Wir halten uns für einzigartig. Dabei gibt es uns meist mehrmals – zumindest, was den Namen angeht. Die Geschichte der Familiennamen reicht weit zurück. Unsere Autorin hat ihre Doppelgängerin in Zürich besucht.

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Sie hat blondes, schulterlanges Haar, trägt eine Brille. Ihr Lächeln wirkt freundlich und auf eine besondere Art schlau. Vielleicht denke ich das auch, weil sie auf dem Foto, das ich im Internet von ihr sehe, neben einer großen Infotafel steht mit Grafiken und Wörtern wie Oligonukleotide und Quadruplex. Sie heißt Eva-Maria Manz. Aber sie ist nicht ich. Sie ist eine andere. Eine Doktorandin der Biologie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich. Ich beschließe, der anderen Eva-Maria Manz zu schreiben und in die Schweiz zu fahren, um sie zu treffen.

 

Wir glauben alle, wir seien einzigartig. Teil unserer Individualität ist unser Name. Wer nicht gerade Michael Müller oder Susanne Schmidt heißt, begegnet selten jemandem, der exakt gleich heißt. Anhand von Ruf- und Nachnamen strukturiert sich das Zusammenleben, wir werden behördlich mit Namen erfasst, in der Schule unterscheidet die Lehrerin uns mithilfe der Namen, unsere Dokumente und digitalen Identitäten im Internet weisen uns über den Namen aus.

Die poetische Kraft von Namen zeigt sich in der Literatur

„Namen sind sehr wichtig für die Menschen“, glaubt Jürgen Udolph, ein Onomastiker, Namensforscher, und ehemaliger Inhaber der einzigen deutschen Professur für Namensforschung in Leipzig. „Der Name ist ein elementarer Teil des Menschen“, sagt Jürgen Udolph mir, als ich ihn in seinem Zentrum für Namensforschung in Chemnitz anrufe. Udolph verweist auf die perfide Taktik der Nationalsozialisten, Häftlingen Nummern zuzuweisen, statt sie beim Namen zu nennen – „eine Form der Entmenschlichung“ nennt Udolph das.

Die geradezu poetische Kraft von Namen zeigt sich in ihrer bewussten Verwendung in literarischen Werken. Etwa in einer Figur wie Firmian Stanislaus Siebenkäs bei Jean Paul, dessen zwei Vornamen pompös eine gewaltige Standhaftigkeit vorgeben, die dann vom lustigen, profanen Nachnamen wieder einkassiert wird. Ähnlich dem Schicksal Siebenkäsens selbst, dessen intellektuelle Ambitionen als Advokat immer wieder an der Enge der bürgerlichen Gesellschaft und dem Kleinstadtleben zerschellen.

Oder Bendix Grünlich, der Tony Buddenbrook umwirbt im großen Familienroman von Thomas Mann. Wie sich herausstellt, ist Grünlich ein Heiratsschwindler. Grünlich wirkt schon durch seine passive Wortendung geschwächt und halbseiden. Wie einer, der noch nicht einmal kräftig grün ist, nur schleimig-grünlich, dem Manieren und das gewisse Etwas fehlen, um sich mit jener überlegenen Selbstverständlichkeit in gehobener Gesellschaft zu bewegen, mit der seine spätere Frau Tony auftritt.

Im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz spielen Doppelgänger eine immer größere Rolle

Namen formen Identitäten. Dennoch, und hier sollten wir nicht kränkbar sein, kann man sich Namen nicht aussuchen. Und trotz ihrer identitätsstiftenden Wirkung gibt es unsere Namen meist mehrmals, wir haben Doppelgänger. Die US-Autorin Naomi Klein hat einen Essay über Doppelgänger geschrieben, nachdem sie im Internet wegen des gleichen Vornamens mehrmals mit der politisch nach Rechtsaußen abgedrifteten Autorin Naomi Wolf verwechselt und beschimpft worden war.

Wir leben in einer Zeit der Dopplungen, der Zerrbilder. In sozialen Netzwerken gibt es Doppelgänger in Form von Profilen. Im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz sind Doppelgänger kaum noch als fiktiv zu identifizieren. Was ist echt, was bedeutet das überhaupt und wer kann das dann erkennen?

Dieser Gedanke ist unheimlich. Und ich bin froh, als ich vor einem Straßencafé im Züricher Uniquartier einer Eva-Maria Manz aus Fleisch und Blut gegenüber stehe, die mir kräftig die Hand schüttelt. Es gibt die schlaue Doktorandin also wirklich. Sie erzählt, ihre Stuttgarter Großmutter gebe ihr manchmal meine Zeitungsartikel mit der scherzhaften Bemerkung, jetzt wisse sie also, was Eva-Maria nachts treibe. Das amüsiert beide, denn meine feuilletonistischen Texte sind weit weg von Eva-Marias Arbeitswelt.

