Neues Quartier am Neckar In der Wendlinger Spinnerei wird nun das Gebäude von 1861 saniert

Seit Anfang Juni wird das denkmalgeschützte Hauptgebäude aus dem Jahr 1861 saniert. Foto: Kerstin Dannath

Für rund 27 Millionen Euro sollen in dem denkmalgeschützten Gebäude in Wendlingen Gewerbeflächen entstehen. Die Vermarktung gestaltet sich aktuell allerdings schwierig.

Es ist das bislang teuerste und größte Projekt in der Firmengeschichte der HOS: Für rund 27 Millionen Euro wird seit Anfang Juni der denkmalgeschützte Hochbau im Wendlinger Neckarspinnerei-Quartier (NQ) saniert. Das Gros steuert die Wendlinger Firma selbst bei: „Es gibt Zuschüsse in Höhe von 1,8 Millionen Euro, den Rest bezahlt die HOS“, bestätigt HOS-Geschäftsführer Andreas Decker.

 

Entstehen sollen moderne Gewerbeflächen auf insgesamt 12 000 Quadratmetern über drei Geschosse verteilt. Bevor mit der Sanierung des Gebäudes von 1861 begonnen werden konnte, stand ab Januar zunächst eine komplette Entkernung an. Der Grund: Für die Wandbeschichtung wurden bleihaltige Farben verwendet, und die Böden sowie Decken war teils mit Asbest belastet. „Im dritten Obergeschoss musste deswegen die Decke komplett raus“, bestätigt HOS-Projektkoordinatorin Martina Krüger.

Zwei Ankermieter für Spinnerei gefunden

Ab der ersten Planung wurde eng mit dem Denkmalamt zusammengearbeitet. Größere Überraschungen blieben aus; Schätze habe man bislang keine gefunden, sagt die Architektin Krüger. Mit Leben Inklusiv, der ehemaligen Behindertenwerkstatt aus Frickenhausen, und dem Kreisjugendring Esslingen stehen zwei Ankermieter fest. Leben Inklusiv zieht mit seiner aktuell noch in Oberboihingen beheimateten Werkstatt um und wird im Erdgeschoss eine öffentliche Kantine betreiben. Dazu kommen Büroräume für die Verwaltung. Der KJR zieht ebenfalls mit seiner zentralen Verwaltung ins NQ um.

Im sogenannten Endbau im Erdgeschoss ist eine etwa 400 Quadratmeter große Veranstaltungsfläche geplant, die über die HOS vermietet wird. „Dafür werden wir noch eine Eventgesellschaft gründen. Die Fläche soll dann komplett mit Service zu buchen sein“, kündigt Decker an. Ebenfalls im Erdgeschoss bleibt der Werksverkauf der Luxorette, einem Ableger der HOS, die hochwertige Heimtextilien vertreibt. Der Werksverkauf ist auch während der Sanierung geöffnet. Die übrigen Flächen können je nach Mieterwünschen flexibel gestaltet werden, auch rund 800 Quadratmeter kurzfristig verfügbare Co-Working-Spaces sind geplant.

Eine Aufnahme der Neckarspinnerei von 2017 Foto: Archiv Horst Rudel

„Frei sind noch rund 3000 Quadratmeter“, sagt Decker. Leider laufe die Vermarktung aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage aktuell nicht mehr so, wie man es sich gewünscht habe, sagt der HOS-Geschäftsführer. Zwar sei man mit einigen Interessenten bereits in engen Verhandlungen gewesen, letztlich seien diese aber doch abgesprungen: „Vor zwei Jahren war die Situation wesentlich besser. Da hätten wir die Flächen gleich mehrfach vermieten können.“

Miete von 20 Euro je Quadratmeter – zu teuer

Obendrein musste sich die HOS von der ursprünglichen Idee, auch Wohneinheiten in das Gebäude zu integrieren, verabschieden. Die Auflagen hinsichtlich Lärmschutz und Statik seien so hoch gewesen, dass die Wirtschaftlichkeit auf der Strecke blieb, erklärt Krüger. Geplant war der Einbau von einigen größeren Maisonette-Wohnungen im Obergeschoss. „Doch bei den Auflagen wären wir auf einen Mietpreis von rund 20 Euro pro Quadratmeter gekommen“, sagt Decker. Der marktübliche Preis in Wendlingen liegt für einen Neubau bei etwa 14 Euro pro Quadratmeter: „Auch wenn es sehr schade ist, aber in den Hochbau Wohnungen einzubauen, wäre nicht marktgerecht gewesen. Das hätte sich keiner leisten können“, so Decker. Fertig saniert sein soll bis Herbst 2026: „Dann können die Mieter einziehen.“

Nebenan laufen aktuell die abschließenden Arbeiten der Alten Werkstätten. Das dreiteilige Gebäudeensemble hinter dem Spinnerei-Hochbau wurde in eine multifunktionale Veranstaltungsfläche für Kultur- und Gemeinschaftsveranstaltungen umgewandelt, die Eröffnung soll spätestens im Oktober diesen Jahres über die Bühne gehen. „In den Alten Werkstätten können etwa Teamevents von Firmen mit Workshops durchgeführt werden“, erklärt Decker. Mit seinem flexiblen Raumkonzept inklusive Café wurde das Projekt von der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH und der Internationalen Bauausstellung 2027 (IBA27) ausgezeichnet. Insgesamt steht eine Nutzfläche von rund 200 Quadratmetern zu Verfügung. Sie kann komplett oder in Teilen angemietet werden, bespielt werden die Alten Werkstätten künftig von der bereits auf dem Gelände tätigen Art Factory, die sich im Spinnereihochbau vor der Sanierung bereits für einige Veranstaltungen wie Workshops und Poetry Slams verantwortlich war.

Die Zukunft und Historie des Quartiers

Quartier
Das rund fünf Hektar große ehemalige Industrieareal liegt direkt am Neckar im Wendlinger Stadtteil Unterboihingen, es ist ein offizielles Projekt der Internationalen Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart (IBA27) und gehört der Wendlinger HOS-Gruppe. Peu à peu soll ein produktives, ökologisch nachhaltiges und durchmischtes Gebiet entwickelt werden, das Arbeiten und Wohnen verbindet.

Bestand
Zunächst steht der historische Bestand im Fokus. Bereits seit 2022 wird das ehemalige Baumwolllager von diversen Start-ups genutzt, auch in benachbarten Gebäuden sind innovative Unternehmen eingezogen. „Der Fokus liegt zunächst auf der Nutzung der Bestandsgebäude“, bestätigt HOS-Geschäftsführer Andreas Decker. Bevor es an die geplanten Neubauten geht, müssen erst die jeweiligen Nutzer parat stehen. Decker schätzt, dass die komplette Entwicklung des NQ nicht vor 2035 abgeschlossen sein wird.

HOS-Gruppe
Die HOS-Gruppe blickt auf eine über 200-jährige Unternehmensgeschichte zurück. Anno 1816 gründete Immanuel Friedrich Otto eine Färberei in Nürtingen, Ende der 1850er-Jahre ging der Betrieb an seinen Sohn Heinrich Otto. In der Blütezeit betrieb die Familie zwischen Neckartenzlingen und Reichenbach/Fils neun Textil-Produktionsstandorte. Heute hat sich der Schwerpunkt des Unternehmens auf den Immobiliensektor, genauer die Vermarktung ihrer Liegenschaften und die Energiewirtschaft verlagert; so betreibt die HOS-Gruppe unter anderem drei Laufwasserkraftwerke am Neckar mit einer Leistung von insgesamt 1,3 Megawatt.

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