Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Mit dieser Dissertation beginnt Storls ungewollter Aufstieg zum Erlöser, Heilsbringer und Guru. Esoteriker sehen in ihm bis heute ein Medium, das den Weg zur Erleuchtung weisen kann. Da hilft es auch nichts, dass Storl sich selbst nüchterner darstellt. Er sei lediglich ein Ethnologe, der von Naturvölkern einiges erfahren habe: während des Studiums bei den Cheyenne, als gestandener Akademiker bei den Sadhus in Indien, bei einem alten Schweizer Bergbauern, auf Rucksackreisen durch Burma, China, Thailand und Japan. Und er sei ein Mensch, der Pflanzen, Landschaften und Sterne als „beseelte Wesen“ wahrnehme. Vor allem aber höre er auf die Tiere. „Sie sind weiser als wir Menschen, weil sie sich nicht in einem Labyrinth aus Gedanken verirren“, sagt Wolf-Dieter Storl.

 

Als er Anfang der 80er Jahre als Gastdozent an der Benares Hindu University in Varanasi lehrt, klettert ein Affe auf seinen Schreibtisch, schnappt sich seine Manuskripte und schmeißt sie in den Ganges. Für Storl ist das ein Zeichen. Der Ethnologe beschließt, sich für die folgenden zwei Jahre von der westlichen Ordnung zu verabschieden und die indische Mythologie zu erkunden. Dass er sich auf diesem Weg eine lebensbedrohliche Hepatitis einfängt, erleichtert ihm den Zugang zu Shiva und den anderen Gottheiten des Hinduismus: „Am meisten lernt man in Extremsituationen.“

Immer wieder begibt sich Storl auf die Jagd nach Wahrnehmungen, die jenseits der Rationalität liegen. Für ihn gehört alles zur Realität, auch das, was man nicht mit den fünf Sinnen erfassen kann. Sein Kompass sitzt nicht im Kopf, er folgt seiner Intuition. Mitte der 80er Jahre navigiert ihn das Bauchgefühl in die Heimat seiner Ahnen, zunächst nach Norddeutschland. Bei einer Jubiläumsfeier seines Verlegers kommt es zu einer Schicksalsbegegnung mit dem hellsichtigen Maler Manfred Scharpf. Der Allgäuer Künstler orakelt „Ich weiß, wo du leben solltest!“ und schickt ihn auf den 950 Meter hohen Herrenberg.

Im November 1988 mietet Wolf-Dieter Storl mit seiner amerikanischen Frau Christine den uralten Bauernhof. Anfangs schläft das Ehepaar auf Stroh und ernährt sich von dem, was in der Umgebung wächst. Die Storls besitzen kein Auto, dafür einen kräftigen Hund. Bei Neuschnee wird Sumo vorausgeschickt, um eine Schneise für Frauchen und Herrchen zu pflügen.

Wolf-Dieter Storl kann hier oben walten, wie es ihm entspricht. Er lebt im Rhythmus der Natur. Im Sommer hält er Vorträge, veranstaltet Seminare, hackt Holz und gräbt den Garten um. Nach Allerheiligen zieht er sich wie ein Bär in seine Höhle zurück, um seine Gedanken über Heilkräuter und Gottheiten auf einer mechanischen Schreibmaschine zu erfassen. Als ihn sein Verlag bittet, seine Manuskripte digital zu liefern, lehnt er zunächst ab. „Die elektromagnetische Aura eines Computers stört meine Inspiration“, bekundet er.

Feldforschung bei den Cheyenne

Mit einem Botanikstudium an der Ohio State University möchte Wolf-Dieter Storl seine Sinne weiter schärfen. Doch schnell merkt er, dass der Laborbetrieb, das bloße Analysieren von Materie, seiner Empfindsamkeit eher schadet. „Ich fühlte mich, als würde ich in eine intellektuellen Plastikverpackung eingesponnen“, erzählt Storl.

Er wechselt zur Völkerkunde und taucht tief ins Indianeruniversum ein. Seine erste Feldforschung führt ihn mitten in die berauschenden Rituale der Cheyenne. „Ich lernte, mein Bewusstsein über die Grenzen auszuweiten, die mir mein naturwissenschaftliches Denken gesetzt hatte.“ Nach dem Abschluss seines Studiums wird er Dozent an der Kent State University.

Storl fällt aus dem Rahmen. Er lässt Studenten, auch farbige, bei sich wohnen. Er experimentiert mit psychedelischen Drogen und demonstriert für Love and Peace. Seine weniger liebe- und friedvollen Mitbürger halten ihn für einen Kommunisten. Eines Nachts wird er von einer patriotischen Männerhorde auf offener Straße zusammengeschlagen. „Dieses Land ist nicht mehr mein Land“, denkt Wolf-Dieter Storl und emigriert mit Mitte 20 zum dritten Mal.

In Wien will er über die örtlichen Kräuterhändler promovieren, doch sein Professor meint: „Suchen Sie sich ein internationales Thema.“ Wolf-Dieter Storl zieht erneut weiter, nun an die Universität Bern. Im Schweizer Jura beschäftigt sich der amerikanische Ethnologe mit anthroposophischer Landwirtschaft. Dieses Forschungsgebiet soll ihm endlich zum „Dr. phil.“ verhelfen. Es kommt anders.

Im März 1972 veröffentlicht der Fischer Verlag „Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens“: Storls Landsmann und Berufskollege Carlos Castaneda schildert seine zehn Lehrjahre bei einem indianischen Medizinmann. Das Schriftwerk wird zur Bibel der New-Age-Bewegung und Storl von seinem Doktorvater aufgefordert, das gewachsene Interesse für Naturreligionen zu befriedigen. 1974 erscheint „Shamanism among Americans of European Origin“, Schamanismus bei Amerikanern europäischen Ursprungs.

Erlöser, Heilsbringer, Guru

Mit dieser Dissertation beginnt Storls ungewollter Aufstieg zum Erlöser, Heilsbringer und Guru. Esoteriker sehen in ihm bis heute ein Medium, das den Weg zur Erleuchtung weisen kann. Da hilft es auch nichts, dass Storl sich selbst nüchterner darstellt. Er sei lediglich ein Ethnologe, der von Naturvölkern einiges erfahren habe: während des Studiums bei den Cheyenne, als gestandener Akademiker bei den Sadhus in Indien, bei einem alten Schweizer Bergbauern, auf Rucksackreisen durch Burma, China, Thailand und Japan. Und er sei ein Mensch, der Pflanzen, Landschaften und Sterne als „beseelte Wesen“ wahrnehme. Vor allem aber höre er auf die Tiere. „Sie sind weiser als wir Menschen, weil sie sich nicht in einem Labyrinth aus Gedanken verirren“, sagt Wolf-Dieter Storl.

Als er Anfang der 80er Jahre als Gastdozent an der Benares Hindu University in Varanasi lehrt, klettert ein Affe auf seinen Schreibtisch, schnappt sich seine Manuskripte und schmeißt sie in den Ganges. Für Storl ist das ein Zeichen. Der Ethnologe beschließt, sich für die folgenden zwei Jahre von der westlichen Ordnung zu verabschieden und die indische Mythologie zu erkunden. Dass er sich auf diesem Weg eine lebensbedrohliche Hepatitis einfängt, erleichtert ihm den Zugang zu Shiva und den anderen Gottheiten des Hinduismus: „Am meisten lernt man in Extremsituationen.“

Immer wieder begibt sich Storl auf die Jagd nach Wahrnehmungen, die jenseits der Rationalität liegen. Für ihn gehört alles zur Realität, auch das, was man nicht mit den fünf Sinnen erfassen kann. Sein Kompass sitzt nicht im Kopf, er folgt seiner Intuition. Mitte der 80er Jahre navigiert ihn das Bauchgefühl in die Heimat seiner Ahnen, zunächst nach Norddeutschland. Bei einer Jubiläumsfeier seines Verlegers kommt es zu einer Schicksalsbegegnung mit dem hellsichtigen Maler Manfred Scharpf. Der Allgäuer Künstler orakelt „Ich weiß, wo du leben solltest!“ und schickt ihn auf den 950 Meter hohen Herrenberg.

Im November 1988 mietet Wolf-Dieter Storl mit seiner amerikanischen Frau Christine den uralten Bauernhof. Anfangs schläft das Ehepaar auf Stroh und ernährt sich von dem, was in der Umgebung wächst. Die Storls besitzen kein Auto, dafür einen kräftigen Hund. Bei Neuschnee wird Sumo vorausgeschickt, um eine Schneise für Frauchen und Herrchen zu pflügen.

