185 Menschen leben derzeit in der Unterkunft für Geflüchtete im Westen von Echterdingen. Der Großteil von ihnen ist aus der Ukraine geflohen. Wie sieht deren Leben im Camp aus? Die Ukrainerin Warissa gibt Einblicke in ihren Container.

Filderzeitung: Sandra Belschner (sbr)

Auf einer schmalen Stufe sitzt eine Frau, etwa in ihren Fünfzigern, und blättert in einem Prospekt. Ihre Füße, in blaue Hausschuhe gesteckt, wippen zur ukrainischen Popmusik, die aus dem Container hinter ihr dringt. Zwischen ihren Beinen rollt ein Ball, den ein paar Jungs von Container zu Container kicken, drei Mädchen fahren auf Inlinern vorbei.

 

An diesem sommerlichen Tag Ende Oktober herrscht ein gemütliches Treiben in der Geflüchtetenunterkunft im Westen von Echterdingen. Auf dem ehemaligen Renault-Gelände leben derzeit 185 Menschen. Zwei Drittel der 132 Container sind von Ukrainerinnen, ihren Kindern und Enkeln bewohnt. Vor etwa einem Jahr hat die Stadt Leinfelden-Echterdingen die Unterkunft errichten lassen – vor allem weil zu dieser Zeit viele Menschen aus der Ukraine Schutz suchten.

Manche der Bewohner nutzen das gute Wetter und trocknen ihre Wäsche, andere haben ein paar Plastikstühle für einen Plausch in der Sonne zusammengeschoben. Durch die Gänge zwischen den Containern wuselt die elfjährige Angelina, die mit ihrer Mutter, Großmutter und ihren Geschwistern aus der Ukraine kam. Sie sei so etwas wie „die gute Seele des Camps“, sagt der ehrenamtliche Helfer Thomas Richter-Alender. Weil sie in einem beachtlichen Tempo Deutsch gelernt habe, sei sie häufig „Vermittlerin zwischen den Geflüchteten der Stadt und den Ehrenamtlichen“. Sie fragt die Frau vor dem Container, ob sie ihr Zuhause zeigen möchte.

Ein Versuch von Privatsphäre

Warissa heißt die Frau, die jetzt mit einladender Geste hinter sich in ihr Zimmer zeigt. Auch sie ist Ukrainerin und vor dem Krieg in ihrem Heimatland geflüchtet. Den Container kaum betreten, lässt sich Warissas Zuhause schnell überblicken: Zwei Betten, ein kleiner Tisch mit Stühlen, ein Kühlschrank, ein Spind für Kleidung. In einem überfüllten Regal liegen Mandarinen neben Notizzetteln, Socken neben Zeitschriften, Kaffeetassen stapeln sich neben Plastikdosen, aus denen Haarbürsten und Duschgelflaschen herauslugen. Eine Neonröhre taucht das Zimmer in ein kühles Licht. Den ohnehin schon geringen Platz teilt sich Warissa mit einer anderen Frau aus der Ukraine. Zwei Alltage, die auf 19 Quadratmeter passen müssen. Vor dem Fenster haben die beiden einen Vorhang angebracht – ein Versuch von Privatsphäre. Drinnen ist das kaum möglich. Zeit für sich hat eine der Frauen nur dann, wenn die andere zufällig nicht da ist.

Trotzdem scheint sich Warissa hier wohl zu fühlen, immer wieder zeigen sich ihre lächelnden Augen unter dem rötlichen Pony. Nur die Nächte seien nicht immer einfach, erzählt sie: „Manchmal kann ich nicht schlafen, weil es zu laut ist. Manchmal gibt es Streit bei den Nachbarn.“ Wenn Warissa nachts auf die Toilette muss, muss sie raus in die Dunkelheit und Kälte und zu den Sanitärcontainern laufen.

Unweit von Warissas Zimmer liegen die Gemeinschaftsräume des Camps, die sich die Geflüchteten teilen: Küchen, Waschräume, ein Hausmeisterraum, Duschen und Toiletten. Zwei Gänge, auf denen sich alles abspielt. In einer der Küchen brät eine Frau Hackfleisch, eine andere verlässt im Handtuch umwickelt gerade die Dusche, während der Geruch von angedünsteten Zwiebeln zwischen den Gängen des Containerdorfs wabert und ein kleiner Junge gerade Mehl nach oben trägt. Von der viel befahrenen Leinfelderstraße ist nicht viel zu hören.

Der Schallschutz habe beim Bau der Unterkunft eine wichtige Rolle gespielt, heißt es seitens der Stadt. Da überwiegend Frauen mit ihren Kindern auf das Renault-Gelände zogen, waren auch Gemeinschaftsräume bei der Planung wichtig. In einem Container findet regelmäßig ein Basteltreff statt, in einem anderen gibt es Hausaufgabenbetreuung. Doch weil es laut Roman Stuiber, Leiter des städtischen Amtes für soziale Dienste, in der Vergangenheit immer wieder zu Vandalismus in den Räumen kam, habe man sich dazu entschieden, die Container nur zu öffnen, wenn ehrenamtliche Helfer vor Ort sind. Auch über den Bau eines Spielplatzes hat die Stadt vor einem Jahr nachgedacht, heute steht auf dem Gelände ein Basketballkorb.

Ehrenamtliche bieten Unterstützung durch Sprechstunde

Mittlerweile hat sich die Sonne hinter den Containern herabgesenkt. Thomas Richter-Alender schließt das Büro auf, in dem alle zwei Wochen eine Sprechstunde für die Geflüchteten stattfindet. Meist gehe es dabei um das Ausfüllen von Formularen, erzählt Richter-Alender, ab und an sind es einfache Fragen wie zum Beispiel, woher man einen Kinderwagen bekommt. Heute nimmt eine Frau aus der Ukraine an dem Tisch Platz. Sie hat einen Zettel dabei, den ihr Sohn aus der Schule mitgebracht hat. Auf dem steht, dass der 14-Jährige in einer neuen Schule angemeldet werden soll. Die Frau ist ratlos.

Manchmal gleiche die Arbeit der Ehrenamtlichen einem Ratespiel. Mit im Team ist auch Ivan Zinchenko, ein Dolmetscher aus der Ukraine. Zusammen machen die beiden einen Termin in der Schule aus, bei dem Richter-Alender die Frau begleitet, um herauszufinden, was es mit dem Zettel auf sich hat. Die Frau ist beruhigt und erzählt noch ein bisschen von ihrem Alltag: Schule, lernen, kochen. Auch sie hält die Hellhörigkeit durch die dünnen Wände manchmal vom Schlaf ab. Viel gibt es nicht zu sagen, weil im Normalfall das Heute dem Gestern gleicht.