Lost Place Stuttgart Marodes Altes Armenhaus wird von Resten der Bordell-Nutzung befreit

Aktuell ist alles noch marode und geschlossen, es soll aber wieder schön werden: Das Alte Armenhaus in der Hauptstätter Straße 49 in Stuttgart. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Das Alte Armenhaus im Leonhardsviertel ist das älteste Haus der Stadt. Das hat der Verschönerungsverein Stuttgart beim Sanieren entdeckt. Bis das marode Gebäude endlich wieder in Glanz erstrahlt, sind Schwierigkeiten zu bewältigen – auch finanzielle.

Bauen/Wohnen/Architektur : Nicole Golombek (golo)

Sperrholzplatten an den Fenstern, an der Seite jede Menge Graffiti. Es sieht tatsächlich so aus wie es heißt: arm. Wenig deutet darauf hin, dass dies eines, wenn nicht das älteste Haus Stuttgarts ist. Gemeint ist das Alte Armenhaus in der Hauptstätter Straße, Ecke Weberstraße.

 

Viel hat sich in den vergangenen Jahren in der Straße getan, angefangen vom israelischen kleinen Restaurant direkt neben dem Brunnenwirt bis zum vietnamesischen Restaurant an der Ecke. Einige schicke Bars haben außerdem schon in der Weberstraße aufgemacht. Nur dieses Gebäude in Hauptstätter Straße 49 ist bis heute ein lost place.

Aufwertung des Viertels erhofft

Bis vor einer Weile war noch ein Café im Haus untergebracht. „Eher eine Art Aufwärmkneipe für Freier in der Gegend“, sagt die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle. Umso erfreulicher, dass sich einiges tut.

Das Café und das illegal betriebene Bordell im Obergeschoss sind inzwischen geschlossen. Der Verschönerungsverein Stuttgart hat mit der Stadt einen Erbpachtvertrag geschlossen und saniert das Haus seither. Zur Erinnerung: Die Stadt hatte im Zuge des Aufwertungsversuchs des Rotlichtviertels das Haus, das sie einst verkauft hat, zurückgekauft, konnte aber jahrelang nichts sanieren, da die Miet- und Pachtverträge eben mitgekauft werden mussten.

„Es ist ein wichtiges Signal, dass wir in Gemeinderat durchsetzen konnten, dass hier das Vorkaufsrecht genutzt wird“, sagt Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle. „Auch als Zeichen, dass sich im Leonhardsviertel etwas tut. Ich bin sehr froh, dass der Verschönerungsverein den Zuschlag bekommen hat, das Haus umnutzen und für die Öffentlichkeit zugänglich machen will.“

So könnte das Gebäude nach der Sanierung aussehen. Planskizze vom Architekten Peter Schell. Die denkmalgerechte Sanierung ist nicht günstig, und der Verein hofft auf finanzielle Unterstützung durch die Bürgerschaft. Foto: Verschönerungsverein/Peter Schell

Lange Jahre wurde das Haus für Prostitution genutzt. Bis es im neuen Glanz erstrahlt, wird es freilich dauern. „Seit Oktober letzten Jahres wird ununterbrochen am Gebäude gearbeitet“, sagt Erhard Bruckmann, Vorsitzender des Verschönerungsvereins.

Da es sich um ein denkmalgeschütztes Haus handelt, ist vor der Sanierung eine denkmalkundliche Voruntersuchung nötig. „Diese umfasst bauhistorische, baubiologische und zum Beispiel auch dendrochronologische Untersuchungen.“ Dabei, erklärt Bruckmann, werde eine Holzprobe genommen und darauf untersucht, in welchem Jahr der Baum, von dem der Balken stammt, geschlagen wurde.

Stuttgarts ältestes Haus

„Die Bäume, aus denen die Balken entstanden, die beim Hausbau Verwendung fanden, wurden im Winter 1581/1582 im Schwarzwald geschlagen und im frühen Frühjahr per Floß nach Stuttgart transportiert“, sagt der Vereinsvorsitzende. „Damit ist das Gebäude in der Tat das allerälteste noch existierende Wohnhaus aus der alten inneren Stadt Stuttgart – ohne Bad Cannstatt und Vororte.“