Für Biologen liegt die Unterscheidbarkeit unserer Identität in den Genen

Was Namen aussagen und wo sie herkommen, ist für Germanisten wie mich interessant, Eva-Maria hingegen fragt zuerst, worüber ich in dem Zeitungsartikel schreiben will, denn meine Züricher Doppelgängerin hat als Naturwissenschaftlerin natürlich einen anderen Blick. Für Biologen liegt die Unterscheidbarkeit unserer Identitäten wohl vorwiegend in der komplexen Einzigartigkeit unserer Gene.

Eva-Maria forscht an RNA, erzählt sie. Das kenne ich nur als Schlagwort aus der Diskussion um Corona-Impfstoffe. Bei ihr geht es aber um kürzere Moleküle als jene, die in den Impfstoffen verwendet wurden, sagt sie. Mit der Technik, zu der sie forscht, können – vereinfacht gesagt – Nervenzellerkrankungen therapiert werden. Ich bin begeistert, die Arbeit von Eva-Maria erscheint mir sinnvoll.

Sie erzählt, seit einigen Jahren stelle sie sich anderen nicht mehr lediglich als Eva, sondern als Eva-Maria vor. Das sei nun einmal ihr Name. Sie findet es interessant, zu beobachten, ob sich andere dann daran halten oder sie eigenmächtig nur Eva nennen. Ein Doppelname stellt die Mitmenschen wohl immer auf die Probe.

Hätten die Eltern das Kind besser Kiki nennen sollen?

In der Jugend hätte ich gerne anders geheißen, exotischer und nicht so bürgerlich, wie ich damals fand. Auf meinem dörflichen Gymnasium nannten mich alle, sogar die Lehrer, Evi, denn es gab zwei weitere Eva-Marias in meiner Klasse. Doppelnamen für Neugeborene waren in den 80er Jahren gerade wieder in Mode. Meine Mutter erzählte, sie habe kurz überlegt, mich Kiki zu nennen, so hieß angeblich damals eine Tennisspielerin. Mit 15 hätte ich lieber Kiki geheißen, mit 25 schon weniger, und heute stünde ich mit diesem Namen wohl unter dem inneren Zwang, mir eine dazu passende extravagante Künstlerpersönlichkeit zuzulegen. Eva-Maria ist zufrieden mit unseren Vornamen, sagt sie. Die christlichen Namen Eva und Maria haben besonders in ihrer Kombination Sprengkraft, sie sind gewaltig und alles andere als bürgerlich.

In einer Kartei der häufigsten Vornamen im deutschsprachigen Raum ist Eva auf Platz 52, Maria auf Platz 28. Die Züricher Eva-Maria war in ihrem Geburtsjahrgang 1996 eine Seltenheit, glaubt sie. Der Name hatte ihren Eltern schlicht gefallen, eine Großtante hieß Eva, eine Urgroßmutter Maria. Oft mögen Eltern Namen mit ähnlichem Klang. Eva-Maria aus Zürich hat fünf Schwestern, die heißen etwa Sarah, Theresa oder Sophia. Meine Schwester heißt Cornelia. Da ist keine Jessica und keine Gudrun dabei.

Familiennamen sind wertvoll und interessant für die Forschung

Namensforscher Jürgen Udolph interessiert sich mehr für Nachnamen, die eben nicht von Moden beeinflusst sind. Familiennamen, heißt es auf der Internetseite des Forschungsprojekts Digitales Familiennamenwörterbuch (DFD), „konservieren sprachliches Material, kulturelle Gegebenheiten und mentale Einstellungen, das berufliche Spektrum in seiner ganzen Breite sowie wichtige Hinweise auf Siedlungs- und Wanderungsbewegungen des späten Mittelalters“. Sie sind eine wichtige Quelle für die Historische Sprachwissenschaft, die Kulturanthropologie, Religionswissenschaften und die Siedlungs- und Migrationsforschung. Das Forschungsprojekt DFD erschließt den aktuellen Familiennamenbestand Deutschlands und stellt die Ergebnisse digital allen zur Verfügung. Es wurde an der Mainzer Akademie der Wissenschaften und Literatur in Kooperation mit der Technischen Universität Darmstadt und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz begonnen, läuft seit 2012, und geht bis 2035. Wer einen seltenen Namen hat, wird dort aber meist noch nicht fündig.

