Porträt der Klett-Cotta-Lektorin Katharina Körber Was macht eigentlich eine Lektorin?

Katharina Körber bei der Arbeit mit Wildbiene auf dem Arm und Hund auf dem Boden Foto: Stefan Kister

Der Stuttgarter Verlag Klett-Cotta ist der Verlag der Stunde. Katharina Körber hat den Roman des Jahres lektoriert. Ein Besuch hinter den Kulissen einer literarischen Erfolgsgeschichte.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Normalerweise bleibt im Unsichtbaren, wer außer dem Autor oder der Autorin am Erfolg eines Romans beteiligt ist. Doch bei der Verleihung des Deutsche Buchpreises in diesem Jahr war das anders. Da trat plötzlich eine kleine Wildbiene in Erscheinung, ohne die, wer weiß, Martina Hefters „Hey guten Morgen, wie geht es dir“ vielleicht nicht zum Roman des Jahres geworden wäre. Sie zeigte sich als kleines Tattoo am Unterarm der glücklichen Gewinnerin sowie an entsprechender Stelle bei ihrer Lektorin Katharina Körber und besiegelte eine offenbar glückliche Arbeitsbeziehung. Denn, so Martina Hefter in ihrer Dankesrede, wer hat schon eine Lektorin, die mit einem ins Tattoo-Studio geht.

 

An dieser Stelle kann man einmal ganz grundsätzlich die Frage stellen: Was gehört eigentlich zum Aufgabenbereich dieses Berufsfeldes? Und wer könnte sie besser beantworten, als Katharina Körber, die in Stuttgart bei einem Verlag arbeitet, der wohl gerade in jenem unsichtbaren Vorhof der Erfolgsgeschichten vieles richtig macht. Gleich mit drei Titeln war Klett-Cotta in diesem Jahr auf den Auswahllisten für den Buchpreis präsent, neben Martina Hefter mit Ulla Lenzes Heilstättenroman „Das Wohlbefinden“ und Iris Wolffs traumwandlerischem Rückwärtsgang in die „Lichtungen“ der Herkunft. Schon im letzten Jahr waren zwei Titel nominiert. Für ein Haus und ein vergleichsweise kleines Team, das sich anders als die großen Konzernverlage auf eine überschaubare Zahl von Neuerscheinungen beschränkt, ist das eine beachtliche Leistung.

Vielleicht fängt die Zusammenarbeit ja schon beim Wohnen an. Einen Stock über Katharina Körber in dem Haus in beginnender Halbhöhe über Stuttgart-Heslach wohnt die Programmleiterin des Verlags, Corinna Kroker, deren glücklicher Hand und strategischem Geschick es zu danken ist, dass hier Bücher verlegt werden, die die Lesenden erreichen. Gerade sitzt Katharina Körber an einem Manuskript, über das sie noch nichts verraten möchte, ein Roman, der im nächsten Herbst erscheinen soll. „Wenn ich lektoriere, mache ich das fast immer von zuhause aus, das ist eine absolute Konzentrationsarbeit, bei der ich keinerlei Ablenkung brauchen kann.“ Das hat auch das schlaue Hündchen begriffen, das sich still hinter ihrem Schreibtisch mit Stadtblick zusammengerollt hat – analog zur Wildbiene könnte man von einem Wildhund sprechen, im Freien würde man ihn für einen Fuchs halten.

Katharina Körber hat Literaturwissenschaft studiert und im Anschluss bei Wallstein den Einstieg in die Verlagswelt gefunden. Seit 2020 ist sie in Stuttgart bei Klett-Cotta. Selbst einmal die Seiten zu wechseln und ein Buch zu schreiben wie viele ihrer Kollegen, möchte sie nicht ausschließen, konkrete Pläne hat sie nicht: „Das sind schon zwei grundsätzlich verschiedene Arbeitsbereiche“.

Die Chemie muss stimmen

Einmal in der Woche findet eine Lektoratsrunde statt, bei der man sich über neue, zumeist von Agenturen angebotene Manuskripte austauscht. „Es kommt selten vor, dass jemand einen Text ganz toll findet, und alle andern nicht, im Prinzip treffen wir die Entscheidungen gemeinschaftlich, auch wenn man manchmal gut argumentieren muss, um die anderen zu überzeugen.“ Im Falle Martina Hefters wurde das Manuskript von einer Agentur verschiedenen Verlagen angeboten. Bei Klett-Cotta war man gleich entflammt.

Bei der anschließenden Auktion ist nicht nur entscheidend, was ein Verlag zu zahlen bereit ist, sondern auch ob die Chemie stimmt. Das scheint hier gegeben gewesen zu sein. Schon allein, weil den verlegerischen Geschäftsführer Tom Kraushaar eine weit zurückreichende Freundschaft mit der Autorin verbindet, und er vor vielen Jahren schon einmal in Leipzig bei Hefters unter dem Wohnzimmertisch genächtigt hat, wie er bei einem Empfang während der Buchmesse erzählt hat. Klett-Cotta bekam den Zuschlag und damit begann für die Lektorin die eigentliche Arbeit.

Wer schreibt, ist lange allein

Manchmal bekommt man von den Agenten, die heute zwischen Autoren und Verlagen vermitteln, lediglich eine Leseprobe, im Extremfall nur eine Idee vorgelegt. Bei Martina Hefter war es das vollständige Manuskript. „Wer schreibt, ist sehr lange allein mit seinem Text, Martina hat sich sehr gefreut, dass das nun jemand liest und einen neuen Blick darauf wirft.“ In einem ersten Schritt geht es um eher grundsätzliche Dinge. „Man schaut nicht auf jedes Komma, nicht jeden Satz, sondern auf die Textstruktur: Wie sind etwa die vielen Chatpassagen des Romans ins Ganze integriert, werden die am Anfang gestellten Fragen aufgelöst, oder wie sind die Kapitel zusammengebunden?“ Am Ende steht ein Skript, das man gemeinsam durchgeht.

Dabei kann es durchaus Konflikte geben, wenn jemand, der jahrelang an etwas gearbeitet hat, von Änderungsvorschlägen nicht überzeugt ist. Das Verhältnis setzt Vertrauen und Fingerspitzengefühl voraus. „Ich bin im Prinzip dafür da, Impulse zu geben und zu sagen, „hey, ich würde vielleicht an dieser und jener Stelle noch einmal arbeiten‘“, sagt Katharina Körber, die im Fluss der Begeisterung Sätze gerne mit „hey“ beginnt.

Verlag im Höhenflug

Im Roman, der die muntere Interjektion im Titel führt, gibt es eine Szene, in der eine Wildbiene vorkommt, und an der sich zeigen lässt, was im Lektorat passieren kann. Die ganze Liebe, der Schmerz, die Sehnsucht im Verhältnis der Protagonistin Juno zu ihrem pflegebedürftig ans Haus gefesselten Mann konfiguriert darin, ohne dass etwas auserzählt würde: „Mich hat das sehr berührt, und ich habe zu Martina gesagt, ,es können ruhig noch ein paar Wildbienen in dem Text auftauchen.‘“ Und so setzt das Insekt seinen Flug durch das Buch fort, bis sich Juno irgendwann eine Wildbiene auf den Arm tätowieren lässt.

Als Martina Hefter und Katharina Körber erfahren haben, dass der Roman es auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis geschafft hat, feierten sie dies mit einem gemeinsamen Besuch in einem Frankfurter Tattoo-Studio. „Für mich steht das für das Buch und meine Arbeit.“ Beides hat dem Verlag eines seiner umsatzstärksten Jahre beschert.

Dass ihre Tätigkeit einmal von einer KI übernommen wird, kann sich die Lektorin nicht vorstellen. „Ich finde es okay, wenn eine KI irgendwelche Metadaten ausspuckt oder mir meine Steuererklärung abnimmt. Aber ich verstehe nicht, warum man glaubt, dass das etwas mit Kultur zu tun haben könnte – das ist doch der Kern, der uns als Menschen definiert.“ Ein gemeinsamer Besuch im Tattoo-Studio wäre in der Zusammenarbeit mit einer KI zumindest ausgeschlossen. Ein Autor hat sie schon gefragt, ob das die Voraussetzung für ein Lektorat sei. Bis jetzt ist die Wildbiene noch ziemlich alleine.

Über die Stadt senkt sich die Dämmerung. Der kleine Hund schlummert nach wie vor. In einer Geschichte wäre er vielleicht herausgestrichen worden. Oder vielleicht eben nicht. Die Wildbiene im Roman jedenfalls bezieht ihre sympathisch renitente Bedeutung gerade daraus, sich in keinerlei Nutzverhältnis zwingen zu lassen.

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