Ein kleiner, aber bedeutender Stadtbaustein also, so sieht es auch Veronika Kienzle. „Es ist stadthistorisch ein wichtiges Gebäude, das erahnen lässt, wie die Stadt früher aussah. Die Sanierung wird hoffentlich dazu beitragen, das Quartier zu ertüchtigen und in ein lebenswerten Ort zu verwandeln. Es ist doch nicht hinnehmbar, dass kleine Kinder da zwischen den Bordellen und Kneipen, in die sich Polizisten nur zu zweit hineintrauen, hoch zur Jakobschule laufen müssen. Oder dass man morgens um 10.30 Uhr in der Hauptstätter Straße hinterm Gustav-Siegle-Haus steht und dauernd gefragt wird, ob man Drogen kaufen will.“

Jedes Haus im Viertel, das auf den Markt kommt, werde geprüft, manche kaufe die Stadt, andere,„bei denen von einer anderen Nutzung als bisher ausgegangen werden kann, werden frei in den Verkauf gegeben“, sagt Veronika Kienzle: „Was einst billig verkauft wurde, kann die Stadt jetzt nicht alles teuer zurückkaufen. Wir müssen aber eine Grundsatzentscheidung treffen, ob wir den Rotlichtbezirk in ein Viertel für die Stadtgesellschaft, auch für junges Wohnen zum Beispiel, zurückerobern wollen und entsprechend handeln.“

Umbauten haben dem Gebäude geschadet

Der Verschönerungsverein tut sein Bestes dazu. Aktuell wird alles, was im Haus verbaut war, zurückgebaut, Schichten aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden freigelegt. „Das ist erforderlich, um sichere Erkenntnisse über den statischen Zustand zu erhalten“, sagt Bruckmann, „denn das Gebäude wurde in mehr als vier Jahrhunderten mehrfach im Inneren umgebaut und erlitt dadurch erhebliche Verformungen des Tragwerkes.“

Bis die Statiker all das geklärt haben, bleibt das Haus von außen unberührt. Und daher sind auch keine Besuche möglich, weder von Redakteurinnen noch vom Fotografen: „Das Gebäude und vor allem extrem steile und enge Treppen sind im Inneren nicht durch reine Besucher begehbar“, sagt Erhard Bruckmann. Auch die noch sichtbaren Reste der alten Bordell-Nutzung hält der Vereinsvorsitzende nicht für vorzeigbar. „Darüber ist die Zeit hinweg gegangen, das wollen wir nicht verbildlicht sehen.“

Die Kosten fürs Sanieren belaufen sich voraussichtlich auf rund 1,5 Millionen Euro. Der Verein muss Geld sammeln, hat „noch keine hinreichende Anzahl von Spenden- und Förderzusagen“, so Bruckmann. Wenn alles klappt, soll im Erdgeschoss ein öffentlich nutzbarer Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Versammlungsraum für Vereine, Gruppen, Institutionen aus den inneren Stadtbezirken entstehen, dazu eine Dauerausstellung über das Haus und das Leonhardsviertel.

Spenden sind erwünscht

Im Obergeschoss sind die Büroräume des Vereins nebst Archivraum, Bibliothek und Technikraum geplant, und im Dachgeschoss ein Besprechungsraum für die Gremien des Vereins.

„Wir verfügen über ein schon sehr erhebliches Eigenkapital, haben Förderzusagen des Landesamtes für Denkmalpflege und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, die sich zu unserer großen Freude dieses für deren Verhältnisse relativ kleinen Projektes angenommen hat, eben weil es als ältestes Wohnhaus doch etwas sehr Besonderes ist“, sagt der Vereinsvorsitzende. „Schließlich haben wir bereits von zwei Familienstiftungen mit Sitz in der Region Stuttgart erhebliche Spendenmittel und Zusagen für spätere Jahre erhalten. Auch eine ganze Reihe größerer Einzelspenden hat uns schon erreicht.“

Da Inflation und steigende Baukosten auch Sanierungen verteuern, ist dem Verein jede Spende, „egal ob klein oder groß“ willkommen, so Bruckmann. Die Stadtgesellschaft ist gefragt, welches architektonische Gesicht die Stadt, in der sie lebt, haben soll.

Info

Spenden
Der Verein benötigt weiterhin erhebliche Spendenmittel, um dieses für die Stadtgeschichte, das Stadtbild und die gemeinnützigen Nutzer so wichtige Projekt zu realisieren. Spendenkonto: Es ist das Konto Verschönerungsverein Stuttgart e. V. bei der BW-Bank, IBAN: DE16 6005 0101 0405 5449 34, BIC: SOLADEST600, Stichwort: Altes Armenhaus.

Verschönerungverein
Seit 1861 wirkt der Verein bereits in der Stadt, um Baudenkmäler zu erhalten oder zu verschönern. Beispiele sind der Hasenbergturm, der Kriegsbergturm und der Killesbergturm.

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