Käme es zu einem Extremhochwasser am Neckar, besteht in Teilen von Bad Cannstatt ein großes Risiko für „menschliche Gesundheit“. Wissen die Leute, die dort wohnen, darüber Bescheid?

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Auf dem Schutzwall ist reger Betrieb. Es wird gejoggt, geradelt, gelaufen und Gassi gegangen. Ebenfalls auf dem Damm ist Jörn Birkmann, seinen Laptop unter den Arm geklemmt. Er dreht sich weg vom Neckar, schaut zur Jahn-Realschule, zu der es nur ein paar Schritte sind. Anders als für die Passanten, für die das eine schöne Neckarpromenade ist, hat er einen anderen Blick auf Flüsse, Ufer und Dämme.

 

Der Stuttgarter Professor Jörn Birkmann begleitet den Wiederaufbau im Ahrtal wissenschaftlich. Er hat mit eigenen Augen gesehen, wie verheerend die Folgen sein können, wenn ein Unwetter eintritt, das so keiner für möglich gehalten hätte. Die Flusspegel stiegen bei gleichzeitigem Starkregen. „Das Ahrtal-Phänomen“, sagt der Forscher dazu. Bei der Flutkatastrophe im Juli 2021 waren 135 Menschen ums Leben gekommen, Tausende verloren, was sie besaßen.

Der Damm am Neckar schützt Bad Cannstatt

Das Gebiet rund um die Realschule in Bad Cannstatt liegt laut den Hochwassergefahrenkarten des Landes Baden-Württemberg im roten Bereich, sollte es zu einem Extremhochwasser am Neckar kommen. Rot heißt: große Gefahr für die menschliche Gesundheit. Die Hochwassergefahrenkarte der Stadt geht in jenem Gebiet von Überflutungstiefen von drei bis vier Metern und mehr aus. So dramatisch das alles klingt: In „trockenen Zeiten“, wie Birkmann sagt, sei es schwer, Gehör dafür zu bekommen.

„Entlang der gesamten Strecke zwischen dem Wehr Cannstatt und dem Wehr Hofen in Fließrichtung links verläuft ein Hochwasserschutzdamm“, erklärt eine Sprecherin des Regierungspräsidiums (RP) Stuttgart. Ebenjener, auf dem die Cannstatter gern ihre morgendliche Joggingrunde drehen. „Dieser kann wegen seiner Höhe rechnerisch ein extremes Hochwasser abhalten.“

Professor Jörn Birkmann am Neckar, links im Bild das Kraftwerk Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Ob solch ein Damm wie der in Bad Cannstatt hält, kann der Klimaforscher Birkmann nicht abschätzen. Was er weiß: „Die Kräfte, die bei einem Extremhochwasser wirken, sind schon enorm.“ Zudem könne es bei extremen Hochwassern zu Rückstaueffekten in Regenauslasskanälen in Richtung Neckar kommen, „das heißt, das Wasser drückt unterirdisch in den Stadtteil“. Weil es am Neckar eine solche Klappe nur auf der Seite des Kraftwerks gebe, „ist die Gefahr real“.

Er ist inzwischen vom Wall hinab zur Schule gelaufen. Eines der Gebäude ist einstöckig. Würde das Gebiet überflutet, das Inventar wäre zerstört, meint er. „Wenn das ein Physikraum ist oder das Heizungssystem getroffen wird, kann es schnell zu erheblichen Schäden kommen.“ Im Ahrtal koste der Wiederaufbau von Schulen mehrere Millionen Euro. In Rudersberg hat das Sommerhochwasser auch Schäden von mehr als 100 Millionen Euro verursacht. „Das ist für eine kleine Gemeinde mit rund 12 000 Einwohnern sehr viel“, sagt Birkmann.

Die roten Stellen zeigen, wo die Gefahr bei einem Extremhochwasser im Neckar in Bad Cannstatt besonders groß wäre. /Lange/Quelle LUBW

Aber in dem Gebiet in Bad Cannstatt, östlich des Neckars, geht es eben nicht nur um Sachwerte, sondern laut der Gefahrenkarten des Landes auch um „menschliche Gesundheit“. Ist das den Bewohnern bewusst?

Das Land habe allen betroffenen Kommunen im Jahr 2015 Hochwassergefahrenkarten zur Verfügung gestellt, erklärt die Sprecherin des Regierungspräsidiums. Die Bevölkerung zu informieren, sei Aufgabe der Kommunen. Die Stadt Stuttgart verweist auf die Karten, die online abrufbar seien – sowohl auf der Internetseite des Landes als auch der Stadt. Dort finde sich zudem die Hochwassergefahrenkarte für Stuttgart. Heißt im Umkehrschluss, dass sich jeder, der nahe eines Gewässers wohnt, selbst schlau machen muss. „Im Rahmen der Eigenvorsorge müssen Bürgerinnen und Bürger für entsprechende Gefährdungslagen im Rahmen der Möglichkeiten Vorsorge treffen“, sagt auch die RP-Sprecherin.

Nutzerzahlen der Warn-App Nina sollen steigen

Abgesehen von der grundsätzlichen Information, ob man in einem Gefahrengebiet wohnt, ist in Extremwetterlagen zudem wichtig, dass die Bevölkerung im Fall der Fälle rasch gewarnt wird. Anders als im Ahrtal. Ein solches Frühwarnsystem ist Teil der neuen Klimaanpassungsstrategie, die die Bundesregierung Mitte Dezember 2024 beschlossen hat. So soll die Zahl der Nutzer der bundesweiten Warn-App Nina durch mehr Aufklärung von aktuell zwölf auf 16 Millionen bis 2030 erhöht werden. Das soll unter anderem durch mehr Aufklärung gelingen.

Die Strategie sieht zudem vor, dass bis 2030 in 80 Prozent der Kommunen Klimaanpassungskonzepte (Klimaks) vorliegen müssen. Schätzungen zufolge haben bislang nur 10 bis 15 Prozent der Kommunen und 26 Prozent der Landkreise derlei Konzepte. Stuttgart hat in dem Konzept Klimaks rund 50 Maßnahmen gebündelt.

Vom Damm aus sieht Birkmann das Heizkraftwerk in Münster auf der anderen Neckarseite, wie eine Zigarette ragt der weiße Schornstein empor. Um zu verhindern, dass ein Extremhochwasser das Gelände des Kraftwerks flutet, hat die Stadt just eine Schutzmauer entlang der Neckartalstraße erweitert. Und es ist geplant, das Regenüberlaufbecken an der Voltastraße zu sanieren.

Zurück ans andere Ufer zur Jahn-Realschule. Solche Gebiete und Gebäude bräuchten einen Hochwasserpass, sagt Birkmann. Doch einige Eigentümer von Häusern und Immobilien hätten die Sorge eines Wertverfalls. Dabei könne man einiges tun. Zum Beispiel hochwassersichere Scheiben oder eine Rückstauklappe einbauen. Aber dafür müsse man zunächst wissen, dass das ratsam wäre.