Reparenting und das innere Kind Wie heilen, was Eltern versäumt haben?

Wenn wir unser inneres Kind verstehen lernen, können wir eigene Bedürfnisse leichter wahrnehmen. Foto: Unsplash/J W

Kindheitserfahrungen wirken bis in die Gegenwart. Doch wie kann man sich von der Vergangenheit befreien und sein inneres Kind heilen? Der Psychologe Oliviero Lombardi verrät, wie wir uns selbst gute Eltern sind.

Kindheitserfahrungen wirken bis in die Gegenwart. Leider gilt dieser Grundsatz auch für negative oder fehlende Erfahrungen, die oft zu abwertenden Glaubenssätzen und Selbstwertproblemen führen. Aber wie kann man mangelnde Fürsorge und Verletzungen aus der Kindheit überwinden? Der Stuttgarter Diplom-Psychologe Oliviero Lombardi hat uns Tipps zur Stärkung des inneren Kindes genannt und erklärt, wie wir Versäumtes nachholen, um den eigenen Kindern ein besseres Vorbild zu sein.

 

Werden wir in unserer Kindheit negativ geprägt oder fehlt es uns an elementaren Dingen, führt dies oft bis ins hohe Alter zu Problemen und negativen Verhaltensmustern. In diesem Zusammenhang fällt immer wieder der Begriff des „inneren Kindes“. Was verbirgt sich dahinter?

Der Mensch ist ein Säugetier und wird als solches in sogenannten sensiblen Phasen geprägt. Nehmen wir das Urvertrauen oder Selbstwertgefühl als Beispiel. Für diese Prägung sind zwei Dinge entscheidend: Wie viel Wertschätzung die Eltern dem Kind schenken und wie viel Wertschätzung die Eltern sich selbst und einander entgegenbringen. So kann ein geringes Selbstwertgefühl der Mutter als „Vorbild“ für die Selbstwertentwicklung des Kindes dienen.

Welche Grundbedürfnisse müssen erfüllt sein, damit ein Kind sich gesund entwickeln kann?

Vor allem Liebe, Wertschätzung, Interesse und Wahrnehmung sind entscheidend für die Entwicklung eines guten Selbstwertgefühls.

Auf welche Art und Weise kann sich ein verletztes inneres Kind zeigen?

Das innere Kind ist immer dann aktiv, wenn wir Emotionen spüren. Es zeigt sich also, wenn wir beispielsweise Freude, Trauer oder Wut empfinden. Dabei ist es oft deutlich schneller als der Erwachsene in uns und übernimmt das Ruder. In Folge ist der Erwachsene in uns oft nicht zufrieden mit der Art und Weise, wie er sich als Gesamtperson verhält.

Wann entstehen solche Verletzungen und können Eltern auch ganz ohne Absicht Verletzungen auslösen?

In der Regel geschehen diese Verletzungen völlig unbeabsichtigt oder, schlimmer noch, oft im Glauben, das Richtige zu tun. Das Hauptproblem ist oft die starke Leistungsorientierung der Eltern und der Gesellschaft. Diese überträgt sich auf das Kind, das lernt: Ich bekomme vor allem dann Aufmerksamkeit, wenn ich Leistung erbringe. Ebenso werden Kinder wahrgenommen, wenn sie etwas falsch machen und das wird überbetont. Das Kind lernt also: Ich mache immer etwas falsch. Viele Kinder verinnerlichen diese Leistungsorientierung und die damit verbundene Wertschätzung so intensiv, dass sie sich später verstärkt auf Beruf und Karriere konzentrieren. Andere wichtige Dinge wie Beziehungen kommen dann zu kurz. Menschen möchten ihrer selbst wegen geliebt werden und nicht, weil sie etwas richtig machen, Erwartung erfüllen oder Leistungen erbringen.

Um aktuelle Probleme zu lösen, lohnt es sich, das innere Kind zu verstehen und eventuell zu „heilen“. Der Begriff Reparenting stammt aus der Psychotherapie. Können wir selbst reparieren, was unsere Eltern falsch gemacht haben, oder brauchen wir dafür eine Therapie?

Ja, wir können uns als Erwachsene selbst ein guter Vater oder eine gute Mutter sein. Und uns genau das geben, was wir für unsere Entwicklung und Heilung brauchen, nämlich Selbstliebe. Dafür gibt es bestimmte Übungen oder Trainings, um das innere Kind, also sich selbst, zu heilen.

Wie kann eine solche Arbeit mit dem eigenen inneren Kind aussehen und was müssen wir lernen, um unserem inneren Kind gerecht zu werden?

In diesem Training lernt man, Selbstliebe zu spüren und fließen zu lassen. Wenn der Mensch diese Selbstliebe spürt, entwickelt sich sein Selbstwertgefühl und damit auch Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein und Souveränität. Aber auch im Alltag geht es darum, Dinge zu tun, die einem gut tun. Also eher nicht Konsum oder leistungsorientierte Aktivitäten.

Flow erlebt man etwa beim Sport, in tiefen Gesprächen, wenn man sich wahrgenommen fühlt und und und. Also das, was einen innerlich wirklich zufrieden macht. Wenn man so will, geht es darum, dass der Erwachsene in uns dafür sorgt, dass das innere Kind ausreichend „spielen“ kann und geliebt wird.

Gibt es konkrete Übungen, die Sie empfehlen können, um tief liegende Glaubenssätze zu identifizieren?

Tatsächlich genügt es meistens, zu reflektieren, was uns die Eltern an Leitsätzen mitgegeben haben. Man spricht hier von verinnerlichten Antrieben.

Wie können wir bessere Grenzen setzen?

Wir können besser Grenzen setzen, wenn unser inneres Kind erwachsener geworden ist. Wenn es lernt, weniger Erwartungen zu erfüllen, seine Bedürfnisse zu erkennen und für sie einzustehen. So überwinden wir die Angst vor Ablehnung durch die Erfahrung von Selbstliebe.

Welche Aktivitäten stärken unseren Selbstwert?

Wenn man anfängt, für sich zu sorgen. Deshalb ist es zunächst einmal wichtig, mit der ständigen Selbstabwertung aufzuhören und stattdessen einen wertschätzenden Umgang mit sich selbst zu üben. Man kann sich etwa vor den Spiegel stellen und sich liebevoll betrachten. Aber auch Geduld oder Nachsicht mit sich selbst, wenn es mal nicht so gut läuft, ist wichtig. Ansonsten können auch gesunde Ernährung, Sport oder eine gute Work-Life-Balance ein gesundes Selbstwertgefühl stärken.

Wie können wir verhindern, die eigenen Themen direkt an unsere Kinder weiterzugeben?

Nur indem wir uns als Erwachsene weiterentwickeln und unseren Kindern bessere Vorbilder sind. Wasser predigen und Wein trinken, funktioniert nicht.

Auf der Verhaltensebene ist es auch wichtig, dem Kind genügend Liebe und Wertschätzung entgegenzubringen. Also dem Kind „ich liebe dich“ sagen, es in den Arm nehmen, wertschätzend wahrnehmen, was es tut und entsprechend positives Feedback geben.

Hier geht es zur Homepage von Oliviero Lombardi.

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