Mit dem Schulweg verbindet fast jeder Erinnerungen: an den Sehnsuchtsort Kaugummiautomat am Straßenrand, an kleine Raufereien, die ersten Flirts, tolle Fundstücke. Prominente erzählen, was sie als Kinder erlebt haben.

Familie/Bildung/Soziales: Lisa Welzhofer (wel)

Während Michael Panzer alias Wommy Wonder auf dem Schulweg eine junge Wacholderdrossel rettete, erinnert sich Landtagspräsidentin Muhterem Aras an Schlitterpartien auf Schnee und Frank Nopper ans Kräftemessen mit anderen Buben. Was haben Prominente früher auf ihren Schulwegen erlebt?

 

Muhterem Aras: Echte Schlangen statt Autokarawanen

Landtagspräsidentin Muhterem Aras ging die ersten Jahre in der Türkei zur Schule. Foto: LICHTGUT/Leif Piechowski

Im Winter kam sie oft mit nassen Wollsocken nach Hause, wenn sie den verschneiten kleinen Berg von der Schule ins Dorf hinuntergerutscht war. „So ein Spaß!“, sagt Muhterem Aras (58). Ihr Schulweg lag in den 70er Jahren in einem Dorf im Osten der Türkei. Morgens klingelte es von der Anhöhe, dann wussten die Kinder aus den etwa 40 Häusern des Ortes, dass sie losgehen sollten. „Kaum ein Mensch hatte damals eine Uhr daheim“, sagt die Grünen-Politikerin und Landtagspräsidentin. Ebenso wenig wie elektrische Beleuchtung. Wenn es dunkel war, erhellten Sterne den Weg. Und statt Falschparkern und Autokarawanen lauerten Schlangen am Wegrand. Unterwegs sammelten sich jede Menge Freunde, um dann gemeinsam im Klassenzimmer von einem Lehrer unterrichtet zu werden, die 1. bis 5. Klasse in einem Raum.

Zur Hauptschule in Sielmingen lief Aras mit ihren zwei Brüdern. Foto: privat

Ab 1978 besuchte Muhterem Aras dann die Hauptschule in Filderstadt-Sielmingen, wohin Vater, Mutter und die fünf Kinder emigriert waren. Auch diesen Schulweg ging das Mädchen zu Fuß, 15 Minuten, zusammen mit den zwei Brüdern. „Ohne jede Kontrolle, das ist für Kinder ein Freiheitsgefühl, neue Wege gehen zu können“, sagt Aras. Auf dem Rückweg trödelten sie oft vor sich hin, gucken, wo sie vielleicht einen Kaugummi oder eine andere Kleinigkeit kaufen konnten. Die Socken wurden jetzt nicht mehr nass, dafür fand Muhterem Aras auf dem Heimweg vor einem Container ein Paar rote Lackschuhe mit Riemen. Was für ein Schatz! Zwei Jahre trug sie sie voll Stolz, dann waren sie zu klein.

Hier können Sie unserer Redaktion Gefahrenstellen auf den Schulwegen in Stuttgart ganz einfach online melden: stzlinx.de/schulweg

Michael Panzer – Wommy Wonder: Vogelvater für einen Sommer

Heute vor allem als Frl. Wommy Wonder bekannt: der Kabarettist Michael Panzer. Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone/Ferdinando Iannone

Eine seiner schönsten Jugenderinnerungen hänge mit dem Schulweg zusammen, sagt Michael Panzer alias Frl. Wommy Wonder (56). Im oberschwäbischen Riedlingen, wo er aufwuchs, führte der in den 60er und 70er Jahren über Wiesen, Trampelpfade und den Zollerhauserbach. Eines Morgens saß auf dem Weg eine junge Wacholderdrossel, die wohl aus dem Nest gefallen war. Als sie auf dem Nachhauseweg immer noch dort kauerte, nahm der Bub sie mit nach Hause, nannte sie oder ihn Jockel, päppelte den Vogel auf, brachte ihm das Fliegen bei und hatte einen Sommer lang einen handzahmen Begleiter.

Wacholderdrossel Jockel. Foto: privat

Auch sonst erinnert sich der Travestiekünstler nur an Gutes: den Tante-Emma-Laden zum Beispiel, die „heilige Versuchung auf dem Weg“, wo er Schleckmuscheln, saure Zungen, weiße Speckmäuse und Kirschlutscher für fünf Pfennige erstand. Vor allem aber an das freie Gefühl, sich die Wege ohne „Helikopter-Eltern“ zu erschließen. „Man verlangte uns was ab und wir waren froh drum, weil wir zeigen konnten, dass wir zu den Großen gehörten“, sagt Michael Panzer, der mit zwei Geschwistern aufwuchs.

Den ersten Schultag erlebte Panzer in Riedlingen. Foto: privat

Wobei, ganz so unbeobachtet seien sie nicht gewesen, „weil natürlich hinter jeder Gardine jemand war, der danach schaute, ob wir die Verkehrsregeln befolgten und man uns in Leben schicken konnte“. War das nicht der Fall, wussten es die Eltern bereits, wenn er Mittags nach Hause kam. Und was im schlimmsten Fall passieren konnte, wenn man gedankenlos über die Straße trödelte, hatte Michael Panzer ohnehin früh gelernt, wie er sagt: Sein Vater Ernst war Bestatter.

