Schönheit und rhetorisches Schwergewicht: Christian (Felix Strobel, li.) lässt sich von Cyrano de Bergerac (Matthias Leja) beim Liebesbriefschreiben an Roxane helfen. Foto: Schauspiel Stuttgart/T+T Fotografie / Toni Suter
Das Schauspiel Stuttgart zeigt „Cyrano de Bergerac“ frei nach Edmond Rostand. Wie Regisseur Burkhard C. Kosminski aus dem Theaterhit ein Drama über den Kulturbetrieb und über den Mann von heute macht und ob sich der Besuch im Schauspielhaus lohnt.
Ein Mann mit hässlicher Supernase hilft einem hübschen Bengel, sich in Briefen so auszudrücken, dass er seine Angehimmelte erobern kann. Tolle Reime, Theaterspaß und Kriegsdrama, Fechtszenen, Macht und Hass, Herz und Schmerz.
Dass der Regisseur Burkhard C. Kosminski indes mehr vorhatte, als vor Weihnachten mit „Cyrano de Bergerac“ einen für volle Ränge sorgenden Dramenhit mit süßraspelndem Liebesgeflüster auf die Bühne des Stuttgarter Schauspielhauses zu bringen, war beim Blick auf den Besetzungszettel zu erahnen. Cyrano wird mit Matthias Leja überraschend älter besetzt als sein Gegenspieler Christian, verkörpert von Felix Strobel. Kosminski rückt dem im 17. Jahrhundert spielenden Stück von 1897 zudem mit einer Bearbeitung zu Leibe, um es sprachlich ins Heute zu übertragen. Er wählt die Überschreibung durch den Dramatiker Martin Crimp in der deutschen Fassung von Ulrich Blumenbach und Nils Tabert. Erwartungsgemäß finden die Fechtszenen nur in etwas schlichten Videoprojektionen statt. Die stammen von Florian Etti, der auch die aus einer Papierbühne bestehende Szenerie gestaltet hat.
Den Theaterkommentar, mit dem der Dramatiker Edmond Rostand seinen Helden einführt, lässt Kosminski sich nicht entgehen. Die Schauspieler setzen sich in die erste Reihe und schauen zu, wie David Müller als Montfleury im samtenen Musketierdress und Schnallenschuhen bei seiner „Amlé“-Hamlet-Umdichtung näselt. Als er über eine „schlotterichte Königin“ schwadroniert, ist aber Schluss. Cyrano springt auf die Bühne und verscheucht den „kostümierten Sabbersack“. Denn: „Seine verschwurbelte Neufassung macht mich fassungslos.“
Volle Kassen und mächtige Gönner Montfleurys, mit denen der Intendant (Reinhard Mahlberg) Cyrano zu Milde bewegen will? Der gestrenge Dichter lässt nichts gelten. Auch die Aufforderung, er solle mit seiner Kunst versuchen, „systemrelevant“ zu werden – eine Anspielung an die aktuelle Debatte um Einsparungen im Kulturbereich – , schmettert der Künstler ab.
Wo hat Heiner Müller seine Brille gelassen?, fragt man sich während dieser rasanten Wortgefechtszenen. Die schwarze Kluft mit Parka, die distanzierte Haltung, alles da, aber eben keine Brille. Dafür natürlich die überdimensionierte Nase – Matthias Leja trägt sie wellig und lang. Allzu sehr wollte sich die Kostümbildnerin Ute Lindenberg offenbar nicht am deutschen Dramatiker und Großintellektuellen Müller orientieren bei der Kostümierung des Großdichters Cyrano. Gleichwohl geht es der Regie um genau das: den drohenden Verlust der Kraft der Poesie; den Untergang des unangepassten, wenngleich hochmütigen und, ja, „narzisstischen“ Intellektuellen; das Aussterben des Kulturbürgers, der es mit einer nicht gerade intellektuellen jungen Generation zu tun bekommt.
Auch wenn Lejas Cyrano zunehmend an Schärfe verliert und immer sentimentaler wird (eine Glorifizierung des alten weißen Mannes war auch nicht gewünscht), zeigt er zunächst cool Haltung. Tönt, er sei halt „auf Selbstzerstörung programmiert“, produziert aber wunderbare Kunst. Die nimmt der von Felix Strobel sanftmütig pragmatisch interpretierte Christian erst missmutig, dann willig für sein Liebeswerben in Anspruch, jedenfalls bis er merkt, dass Cyranos „Anmachprosa“ Roxane wirklich mehr anmacht als sein eigener junger Körper.
Le Bret (Marco Massafra, li.) glaubt, dass Cyrano (MatthiasLeja) durchaus Chancen – auch sexuelle – bei Roxane haben könnte.) Foto: Schauspiel Stuttgart/T+T Fotografie / Toni Suter
Um Cyrano derweil nicht als gestrigen Versedrechsler und „Liebeslaberer“ dastehen zu lassen, darf er den Nachwuchs auf dessen Feld schlagen und berufsjugendlich rappen. Muss man durch. Männer sieht man während des auf Spielfilmlänge gekürzten 100-Minüters, die beschädigt sind oder sich nicht vollständig fühlen, sich mal den Moden der Zeit anpassen, mal sich widersetzen, die Machtmissbrauch betreiben und die unter Machtmissbrauch leiden – jedenfalls niemals mit sich im Reinen sind.
Gesellschaft im Kriegszustand
Sie ringen mit den Bildern, die die Gesellschaft von ihnen entwirft. Sie ringen mit ihren eigenen Vorurteilen. Der Frage etwa, ob ein Mann, der über schöne Gedanken und scharfe Verse verfügt, bei einer Frau wie Roxane landen kann, wenngleich er weder reich noch schön ist. Klar, glaubt Cyranos tiefenentspannter Freund Le Bret (Marco Massafra) mit Stirnband und Vollbart wie frisch aus dem Hippiefilm „Easy Rider“ entstiegen. Doch zunächst landet doch Christian bei Roxane. Sie bittet Cyrano auch noch darum, den Jungen gegen eventuelle Anfeindungen zu verteidigen, die Herren sind schließlich beim Militär und es herrscht Krieg.
Josephine Köhler macht Roxane souverän zu einer lebenslustigen Frau von heute, die sich etwas schämt, sich klischeehaft in einen Adonis zu verlieben, derweil sie Vorlesungen über „Frauen und den männlichen Blick in der Dichtung der Frühmoderne“ besucht. Sie zeigt außerdem, was toxische Weiblichkeit ist: Sie merkt natürlich, dass ihr „Christioooh“ in Briefen eloquent und beim Date eher „unspontoooh“ ist. Also fordert sie ihn zum Stegreifdichten auf. Wie sie ihn verhöhnt, als er ohne Cyranos Beistand eine recht schlichte Rede führt und wie Felix Strobels Christian mit glasig verlorenem Blick angesichts der Demütigung verzweifelt und innerlich immer kleiner wird – das ist eine der stärksten Szenen der Inszenierung.
Christian (Felix Strobel) erkennt, das Roxane (Josephine Köhler) weniger ihn und mehr die Schreibkunst von Cyrano begehrenswert findet. Foto: Schauspiel Stuttgart/T+T Fotografie / Toni Suter
Aufgelöst und beantwortet werden all die aufgeworfenen Fragen nicht. Diese Unversöhnlichkeit, diese Ambivalenz, die Regisseur Burkhard C. Kosminski und Dramaturgin Gwendolyne Melchinger zulassen, macht die Stärke des Abends aus. Cyrano mag im Schlachtfeld der Worte untergehen, im Gedächtnis des Publikums wird er bleiben.