Podiumsdebatte in Waiblingen Beim Thema Heimat schlagen zwei Herzen in der Brust

Waiblingen ist für manche die erste, für andere die zweite Heimat. Foto: / Gottfried Stoppel

Gibt es mehr als eine Heimat und was macht sie aus? Darüber haben vier Gäste aus der Türkei, Griechenland, Kroatien und Deutschland auf Einladung des Heimatvereins Waiblingen diskutiert.

Eigentlich wollte Jadranka Kolar im Mai 1991 nur ein paar schöne Tage bei ihrer Patentante in Stuttgart verbringen. Doch der Kroatienkrieg stellte das Leben der Studentin auf den Kopf: „Ich konnte nicht mehr nach Hause zurück und wollte auch nicht.“ Die damals 25-Jährige, die kein Deutsch sprach, musste also einen Job finden und in der Fremde zurechtkommen. „Es war eine harte Zeit. Ich kann gut verstehen, welche Probleme Leute haben, die heute von anderswo nach Deutschland kommen.“

 

Über den schwierigen, unfreiwilligen Neustart hat Jadranka Kolar am Donnerstagabend bei einer Podiumsdiskussion zum Thema Heimat im Waiblinger Kulturhaus Schwanen berichtet. Eingeladen hatten der Heimatverein Waiblingen, der sein 90-jähriges Bestehen feiert, und der Integrationsrat Waiblingen. „Wir wollen andere fragen, was Heimat für sie bedeutet“ – so fasste es Susanne Jenisch vom Verein zusammen.

„Deutschländer“ in der Türkei, Ausländer in Deutschland

Was seine Heimat ist, die Frage konnte Kadri Yayla bis zum Alter von neun Jahren wohl ohne zu grübeln beantworten: ein kleines Dorf in der türkischen Schwarzmeerregion. Dann zog er mit Mutter und Vater nach Stuttgart. „Ich wurde zwar in der Grundschule herzlich aufgenommen, hatte aber starkes Heimweh“, sagt der Architekt. Für seine Eltern war Deutschland keine Heimat, kein Ort, um neue Wurzeln zu schlagen. Weshalb sie nur gebrauchte Möbel kauften. „Sie wollten immer zurück: erst, sobald ich mit dem Studium fertig bin, dann nach meiner Heirat, dann wenn das Enkelkind da ist“, erinnert sich Kadri Yayla. So vergingen die Jahre. Ihre letzte Ruhestätte haben die Eltern schließlich in der Türkei gefunden.

Kadri Yayla hingegen schwankt noch, wo er begraben werden möchte. „In der Türkei bin ich ein Deutschländer, hier ein Ausländer.“ Er ist sich aber sicher, dass die nächste Generation diesbezüglich weniger Probleme haben wird.

Die Eltern kamen zur Zeit der Militärdiktatur

„Wenn ich in Griechenland bin, fühle ich mich blendend“, sagte Dimitrios Giannadakis, „aber ich verbinde das Land eben mit Urlaub.“ Als er 1967 in Stuttgart zur Welt kam, lebten seine vor der Militärdiktatur geflohenen Eltern schon einige Zeit in Deutschland. „Mein Vater war sehr fokussiert auf Griechenland“, erzählte Giannadakis – dennoch blieb die Familie in Stuttgart, als die Diktatur 1974 endete. Sein Jurastudium, das er gerne in Tübingen absolviert hätte, machte Dimitrios Giannadakis auf Wunsch des Vaters in Athen. Dort wäre er vielleicht noch heute, wenn der Vater nicht früh gestorben, die Mutter und jüngere Schwester zurückgeblieben wären. „Ich könnte nie in Griechenland als Rechtsanwalt arbeiten, die Strukturen sind anders und wir sind hier absolut verwöhnt“, sagt er heute.

„Wem g’hörsch denn du?“ – die Frage hat Joachim Bräuninger als Kind in Bittenfeld öfter gehört. „Ich war da auch ein Migrant, denn wir waren Nei’gschmeckte“, sagt Bräuninger. Umso mehr, als seine Mutter aus Tschechien stammte und in der Rinnenäckersiedlung aufgewachsen war. „Das hat mich nie belastet, aber mein Leben geprägt“, sagt Bräuninger, der denkt, dass es für ihn so einfacher war, anderswo hinzugehen. Er hat in Kairo gelebt und so manches von dort mitgenommen, etwa die Lust am Improvisieren.

Im Schwebezustand zwischen zwei Heimaten

Ja, Waiblingen ist zur Heimat geworden, waren sich die Gäste weitgehend einig. Und doch schlagen bei vielen zwei Herzen in einer Brust. Im Falle von Jadranka Kolar etwa bei Fußballspielen. Da drückt sie sowohl der deutschen als der kroatischen Mannschaft die Daumen. Sie fühle sich in beiden Ländern wohl, sagt sie. Allerdings gehöre sie weder in Kroatien noch in Deutschland richtig dazu: „Das ist ein Schwebezustand.“

Die nächste Generation hat es da wohl leichter. Einer ihrer Söhne wolle nicht aus Waiblingen weg, den anderen ziehe es nach Kroatien, sagte Jadranka Kolar, für die Integration und Wurzeln in einem anderen Land kein Widerspruch sind. Die Vielfalt der Nationen in Deutschland sei ein Geschenk, befand Joachim Bräuninger: „Gefährlich wird es, wenn ich zu jemand anderem sage: Das ist nicht deine Heimat.“

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