Serkan Yildirim aus Herrenberg Das erste Opfer der rechten Terrorgruppe NSU kämpft darum gehört zu werden

Dass Serkan Yildirim das erste Opfer des NSU war, ist ihm jahrelang nicht mitgeteilt worden. Foto: privat

In Dresden beginnt der vielleicht letzte NSU-Prozess. Doch das erste Opfer der rechtsextremen Terrorserie, Serkan Yildirim, wird auch diesmal vom Gericht übergangen.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Als Serkan Yildirim seine neu eröffnete Gaststätte „Sonnenschein“ betritt, ist es in Nürnberg ausgesprochen trüb und für einen Sommertag viel zu kühl. Am Vorabend ist Eröffnung gefeiert worden, bis um 3 Uhr nachts eine Polizeistreife kam. Man gratuliere zur Eröffnung, allerdings solle doch bitte die Sperrstundenregelung beachtet werden, forderten die Beamten. Jetzt will Serkans Mutter gleich mit dem Aufräumen anfangen.

 

Aber das kommt für den Sohn nicht in Frage. „Das ist mein Lokal“, sagt der 18-Jährige stolz. Schließlich lenkt die Mutter ein und geht einkaufen. Der junge Wirt beginnt zu putzen: im Gastraum, hinter der Theke, schließlich in den Sanitärräumen. Als er den Mülleimer in der Herrentoilette leeren will, findet er dort eine unbekannte Taschenlampe. Arglos drückt er auf den Einschaltknopf. Es knallt. Er sieht blaue Blitze.

Nach der Spätschicht geht es nach Dresden

Heute gilt der inzwischen bei Herrenberg wohnhafte Yildirim – bisher bekannt unter dem Alias Mehmet O. – als erstes Opfer der Terrorzelle Nationalsozialisitischer Untergrund (NSU). Vor Gericht angeklagt wurde die Tat, die sich am 23. Juni 1999 ereignet hat, aber nie. Auch wenn am Donnerstag in Dresden der Prozess gegen Susanne Eminger, die engste Freundin von NSU-Mittäterin Beate Zschäpe, beginnt, ist Yildirim, der den Anschlag schwer verletzt überlebt hat, nicht mehr als ein Zuschauer.

Der Antrag, ihn als Nebenkläger zuzulassen, sei vom Oberlandesgericht abgelehnt worden, sagt Engin Sanli. Der Stuttgarter Rechtsanwalt ist mit Yildirim dennoch nach Dresden gefahren. Man wolle deutlich machen, dass jedes Verfahren, das mit der Unterstützung dieser Strukturen in Verbindung stehe, auch die Perspektive der Opfer berücksichtigen müsse, sagt Sanli.

Deshalb hat er seinen Mandanten nach dessen Spätschicht abgeholt. Jetzt hoffen die beiden Männer wenigstens auf Plätze im Zuschauerraum. Nicht einmal Reservierungen wollte der Vorsitzende Richter des OLG vornehmen. „Das ist für mich alles noch einmal wie ein Schlag ins Gesicht“, sagt der heute 45-jährige Yildirim.

Yildirim erkennt Eminger sofort

Wenn man die Rolle, die Susanne Eminger im NSU gespielt hat, beurteilen möchte, könnte Yildirims Geschichte durchaus von Interesse sein. In der Anklageschrift wirft der Generalbundesanwalt der Zschäpe-Vertrauten vor, zwischen September 2008 und Oktober 2011, als der NSU aufflog, Unterstützerin des Terrortrios gewesen zu sein. Doch war es wirklich nur ein Trio?

Als im Zuge des Münchner NSU-Prozesses durch Zeugenaussagen bekannt wurde, dass auch der Sprengstoffanschlag von Nürnberg – ein Jahr vor dem Mord an dem Nürnberger Blumenhändler Enver Şimşek – Teil der Terrorserie gewesen sein dürfte, nahm das Bundeskriminalamt die Ermittlungen in dem Fall wieder auf. Yildirim legte man zahlreiche Lichtbilder vor. Bei einem war er sich sofort sicher. „Die kenne ich.“ Es war Susanne Eminger.

Jahrelang soll die Frau aus der Zwickauer Neonaziszene die Terrorgruppe unterstützt haben. Krankenkassenkarten und Bahncards soll sie Beate Zschäpe überlassen haben. Auch wenn ein Wohnmobil für einen Bankraub angemietet werden sollte, sei sie behilflich gewesen, glaubt die Bundesanwaltschaft. Zusammen mit ihrem Mann André Eminger, der bereits verurteilt wurde, längst aber wieder auf freiem Fuß ist, soll sie zum engsten Unterstützerkreis von Beate Zschäpe und ihren beiden toten Mittätern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gehört haben. Heute lebt sie mit Mann und Familie im sächsischen Kirchberg. Man habe sich der Kinder wegen aus der Neonaziszene komplett zurückgezogen, berichtete André Eminger kürzlich an der Haustüre einem Reporter der linksalternativen „taz“.

Polizei ermittelt erst einmal wegen Versicherungsbetrug

Aber wenn Susanne Eminger nur eine Nebenrolle spielte, warum erkannte Yildirim dann ausgerechnet sie auf den Fotos wieder? War sie an dem Anschlag beteiligt? Die damaligen Ermittlungen kamen schnell zum Ende, der Fall wurde – warum auch immer – als fahrlässige Körperverletzung eingestellt, die Asservate wurden vernichtet. Wie bei den übrigen Morden der NSU-Serie hatte sich der Verdacht ohnehin zunächst auf das Opfer gerichtet. Die Kripo vermutete hinter dem Sprengstoffanschlag einen Versicherungsbetrug. „Hätte man damals ordentlich ermittelt, wäre es vielleicht gar nicht zu den anderen Morden gekommen“, sagt Yildirim.

Zusammen mit seinem Rechtsanwalt Engin Sanli (links) kämpft Serkan Yildirim darum, gehört zu werden. Foto: privat

Monatelang lag er im Krankenhaus. „Ich hatte überall Schwellungen und Splitter.“ 2004 zog er nach Herrenberg um. „Ich wollte Abstand.“ Statt in der eigenen Kneipe arbeitete er bei Daimler in der Qualitätskontrolle. Später wechselte er zu einem Verpackungshersteller für die Lebensmittelindustrie. „Das ist eine interessante Arbeit.“ Auch eine Partnerin hat er gefunden. Doch er hat weiterhin Fragen. Und auch das erlittene Trauma „kann mir niemand nehmen“.

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