Idyll mitten in einem Knäuel aus Infrastruktur: Tim Schaffarczik (r.) gehört zu denen, die im Neckar baden wollen. Foto: privat, Lichtgut/Christoph Schmidt
In der Seine in Paris haben 2025 drei Flussfreibäder aufgemacht. Am Neckar in Stuttgart kann man davon nur träumen. Von jungen Leuten, die trotz aller Hindernisse daran glauben.
Der Ort hat etwas von einem anderen Planeten. Er liegt inmitten eines Knäuels aus Infrastruktur: Schifffahrtsstraße, Stadtautobahn und Zugbrücke. Dort lässt sich erahnen, wie es wäre, in einer Stadt am Fluss zu wohnen. Ein Fluss, der nicht eingemauert vorbeirauscht, sondern in den man die Füße hängen oder sich treiben lassen kann. Ja, davon träumen sie hier.
Sonntags im Sommerhalbjahr öffnet die Insel, dann läuft man auf einem Steg über die Schleuse – und landet in einer anderen Welt. Bäume, Wiese, eine Holzterrasse vor einem umgebauten Container mit Gründach, „Bernd das Boot“ liegt umgedreht im Gras. Einmal kreischt ein Schwimmvogel so laut, dass er sogar den Stadtlärm für einen Augenblick übertönt. Im Flügelschlag, der aufs Wasser klatscht, mischt sich ein Tatütata.
Vor fünf Jahren haben junge Leute unter dem Schlachtruf „Wir wollen baden“ einen Ort geschaffen, an dem sich die Stuttgarter in den Neckar verlieben sollen. Sie haben gemerkt: Das ist kein Selbstläufer. „Viele haben Angst vor Neckarwasser“, sagt Tim Schaffarczik, „da kommen Aussagen wie: Da würde ich nicht mal meinen Hund reinlassen“. Um diesen Blick zu ändern, gibt es neben den offenen Sonntagen Inselführungen und Workshops.
Tim Schaffarczik ist einer der drei Hauptamtlichen des Vereins Neckarinsel, der eine kleine Fläche auf dem Eiland vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt pachtet. Von dieser Keimzelle aus wollen sie das Flussbaden in Stuttgart etablieren. Der 32-Jährige kommt gerade von einer Konferenz zum Thema in Rotterdam. Dort baden die Leute im Hafenbecken, erzählt er, während er auf der selbst gebauten Holzterrasse sitzt.
Die Holzterrasse haben die Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen selbst gebaut. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt
Er ist promovierter Kulturwissenschaftler, hat sich damit beschäftigt, wie Einwohner ihre Stadt gestalten. In Stuttgart setzt er um und arbeitet daran, dass man irgendwann mal ins Wasser darf. Der Job im Inselbüro ist wie für ihn gemacht.
„Das Flussbaden hat Konjunktur“, sagt er. Mal ganz zu schweigen von der Schweiz, wo das zum Sommer gehört, ist es neuerdings auch in Paris erlaubt. Seit diesem Sommer gibt es an der Seine drei Flussfreibäder. Die Olympischen Spiele 2024 machten es möglich – mehr als eine Milliarde Euro wurde in die Wasserqualität investiert, nun ist Schwimmen nach mehr als 100 Jahren wieder drin.
Stuttgart ist nicht Paris. Hier winken die Behörden ab, wenn es ums Baden im Neckar geht. Zum einen, weil der Fluss eine Straße ist – für Schiffe. Zum anderen, weil er zu dreckig ist, sei es durch Straßenschmutz, sei es durch die Landwirtschaft – oder durch verunreinigtes Klärwasser. Mit das größte Problem sind Kolibakterien, die normalerweise im menschlichen oder tierischen Darm vorkommen.
Das mit dem Schmutz wollen Tim Schaffarczik und die anderen widerlegen. Seit diesem Sommer werden Wasserproben entnommen. Das Geld dafür kommt aus einer Crowdfunding-Aktion. Auf der Webseite kann sich jeder die Badeampel ansehen. „Es gab bisher dieses Jahr kaum Überschreitungen“, sagt er. „Im Labor wundern sich viele über das gute Neckarwasser.“
Seit diesem Jahr werden Wasserproben am Neckar genommen. Foto: privat
Ihre Strategie ist Kooperation statt Konfrontation. Eine Schwimm-Demo wie in Berlin wolle man zum Beispiel nicht machen, sagt Tim Schaffarczik. Die Critical Nass auf Wasserfahrzeugen genügt. Sie merken, dass sie mehr erreichen, wenn sie sich die Entscheider gewogen halten. Denkt er wirklich, dass das Badeverbot eines Tages gekippt wird? Sie sind ja beileibe nicht die Ersten, die versuchen, aus Stuttgart eine Stadt am Fluss zu machen.
„Ich glaube, dass es möglich ist“, sagt Tim Schaffarczik. Und vielleicht bringt die IBA27 ja neuen Schub. Die Zukunft wird aufgrund des Klimawandels heißer. „Wir brauchen öffentliche Stellen zum Abkühlen.“ Wenn nicht anders möglich, dann auf eigene Verantwortung. „Warum kann einem verboten werden, die Natur zu nutzen?“, fragt er.
Sie loten aus, was geht und was nicht. „Wir denken oft in kleinen Schritten“, sagt Tim Schaffarczik. „In unserer täglichen Arbeit überzeugen wir immer mehr Leute.“ Nun haben sie sich beispielsweise vor Kurzem günstig 22 Stand-Up-Paddles zugelegt, die man gegen Spende borgen kann. Ein bisschen näher kommt man dem Wasser also.
Kuchen und Bingo für Ältere?
Zum Verein gehören drei Dutzend Mitglieder – die meisten sind jung. Man suche auch Kontakt zu älteren Stuttgartern, also zu Leuten Ü-30. Ideen seien Formate mit Kaffee, Kuchen oder Bingo, sagt Tim Schaffarczik.
Das nächste Schrittchen auf dem Weg zur Traumverwirklichung ist, die Wasserkläranlage, die sich bisher auf dem Containerdach befindet, zu erweitern. Enden soll sie in einem Becken, in das man sich setzen kann. Sie wollen baden. Notfalls erst einmal neben dem Neckar.