Seit wann tragen die Menschen überhaupt Nachnamen? Jürgen Udolph erklärt, seit der Zeit um 1000 nach Christus. Man habe es sich so vorzustellen: Früher kam man in ein Dorf und fragte nach Walter, dann hieß es: Der wohnt da drüben. Als vielerorts mehrere Hundert oder Tausend Menschen zusammen lebten, war das nicht mehr so einfach, die Rückfrage könnte dann gelautet haben: Walter, der Schmid, Walter, der Blinde, oder Walter, der Lahme? „Mit dem Bevölkerungszuwachs entstand die Notwendigkeit, die Vornamen zu erweitern.“

Viele althochdeutschen Vornamen haben keinen Sinngehalt

Die Beinamen lassen sich offenbar in vier Kategorien einteilen. Sie ergeben sich aus alten germanischen Vornamen, aus der Herkunft, Äußerlichkeiten oder dem Beruf. Eva-Marias und mein Nachname ist mit dem prägnanten Z am Ende wohl eine Kurzform des althochdeutschen Rufnamens Mangold. Wie bei Hinz und Kunz, die von Heinrich und Konrad kommen. Mangold basiert auf dem althochdeutschen Personennamen Managwald und den Wörtern „manag“, was „viel“ bedeuten kann, und „waltan“ – „herrschen“. „Die Germanen gaben den Kindern kräftige Namen, die als Schutz vor dem gefährlichen Leben dienen sollten“, sagt Jürgen Udolph. „Damit drückte man aus: Er möge kräftig und durchsetzungsfähig sein.“

Jürgen Udolph muss aber auch viele Menschen enttäuschen, wenn sie glauben, mit seiner Hilfe in ihren Namen eine tiefere Bedeutung entdecken zu können. Viele der germanischen Rufnamen, von denen unsere heutigen Nachnamen abstammen, hatten nämlich keinerlei Sinngehalt. Das lasse sich gut am bekannten Hildebrandslied aus dem 9. Jahrhundert erkennen, sagt Udolph. Darin kämpfen Hildebrand und Hadubrand gegeneinander. Sie sind Vater und Sohn. Am Namen des Sohnes kann man dessen Abstammung erkennen, mehr nicht. „Nicht immer, aber oft sinnfrei wurde der Name des Vaters einfach leicht abgewandelt, und so entstanden neue Rufnamen“, erklärt Jürgen Udolph.

Verbreitung des Namens Manz in Deutschland Foto: StZN-Grafik/Björn Locke

Die Datengrundlage der heutigen Namensforschung ist eine Kartei, die 35 Millionen Namen enthält – eine sehr gute Grundlage, meint der Namensforscher. In dieser Kartei taucht Manz etwa 2300 Mal auf. Mit einer Formel hochgerechnet gibt es laut Jürgen Udolph dann im deutschsprachigen Raum heute an die 7000 Menschen, die Manz heißen. Auf Verbreitungskarten lässt sich erkennen, wo diese leben – nämlich vorwiegend in Baden-Württemberg. Historische Karten zeigen, wo die Manzens vor gut hundert Jahren gelebt haben: Auch damals vor allem im Südwesten, aber ebenso im Ruhrpott und in Pommern. Sie sind für die Forschung nicht besonders interessant.

Das sähe bei meinen anderen Vorfahren aus Preußen und Ungarn wohl anders aus. Jürgen Udolph haben seine Kenntnisse der Slawistik und Finnougristik bei der Spezialisierung auf die Namensforschung geholfen, denn sehr viele der heute im deutschsprachigen Raum lebenden Menschen haben Vorfahren aus dem Osten und tragen Nachnamen, die auf Wörter aus osteuropäischen Sprachen zurückzuführen sind.

Die Familienforschung zeigt erstaunliche räumliche Nähe der Vorfahren

Mein Urgroßvater Theodor Manz stammte aus einer Bauernfamilie im fränkischen Bayern. Er wurde 1887 geboren und kam Anfang des 20. Jahrhunderts auf der Walz in die Region Stuttgart, fand eine Frau und blieb. Interessant ist: Der Urgroßvater der Züricher Eva-Maria stammte offenbar aus der Gegend um Crailsheim, was zwar im nördlichen Baden-Württemberg liegt, doch nur 30 Kilometer vom Bauerndorf meiner Manzen entfernt. Da war bestimmt gar nicht so weit in der Vergangenheit unserer Familien doch ein gemeinsamer Vorfahr.

Ich frage mich, wie Google auf das Erscheinen dieses Artikels reagieren wird und uns künftig zuordnet. Vermutlich ist die Suchmaschine verwirrt. Eva-Maria und ich hingegen freuen uns, einander getroffen zu haben. Vielleicht meldet sich noch die Architektin aus dem Vogtland, die wir nur von Google kennen – ihr Name: Eva-Maria Manz.