Eric Gauthier: Nur ein paar Treppenstufen hinunter

Geht heute mit seiner Ballett-Truppe auch in Schulen: Eric Gauthier. Foto: Rudel/Pressefoto Rudel/Robin Rudel

Den kürzesten Schulweg hatte wohl Eric Gauthier (47). Schlaf- und Klassenzimmer lagen in seiner Kindheit im selben Gebäude. Der heutige Leiter von Gauthier Dance in Stuttgart ging damals aufs Ballettinternat an der National Ballet School im kanadischen Toronto. Dort waren die Schulräume nur ein paar Stufen entfernt. Sein Zimmer teilte er sich anfangs mit drei Jungs. „Zur Schule musste ich also nur ein paar Treppen runtergehen“, sagt der ehemalige Solist des Stuttgarter Staatsballetts. Anfangs sei es hart gewesen, mit neun Jahren viele hunderte Kilometer weit weg von zuhause. Aber er gewöhnte sich schnell daran.

Seine Schulzeit verbrachte Gauthier (vorn) im Ballett-Internat in Kanada. Foto: privat

Der Schulunterricht, der nachmittags stattfand, habe ihm zwar nicht so viel Spaß gemacht wie der Ballettunterricht morgens („Ich bin immer extra früh aufgestanden und meist bei den ersten unten im Ballettsaal gewesen“), aber manche Fächer mochte er gern, besonders Französisch, seine Muttersprache. In einem früheren Interview mit unserer Zeitung hat Eric Gauthier mal erzählt, dass Mathe nicht sein Fach war: „Ich mache immer den Witz: Beim Tanz muss man nur bis Acht zählen können.“

Frank Nopper: Kleine Raufereien

Oberbürgermeister Frank Nopper. Foto: Zophia Ewska/Zophia Ewska

15 bis 20 Minuten brauchte Frank Nopper als Bub vom Elternhaus in Stuttgart-Sonnenberg zur Albschule und später ins Wilhelms-Gymnasium Degerloch. Eine viertel Stunde, in der ganz schön was los sein konnte! Manche Mitschüler holte man daheim ab, andere traf man zufällig. Schneeballschlachten, kleine Raufereien. Einer schubste dem anderen die Kapp `nunter. Von dem Kaliber eben. In der Schule seien sie aber dennoch immer pünktlich angekommen, sagt der heutige Stuttgarter Oberbürgermeister. Auch danach beeilte man sich. Immerhin wartete die Mutter vielleicht mit Fischstäble daheim.

Der kleine Frank (vorn) als Schulkind. Foto: privat

Als Jugendlicher ging der Heimweg dann durch den Pausenhof der Realschule. Das hätte er schon mal genutzt, um Mädchen auf sich aufmerksam zu machen, erzählt der 63-Jährige. Bei seinen beiden Söhnen war ihm dann wichtig, dass die nicht mit dem Elterntaxi in die Schule kamen, sondern allein. Zur Grundschule in Backnang gingen die Jungs zu Fuß. Zum Gymnasium in Stuttgart nahmen sie die S-Bahn.

Doris Reichenauer: Jeden Tag süße Datschweckle

Comedian Doris Reichenauer auf der Bühne. Foto: privat

Wahrscheinlich wegen ihrer „großen Klappe“ sei sie schon mit fünf Jahren eingeschult worden, sagt Comedian Doris Reichenauer (62). Ihr Schulweg führte durch Gechingen im Landkreis Calw und führte morgens erst mal in die Bäckerei zum „Datschweckle“ kaufen. Das bestand aus einem weißen Brötchen und jener Süßigkeit dazwischen „gedatscht“, die heute Schaumkuss heißt. Weil die Mutter Geschäftsfrau war, hatte sie keine Zeit, das Veschper selbst zu schmieren. Auf dem Heimweg ging es dann am Kaugummiautomaten vorbei, an dem man sich für ein Zehnerle eine der hygienisch fragwürdigen bunten Kugeln herauslassen konnte. Erst eine süße Explosion im Göschle, waren die schnell nur noch zäh und geschmacklos. „Heute erscheint mir dieser Kaugummiautomat manchmal im Traum“, sagt Doris Reichenauer, die mit dem Comedy-Duo „Dui do on de Sell“ bekannt wurde.

Wegen ihrer „großen Klappe“ sei sie schon mit fünf Jahren eingeschult worden, sagt Doris Reichenauer. Foto: privat

Als Jugendliche lag ihr Sehnsuchtsort dann in Calw: in der Kneipe Gerberstüble. Einmal behaupteten sie in der Schule, dass sie früher zum Bus müssten, aber dem Lehrer kam das Spanisch vor. Also verkleidete er sich, tauchte im Gerberstüble auf und stellte die Schulschwänzer. Das gab zwar einen Eintrag ins Klassenbuch, „aber geschmunzelt hat er schon auch“, sagt Doris Reichenauer.

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Projekt
Die Redaktion von Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten möchte in Kooperation mit dem investigativen Recherchenetzwerk Correctiv wissen, wie sicher die Schulwege in Stuttgart sind. Dazu brauchen wir Ihre Hilfe! Über ein einfaches Online-Tool können Sie bis zu drei Gefahrenstellen auf Schulwegen dokumentieren und melden. Wir prüfen jede Eingabe und veröffentlichen sie anschließend. Die Stadtverwaltung Stuttgart begleitet unser Projekt. Unsere Redaktion wird zusammen mit dem Ordnungsamt auf ausgewählte Gefahrenstellen eingehen. Das Ziel ist es, Gefährdungen von Schülerinnen und Schülern zu reduzieren.

Online-Tool
Das Tool ist ab sofort freigeschaltet und zu finden unter https://stzlinx.de/schulweg beziehungsweise https://stn.de/schulweg. Die Aktion dauert bis in den Herbst. Die Stadtverwaltung Stuttgart begleitet das Projekt.

Themenseiten
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