Wolf-Dieter Storl kann hier oben walten, wie es ihm entspricht. Er lebt im Rhythmus der Natur. Im Sommer hält er Vorträge, veranstaltet Seminare, hackt Holz und gräbt den Garten um. Nach Allerheiligen zieht er sich wie ein Bär in seine Höhle zurück, um seine Gedanken über Heilkräuter und Gottheiten auf einer mechanischen Schreibmaschine zu erfassen. Als ihn sein Verlag bittet, seine Manuskripte digital zu liefern, lehnt er zunächst ab. „Die elektromagnetische Aura eines Computers stört meine Inspiration“, bekundet er.

Auch ein Apple gehört zur Ganzheit des Seins

Inzwischen akzeptiert Wolf-Dieter Storl, dass zur Ganzheit des Seins auch Dinge gehören, die er eigentlich ablehnt. Auf seinem Schreibtisch steht heute ein Apple-Rechner mit 27-Zoll-Bildschirm, ein Mitsubishi-Geländewagen trägt ihn sicher ins Tal und zurück zum Hof, und eine Stihl-Motorsäge hilft dabei, dass immer genug Brennholz in der Scheune lagert. Er präsentiert sich auf einer eigenen Website und tritt regelmäßig in TV-Talkshows auf, weil er bemerkt hat, dass sich durch mehr Öffentlichkeit mehr Bücher verkaufen. Seine Werke erreichen sechsstellige Auflagen.

Dass Wolf-Dieter Storl im 21. Jahrhundert angekommen ist, liegt an seinen Kindern. Mit Beginn der Pubertät wollen Ingo und Ingrid das elterliche Steinzeitdasein nicht mehr mitmachen. Der Sohn legt eigenhändig eine kilometerlange Leitung durch den Wald bis ins nächste Dorf, um Anschluss ans Internet zu bekommen, obwohl der Vater warnt: „Die profanen Inhalte der virtuellen Realität legen sich wie Patina auf die Seele.“ Die Tochter rebelliert, fordert einen Fernseher, „damit ich endlich in der Schule mitreden kann“. Heute lebt Ingo als Filmemacher in Isny. Auch Ingrid hat das abgelegene Elternhaus verlassen, sie macht in Wangen Abitur. Zurück blieb ihr Chihuahua, das Schoßhündchen passt auf den Bauernhof wie ein Bernhardiner in Paris Hiltons Handtasche.

Genug über das Privatleben geplaudert, zurück zur Profession. „Kommen Sie, ich zeig Ihnen meinen Garten“, sagt Storl und stapft von vier Hunden eskortiert ins Freie. Sein aktuelles Werk heißt „Der Selbstversorger – Das Praxisbuch zum Eigenanbau“. Ende Januar blinzeln unter der nassen Schneedecke nur ein paar Kohlröschen hervor. Es benötigt fachmännische Erläuterungen, um sich vorstellen zu können, wie hier Bohnen, Kartoffeln, Radieschen oder Erdbeeren gedeihen. „Kompostieren ist kein willkürliches Anhäufen von biologischen Abfällen, sondern eine alchemistische Kunst“, doziert Dr. Storl. Zuletzt bewirkte freilich auch sein erlesener Ökodünger kein Wunder. Das Frühjahr war zu kalt für eine fette Ernte. So konnte Storl nicht, wie gewohnt, beim Jäger und beim Milchbauern Teile seines Grünzeugs gegen Hirschfleisch und Ziegenkäse tauschen.

Es dauerte, bis Wolf-Dieter Storl von den Allgäuern angenommen wurde. Nach ein paar Jahren hatten sie begriffen, dass er kein Spinner ist, obwohl er in anderen Bewusstseinssphären schwebt. Dass er kein Hippie ist, obwohl er sich nie Haare und Bart schneidet. Dass er kein Missionar ist, obwohl er laut beklagt, „dass die meisten Menschen heutzutage gegen geistige Wahrnehmungen abgestumpft sind“.

Inzwischen ist Wolf-Dieter Storl 71 Jahre alt und ruht mehr denn je in sich selbst. Er wandert mit seinen Hunden durch den Wald, meditiert neben einem Holunderbusch, liest und schreibt in seiner Kammer oder werkelt im Gemüsegarten. „Die Seele sucht sich den Ort aus, der sie verkörpert“, sagt Storl. Seine Seele hat auf einem Einödhof im Allgäu eine Heimat gefunden.