Eine Gruppe israelischer Schüler war zu Besuch in der Stuttgarter Max-Eyth-Schule, um dort mit Neuntklässlern über ihre Erfahrungen mit Antisemitismus und dem Krieg im Nahen Osten zu sprechen.
Ein Stuhlkreis in einem Klassenzimmer der Max-Eyth-Schule. Auf der einen Seite deutsche Neuntklässler, ihnen gegenüber israelische Jugendliche. Es ist heiß, die Fenster im Raum sind geöffnet. Draußen beschleunigt ein Motorradfahrer. Ein Hintergrundgeräusch, das die deutschen Schüler kaum wahrnehmen, das jedoch bei Lotem, einer der israelischen Besucherinnen, Erinnerungen an das Leben in ihrem Heimatland weckt, die sie kurz zusammenzucken lassen.
Mehr Austausch für mehr Verständnis
Es ist ein kurzer Moment in dem gut einstündigen Gespräch zwischen den Jugendlichen. Doch er zeigt, dass die Lebenswirklichkeiten der beiden Gruppen unterschiedlicher kaum sein könnten.
Organisiert wurde das Treffen von Scora (Schools Opposing Racism and Antisemitism). Dieses Programm fördert deutsch-israelische Schulpartnerschaften und setzt sich gegen Antisemitismus und für Demokratieförderung ein. Die Max-Eyth-Schule ist eine dieser Partnerschulen und deshalb Teil des gut gefüllten Terminkalenders der israelischen Besucher.
Offener Umgang mit dem Thema Krieg
Die Schule bekam vorab nur wenige Informationen zu der Veranstaltung. Das Sicherheitsrisiko für die israelischen Gäste, die aus verschiedenen Teilen des Landes kommen, wurde als zu hoch eingestuft. „Unsere Schüler haben in Geschichte schon über den Krieg in Gaza gelernt“, sagt die Schulleiterin Anne Gsell über die Vorbereitung der deutschen Schüler auf den Besuch. Zusätzlich hätten sie sich nun spezifische Fragen überlegt.
Geplant war ein eher leichter Einstieg, wie eine der Neuntklässlerinnen erzählt. Stattdessen beginnen die acht israelischen Jugendlichen sofort mit Schilderungen des siebten Oktobers, dem Tag des Terrorangriffs der Hamas auf Israel. Einer von ihnen war am Tag vor dem Angriff in ein Freizeitcamp gefahren. Mitten im Wald, fernab der Zivilisation. Als er am nächsten Morgen aufwachte und mehrere verpasste Anrufe von Familie und Freunde hatte, habe er feststellen müssen, dass er durch die abgeschiedene Lage des Camps zwar sicher gewesen sei, doch er habe nicht helfen können. Viele seiner Nachbarn seien gestorben, seine Familie habe überlebt.
Schwierige Fragen und komplexe Themen
Die deutschen Schüler sind etwas überrumpelt von dem Einstieg. „Wir haben nicht erwartet, dass es gleich so emotional werden würde“, sagt die 14-jährige Vivien. Doch der offene Umgang mit dem Thema nimmt ihnen auch einen Teil der Scheu. Alle Fragen sind erlaubt, betonen die Gäste.
So stellen die deutschen Gymnasiasten auch Fragen zu den Zivilisten in Gaza, die keine Schuld am Terror der Hamas hätten und trotzdem massiv unter dem Krieg litten. „Niemand von uns möchte, dass unschuldige Menschen getötet werden“, antwortet einer der israelischen Jugendlichen. Die anderen nicken zustimmend. Doch die Situation sei sehr kompliziert. „Wir haben auch nicht all die richtigen Antworten“, sagt eine von ihnen.
Schnell wird klar, dass das Thema zu groß und kompliziert ist, um ihm in so kurzer Zeit gerecht zu werden. Doch die Emotionen der Jugendlichen werden deutlich. Ihr Frust, ihre Angst und ihre Hoffnung auf eine Zukunft, die weniger geprägt ist von Hass und Konflikt. Der 15-jährige Marino sagt nach dem Gespräch: „Ich finde es toll, dass die israelischen Jugendlichen den Mut haben, hierherzukommen und mit uns über das Thema zu reden.“ Alma, die aus Jerusalem kommt, erklärt: „Es ist unsere Pflicht, darüber zu reden.“
Es gibt auch leichte Momente, in denen der Ernst der Situation von beiden Seiten abfällt und schnell Gemeinsamkeiten gefunden werden. Nachdem der offizielle Teil vorbei ist, unterhalten sich die Schüler über den Ausgang der Fußball-Europameisterschaft. „Oh, ich liebe die Brezeln hier!“, ruft eine der israelischen Jugendlichen mit leuchtenden Augen, als sie das Buffet sieht. Das wiederum freut die schwäbischen Gastgeber.
Die Besucher erleben auch hier Antisemitismus
Doch die israelischen Besucher machen klar, dass der Krieg in ihrer Heimat sie immer begleitet. „Ihr seht uns hier vielleicht lachen, aber das ist nur eine Art, mit der Situation umzugehen“, sagt eine der Jugendlichen. Und auch Hunderte Kilometer von zu Hause entfernt können sie sich kaum sicher fühlen. Seit ihrer Ankunft in Deutschland vor wenigen Tagen haben sie wiederholt antisemitische Vorfälle erlebt, berichtet eine der Israelis.
Beim Public Viewing hätte eine Gruppe sie offen angestarrt und gefilmt, als sie die Jugendlichen hebräisch sprechen hörten. In einem Dönerladen habe der Besitzer wissen wollen, wo sie herkämen, nachdem er ihre Gespräche auf hebräisch gehört habe. Die Stimmung sei aggressiv gewesen, und er habe den Jugendlichen nicht geglaubt, als diese aus Sorge behaupteten, griechisch zu sein.
Wie sich der Konflikt lösen lasse, möchte einer der deutschen Schüler wissen. Wieder eine große und doch nachvollziehbare Frage. „Bildung“, antwortet einer der Israelis. Künftigen Generationen dürfe nicht mehr Hass auf Andersdenkende beigebracht werden.
So gesehen sind die Jugendlichen, sowohl die deutschen als auch die israelischen, auf einem guten Weg. 2022 konnten Schüler der Max-Eyth-Schule an einem Austausch in Israel teilnehmen. Unklar, ob und wann das künftig wieder möglich sein wird. Dafür müsste wohl zuerst der Krieg beendet werden. Dann müssten Jugendliche wie Lotem und die Menschen im Nahen Osten beim Geräusch eines vorbeifahrenden Motorrads nicht mehr zusammenzucken.