Nicht nur in Bäckereien werden in diesen Tagen Tausende von Neujahrsbrezeln hergestellt. Das Stück aus gesalzenem Teig gilt bei Kulturhistorikern als Glücksbringer und wird immer mehr zur Weihnachtsbrezel.

Strohgäu - Schon ihre Oma habe Neujahrsbrezeln gebacken, erzählt Christine Rau-Lehleuter, die Vorsitzende des Landfrauenvereins Münchingen. Die Tradition gibt es aber schon länger: Neujahrsbrezeln gelten seit Jahrhunderten als Glücksbringer. Es gibt sie in anderen Regionen in wechselnden Formen, als Kranz oder Ring. Den Bäckern verschafft das Saisongebäck mit kulturellem Hintergrund zusätzliches Geschäft – und Umsatz.

 

Die Neujahrsbrezel wird zur Weihnachtsbrezel

„Die Neujahrsbrezel ist in unserer Region ein Muss“, sagt der Obermeister der auch für den Kreis Ludwigsburg zuständigen Bäckerinnung Stuttgart-Nord, Georg Strohmaier. Die überdimensionale Brezel aus einem mild gesalzenen mürben Hefeteig mit hohem Fettanteil sei „der Artikel schlechthin an Silvester“, sagt der Bäckermeister aus Remseck-Aldingen. Die beliebtesten Größen seien die Brezeln mit 230, 440 und 660 Gramm. Wie bei vielen anderen Artikeln beobachte er auch bei der Neujahrsbrezel, dass die Kunden immer früher danach fragten. Die hierzulande übliche „Neujahrsbrezel“ , die es seit mehr als 300 Jahren gibt, existiert in anderen Gegenden auch als „Weihnachtsbrezel“. Etwa im Kreis Böblingen, wo ihre Herstellung schon vor Jahren bei einem Backkurs des Hauses der Familie gelehrt wurde. Ihr zeitlicher Vorläufer Adventsbrezel, sagt Strohmaier, sei etwas schmächtiger als die Neujahrsbrezel, „da sind dann die kleinen Größen gefragt“. Er wehrt sich aber gegen das immer frühere Angebot, „sonst verliert die Neujahrsbrezel ihre Symbolkraft“.

Auch für seine Kollegen von der Bäckerei Montagnese in Ditzingen spielt die Neujahrsbrezel zur Zeit eine große Rolle. Seine größte im Sortiment wiege anderthalb Pfund, berichtet Frank Montagnese. Einige Hundert Stück am Tag stelle man zurzeit her. Der Neujahrsbrezel folgt im Montagnese-Sortiment ein weiterer Saisonartikel: die Crostoli – ein italienisches Gebäck, das eigentlich zur Fasnacht gebacken wird, heute aber von Dreikönig an angeboten wird. Ob es ein verspäteter Neujahrsgruß ist, weiß der Sohn eines italienischen Bäckers („wir sind jetzt zu 99 Prozent schwäbische Bäcker“) aber nicht zu sagen.

Ein Gepäck in vielen Formen und Variationen

Im Strohgäu verwurzelt ist Christine Rau-Lehleuter, die Landfrauenvorsitzende aus Münchingen. Sie huldigt dem Neujahrsbrezelbrauch nicht hundertprozentig, sondern fertigt aus deren Teig kleine Schweineköpfe – ein Mutant der Marzipanschweinchen aus Hefeteig. „Die werden an Nachbarn verschenkt.“ Andere Frauen aus dem Ort haben letzte Woche noch im Backhäusle zu Weihnachten Brezeln hergestellt und verschenkt. Die Neujahrsbrezel, erinnert sich Rau-Lehleuter, „wurde früher am Silvesternachmittag zu Kaffee oder Kakao gegessen“ – bevor man zum letzten Mal im alten Jahr in den Stall ging. Einen Brauch aus dem Hohenlohischen hat sie hierzulande noch nicht ausgemacht: Dort werden aus salzigem Hefeteig Ringe geformt. Kinder ziehen am 1. Januar im Ort herum, klingeln, wünschen den Besuchten „alles Glück, das Gott vom Himmel schickt“ – und bekommen als Belohnung ein „Neujahrsringle“ über die Hand gestreift.

Das Neujahrsgebäck jedenfalls hat viele Formen, weiß auch die Historikerin Catharina Raible vom Gerlinger Stadtmuseum. Außer der Brezel oder dem kleinen Ring gebe es auch noch den Kranz. Und alle sollen eines: Glück bringen im neuen Jahr.