Aus dem Hinterhof ist ein würdiger Platz im Herzen der City geworden: 26 Jahre nachdem der zwischen Neuer Brücke und Schulstraße gelegene Tiefgaragendeckel den Namen Joseph-Süß-Oppenheimer-Platz erhielt, hat er nun endlich auch Platzcharakter.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Michael Kienzle, Geschäftsführender Vorstand der Stiftung Geißstraße, der so lange auf eine Aufwertung des Joseph-Süß-Oppenheimer-Platzes hingewirkt hatte, hielt sich bei der Einführung betont kurz. Die eisigen Temperaturen am Freitagvormittag veranlassten ihn zu dem Bonmot: „Erinnern darf nicht zu Erfrieren führen.“ Etwas Zeit benötigte die Einweihung dann aber doch. Aus gutem Grund. Immerhin 26 Jahre lang hat es gedauert bis aus dem Platz ein richtiger Platz wurde. Die feierliche Einweihung am Freitag nahmen Oberbürgermeister Frank Nopper und die Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg, Barbara Traub, vor.

 
„Ein Platz, der Zugang zur Geschichte bietet“: Barbara Traub von der Jüdischen Gemeinde Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone

Unter den zahlreichen Gästen war neben Landtagspräsidentin Muhterem Aras, die sich für eine Neugestaltung stark gemacht hatte, auch der eigens aus Australien angereiste, in Stuttgart geborene, jüdische Holocaust-Überlebende Garry Fabian. „Durch ihr Hiersein setzen sie ein Zeichen jüdischen Lebens“, sagte Traub an den 90-Jährigen gewandt. Ein junges Zeichen jüdischen Lebens setzte die Jugendgruppe Halev der jüdischen Gemeinde. Sie eröffnete die Feier mit Tanz und dem Titel „Shine up“, mit dem sie in diesem Jahr in Hannover den Jewrovision gewonnen hat, den größten Musik- und Tanzwettbewerb jüdischer Jugendzentren in Deutschland.

Ein schönes Bild: Jung und Alt gemeinsam, an die Vergangenheit erinnernd und in die Zukunft gerichtet – so stellt sich OB Nopper auch den neuen Joseph-Süß-Oppenheimer-Platz vor. Bei der Einweihung am Freitag nannte er ihn einen Ort „der Mahnung und der Hoffnung“. Barbara Traub bezeichnete den Platz als „würdig“. Er lade ein zu verweilen und biete einen Zugang zur Geschichte, in der lange ein Zerrbild von Joseph Süß Oppenheimer vorherrschte.

„Das Tiefbauamt hat eine Seele“

Auf das nachhaltige Betreiben der Stiftung Geißstraße hin hatte sich die Stadt im vergangenen Jahr an die schwierige Aufgabe gemacht, die 2500 Quadratmeter große Fläche rund um eine Tiefgarageneinfahrt mit sogenannten Baumquartieren, Sitzgelegenheiten und einem neuen Belag aufzuwerten. Diese Aufgabe hat sie nach dem Eindruck vieler Teilnehmer der Eröffnungsfeier hervorragend gemeistert. Zentrum und Herzstück des Platzes ist ein Gedenkort, der an Joseph Süß Oppenheimer erinnert, der 1738 in Stuttgart Opfer eines antisemitisch motivierten Justizmordes wurde. In der angrenzenden Turmstraße befand sich einst die Münze, die Oppenheimer errichten ließ Die veranschlagten Kosten für die Neugestaltung des Platzes von 2,5 Millionen seien eingehalten worden, versicherte Tiefbauamtsleiter Jürgen Mutz. Michael Kienzle würdigte den Einsatz der Stadt und speziell des Tiefbauamtes ausdrücklich: „Wir haben festgestellt, das Tiefbauamt hat eine Seele.“

Das antisemitische Schuld-Muster hält sich bis heute

Der neue Erinnerungsort besteht aus drei großen Cortenstahlplatten, in die der Name Joseph Süß Oppenheimer gefräst ist. Sie sind durch Stahlträger miteinander verbunden und bilden eine Art offenen Pavillon der auf den Platz ausstrahlt. In der Mitte befindet sich eine Sitzinsel, im Frühjahr wird zusätzlich ein Trinkbrunnen aufgestellt. Tafeln, die an den Stahlplatten angebracht sind, informieren in kompakter Form über Leben und Sterben des Geheimen Finanzrats, der Anfang des 18. Jahrhunderts in Diensten des württembergischen Herzogs Karl Alexander stand und nach dessen Tod zur Zielscheibe der württembergischen Ehrbarkeit und lutherischen Orthodoxie wurde, die ihn für die absolutistische Politik Karl Alexanders die Schuld gaben – ein bis heute festzustellendes antisemitisches Muster. Nach der als Volksfest inszenierten Hinrichtung Oppenheimers musste die jüdische Bevölkerung Stuttgart verlassen. Die Figur des „Jud Süß diente später den Nazis als Vorlage, um Judenhass zu befeuern.

OB Nopper sieht den Oppenheimer-Platz als Lernort

Der nach ihm benannte Platz soll das Gegenteil bewirken. Nopper sieht ihn auch als einen Lernort für Schulklassen, der über antisemitische Verzerrungen informiert. Er erinnerte an den Stuttgarter Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel und dessen aufklärerisches Credo: „Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener usf. ist.“ Seitdem hätten die Menschen wenig dazugelernt. „Antisemitismus, Hass und Diskriminierung brechen wie Pestbeulen immer wieder auf“, sagte Nopper: „Dem muss sich eine humanistische Gesellschaft im Sinne Hegels mit aller Entschiedenheit entgegenstellen.“ Der neue Erinnerungsort seine eine Aufforderung an alle, „Wächter für freundschaftliche Koexistenz“ zu sein.

Barbara Traub: „Einen Raum für Vielfalt schaffen"

Für Barbara Traub ist Oppenheimers Geschichte unverändert aktuell. Seine Ermordung stehe „sinnbildlich für viele Episoden der Ausgrenzung in unserer Geschichte“, sagte sie und wies darauf hin, dass das „fürchterliche Pogrom gegen Juden im Süden Israels vom 7. Oktober weltweit zu Judenfeindschaft und einer nie dagewesenen Welle des Antisemitismus geführt hat“. Der Oppenheimer-Platz sei ein geeigneter Ort, „um Entwicklungen in unserer Gesellschaft bewusst zu reflektieren und zu erkennen, dass wir vielfältig sind“. Ihr Appell: „Wir müssen Raum für Vielfalt schaffen, wenn wir unsere Menschlichkeit bewahren wollen.“

dd