohn liegen wir im guten Mittelfeld. Und wir haben einen Betriebsrat – das ist eine Seltenheit bei den Mittelständlern. Kleine Speditionen kennen das nicht.

Wie viel verdienen Sie?

3000 Euro brutto für eine 50-Stunden-Woche. Dazu kommen Spesen und eine Zulage, weil ich auch gefährliche Güter fahren kann. Für Nachtfahrten gibt es einen Nachtzuschlag. Insgesamt komme ich so auf 3500 bis 3600 Euro brutto im Monat. Dazu gibt es Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und die Zulage für unfallfreies Fahren, was insgesamt einem 13. Monatsgehalt entspricht. Bei manchen kleinen Speditionen ist das ganz anders.

Worauf spielen Sie an?

Da steht der Mindestlohn manchmal nur auf dem Papier. Dann kommen Sie als Fahrer nur auf den Stundensatz, indem sie zum Beispiel die Spesen einbeziehen. Oder die Firma zahlt für acht Stunden, aber der Fahrer arbeitet tatsächlich zehn Stunden. Es kann auch sein, dass der Fahrer bei einem Schaden an den Kosten beteiligt wird.

Warum verändert sich nichts?

Weil wir als Gesellschaft nicht bereit sind, dafür den Preis zu zahlen – jeder will alles möglichst günstig haben. Unsere Auftraggeber drücken den Preis. Die Speditionen wiederum müssen dann sparen und flüchten aus dem Tarif. Die ganze deutsche Logistikbranche ist krank, da können sie hingehen, wo sie wollen. Dabei könnte es ganz anders sein.

Filippone in der Fahrerkabine seines Lkw. Foto: Daniel Gräfe

Was meinen Sie damit?

Die Fahrer sind sich bewusst, wie schlecht teils ihre Arbeitsbedingungen sind. Wenn wir uns organisieren würden, könnten wir Druck erzeugen. Wir bräuchten nur eine Woche, dann stünden die Bänder still. Aber jeder fährt für sich, es gibt keinen Zusammenhalt zwischen den Kollegen, man spricht ja kaum miteinander. Gewerkschaften spielen kaum eine Rolle.

Wie viele Lkw-Fahrer fehlen derzeit in Deutschland?

Rund 80.000. In einigen Jahren wird sich der Fachkräftemangel noch verschärfen, wenn die Babyboomer in Rente gehen. Deshalb werben die Speditionen viele Fahrer aus Drittstaaten an, etwa aus Indien, Bangladesch und Indonesien – allerdings mit mäßigem Erfolg.

Was schreckt den Nachwuchs ab?

Die Arbeitsbedingungen. Als Fernfahrer ist man die ganze Woche unterwegs. Die sozialen Kontakte verliert man nach und nach. Meist arbeitet man zehn Stunden am Stück, aber manche Fahrer überziehen, obwohl es das Arbeitszeitgesetz nicht erlaubt. Die Ruhezeit unterwegs können Sie nicht nutzen – Sie können weder Fußball spielen noch in einem Verein aktiv sein. Auch die Bezahlung ist nicht gut. Viele junge Leute brechen deshalb ihre Lehre ab. Und es fahren noch immer kaum Frauen.

Es gibt immer wieder Versuche, den Beruf attraktiver zu machen.

Darüber wird viel gesprochen, aber man kann ja jahrelange Versäumnisse nicht schnell ändern. Noch immer gibt es viel zu wenige Parkplätze und eine schlechte Infrastruktur an den Raststätten. Die meisten Fahrer müssen noch immer selbst be- und entladen, dazu sind hier die Standzeiten lang. Und für Fernfahrer ändern sich auch die Schichtzeiten und der schlechte Schlaf nicht. Es ist und bleibt kein geregeltes Leben.

Würden Sie selbst heute noch Fernfahrer werden?

Nein. Man hat sehr viele schöne Momente, das will ich nicht abstreiten. Aber unter diesen Arbeitsbedingungen würde ich es nicht mehr tun. Allein die vielen Wochenenden, die ich von zuhause weg bin. Wenn ich bedenke, wie wenig Zeit ich für meine Tochter hatte, macht mich das traurig.

Was war früher anders?

Als ich vor 40 Jahren angefangen habe, habe ich am Anfang 4000 DM verdient – das war damals viel Geld. Ich konnte mir ein kleines Häuschen bauen. Unterwegs wurde man nicht ständig überwacht. Außerdem kam es immer wieder vor, dass man zwischen zwei Ladungen ein, zwei Tage Zeit hatte. Ich war oft im Ausland unterwegs und konnte vor Ort etwas unternehmen. Heute kann man das Fahrzeug nicht mehr abstellen aus Angst, eine Strafe zu zahlen, es gibt nur wenige geeignete Parkplätze. Ohnehin sind fast nur noch Parkplätze an den Autobahnen geblieben.

Urgestein in einer harten Branche

Person
Franco Filippone wurde 1964 in San Remo geboren und kam als Sechsjähriger nach Deutschland. Nach einer Lehre zum Dachdecker stieg er als Aushilfsfahrer für Eduscho ein. Seit 1983 ist er Fernfahrer. Er ist verheiratet und hat eine Tochter.

Branche
Die Speditionen in Baden-Württemberg leiden unter der Krise in der Automobilindustrie, dennoch fehlen bundesweit 80.000 bis 100.000 Fachkräfte – neben Lkw-Fahrern mangelt es an Arbeitskräften im Lager und in der Disposition.

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