Im Kreis Ludwigsburg kommen die meisten politischen Straftaten von rechts. Aktuell gibt es zwar keine aktiven Gruppen, vor rund 20 Jahren war die Neonazi-Szene aber berüchtigt. Die wichtigsten Erkenntnisse zum Rechtsextremismus in fünf Punkten.

Ludwigsburg : Emanuel Hege (ehe)

Der Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland, sagt Innenministerin Nancy Faeser. Auch für den Kreis Ludwigsburg? In der Region gibt es viele Straftaten von rechts, das extremistische Potenzial war aber schon mal größer – die Szene war bewaffnet und gut vernetzt. Fünf Erkenntnisse geben einen Überblick über die Gefahr im Landkreis.

 

1. Die aktuelle Statistik

Während 2014 noch rund 90 politisch motivierte Straftaten im Kreis begangen wurden, waren es 2023 schon 178. Fast 62 Prozent dieser Straftaten kommen von rechts, von links sind es nur acht Prozent, der Rest verteilt sich auf religiöse und ausländische Ideologien. Unter anderem nimmt der offene Antisemitismus zu, es gibt Körperverletzungen mit rechtem Hintergrund, Beleidigungen, Volksverhetzung und auffällig viele Propagandadelikte.

Die rechten Straftaten würden quantitativ zunehmen, qualitativ aber nicht, sagt Markus Sturm, Leiter des Staatsschutzdezernats des Polizeipräsidiums Ludwigsburg. Ein Großteil der rechten Delikte seien Hakenkreuzschmierereien von Jugendlichen und rechte Hetze im Internet. Gerade von letzterem würde der Polizei immer mehr zugespielt werden, was sich in der Statistik niederschlage. Auch die Körperverletzungen seien nicht auf organisierte Nazischläger zurückzuführen, sondern auf allein handelnde Personen, sagt Sturm. Beispielsweise Betrunkene, die rechte Parolen schreien und zuschlagen.

2. Keine aktive Szene

Laut Polizei gibt es zwar Rechtsextremisten im Kreis, eine organisierte rechte Szene mit einem Wirkungsfeld in der Region sei aktuell aber nicht aktiv. Auch rechtsextremistische Treffpunkte oder Veranstaltungen wie Rechtsrockkonzerte gebe es im Landkreis nicht, sagt Markus Sturm. Diese Einschätzung bestätigt ein Szenekenner aus Ludwigsburg zum Großteil. Es gebe zwar gut vernetzte, rechtsextremistische Personen im Kreis, zudem kleinere Gruppen der extremen Rechten wie die Junge Alternative – eine große, aktive und gewaltbereite deutschsprachige rechte Szene gebe es aber aktuell nicht, so der Informant aus der linken Szene.

3. Blood & Honour und Hammerskins

Doch die Rechtsextremisten waren nicht immer so unorganisiert. In den 1990er und 2000er Jahren gab es gewalttätige Gruppen, Treffs wie die Kneipe Oase in Ludwigsburg, Demos und Zusammenstöße mit Linksextremisten. Laut dem Szenekenner und antifaschistischen Rechercheblogs wohnten um die Jahrtausendwende mehrere führende Mitglieder der Blood & Honour-Bewegung in Ludwigsburg, Kirchheim und Besigheim. Die Gruppe ist unter anderem durch ihre Verbindungen zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) bekannt geworden. Die Blood & Honour-Neonazis aus dem Landkreis waren aktiv, bestens vernetzt und ausgerüstet. Der NSU-Terrorist Uwe Mundlos schrieb in einem Brief über einen Besuch in Ludwigsburg in den 2000er Jahren: „Wir waren vor allem über die Waffen, die sie alle haben, erstaunt – fast schon ein kleiner Waffenladen.“

Beschlagnahmtes Blood & Honour-Material im Jahr 2006. Foto: AP/Thomas Niedermüller

Ende der 2000er Jahre trat laut dem Ludwigsburger Szenekenner eine neue Gruppe in den Vordergrund. Im Gasthaus zur Krone in Ludwigsburg-Poppenweiler trafen sich regelmäßig Neonazis mit besten Kontakten zur Hammerskin-Bewegung. „Hammerskins sind für ihre Militanz und Gewalttätigkeit gegen gesellschaftliche Minderheiten gefürchtet“, beschreibt die Bundeszentrale für politische Bildung die Organisation. Zeitweise sollen die Anführer der Ludwigsburger Gruppe auch wichtige Persönlichkeiten innerhalb des Hammerskins „Chapter Württemberg“ gewesen sein.

Die Polizei bestätigt teilweise diese Recherchen, andere Fragen bleiben unbeantwortet. Informationen, die Aufschluss über Gruppen und Personen geben könnten, seien aus datenschutzrechtlichen Gründen gelöscht worden, so ein Polizeisprecher. Besonders auffällig sei die rechtsextremistische Szene im Kreis jedoch nie gewesen, so die Botschaft.

4. Ludwigsburger NSU-Freunde

2016 beschäftigten sich die Behörden erstmals genauer mit den rechtsextremistischen Strukturen der 2000er Jahre im Landkreis Ludwigsburg. Hintergrund war ein Untersuchungsausschuss des Landtages, der die Kontakte des NSU zu Neonazis in Baden-Württemberg durchleuchtete.

Fest steht, dass Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe Freundschaften mit Rechtsextremisten in und um Ludwigsburg pflegten, viele davon Mitglieder der Blood & Honour-Bewegung. Zudem steht fest, dass einer der Ludwigsburger NSU-Freunde Waffen an Gleichgesinnte verkauft hat. Es gibt jedoch keine Beweise, dass diese Waffen bei einem der NSU-Morde eingesetzt wurden oder dass Ludwigsburger Rechtsextremisten bei Straftaten geholfen haben.

5. Zwei Todesfälle im Kreis

Im vergangenen Jahrhundert gab es zwei Todesfälle im Kreis, die auf Neonazis zurückzuführen sind. Laut des Dokumentationsbuches „Kein Vergessen – Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland nach 1945“ reiste der 23-jährige Eberhard Arnold für ein Basketballbundesliga-Spiel Ende 1990 von Ulm nach Ludwigsburg. Rechte Skinheads griffen ihn und andere Ulmer nach dem Spiel auf dem Bahnsteig in Ludwigsburg an. Basketballfans und Reisende wurden mit Steinen und Flaschen beworfen, es brach Panik aus. Dabei stürzte Arnold ins Gleis und wurde von einem einfahrenden Zug tödlich erfasst. Das Polizeipräsidium bestätigt, dass es diesen Todesfall gegeben hat. Zwei Fangruppen seien aufeinander getroffen, in einer waren Personen aus dem rechtsextremistischen Spektrum vertreten. Mord sei als Delikt damals offenbar ausgeschlossen worden, weshalb keine Unterlagen mehr existieren.

Über den zweiten Todesfall gibt es ebenfalls keine polizeilichen Unterlagen mehr. Informationen liefern nur das Dokumentationsbuch „Kein Vergessen“ und ein über 40 Jahre alter Artikel des „Spiegel“. In der Neujahrsnacht 1981 soll die rechte Motorrad-Bande „Stander Greif“ in Gündelbach den 44-jährigen Türken Sydi Battal Koparan erschlagen haben. Er hatte auf der Suche nach seinem Sohn das Stammlokal der Biker betreten, wurde verprügelt und erlag wenige Stunden später seinen Verletzungen. Eberhard Arnold und Sydi Battal Koparan sind von der Bundesregierung nicht offiziell als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt.