Homeoffice ist ziemlich ungleich verteilt. Einerseits, weil viele ihre Arbeit zu Hause gar nicht verrichten können. Und andererseits, weil manche regelmäßig ins Büro gehen, andere kaum noch. Foto: picture alliance/dpa
Homeoffice spart Zeit und gibt Freiheit – kann aber auch ungesund sein. Ökonom Stephan Böhm erklärt, warum der Verzicht schwerfällt und was das mit dem inneren Schweinehund zu tun hat.
Homeoffice tut nicht immer gut. Und das hat gleich mehrere, ganz unterschiedliche Gründe. Zum einen: „Wir sind soziale Wesen. Völlige Remote-Arbeit funktioniert auf Dauer für die meisten nicht“, sagt Stephan Böhm. Er ist Professor für Diversity Management und Leadership an der Universität St. Gallen und beschäftigt sich mit Unternehmenskultur und Führungsfragen. Der persönliche Kontakt – auch über das eigene Team hinaus – und stärke das Gefühl, dazuzugehören. Das beinflusse auch unseren Gemütszustand, denn: „Arbeit ist ein wichtiger Teil unserer Identität, gerade in der westlichen Welt“, so Böhm.
Zum anderen ist Homeoffice auch aus gesundheitlicher Sicht nicht immer unproblematisch. „Wir sehen, dass die Erschöpfung im Homeoffice zunehmen kann, weil die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen“, sagt Böhm. Wer keine festen Routinen hat, arbeitet schnell bis in die Nacht – mit Folgen für Konzentration, Erholung und langfristige Belastbarkeit.
Pendeln schafft Struktur und trennt Beruf von Privatleben
Selbst das Pendeln – so lästig es oft ist – hat seinen Sinn: Es schafft eine klare Trennung zwischen Berufs- und Privatleben. „Das ist wie beim Sport“, sagt Böhm: „Jeder weiß, Bewegung ist gesund – aber die Couch ist halt auch verlockend.“ Wer morgens ins Büro fährt, überwindet also nicht nur den inneren Schweinehund, sondern gewinnt auch Struktur für den Tag.
Stephan Böhm ist Professor für Diversity Management und Leadership an der Universität St. Gallen. Vor Corona ist er sehr viel öfters für einen Termin in eine andere Stadt geflogen. Foto: Universität St. Gallen
Jahre nach der Corona-Pandemie zeigt sich: Etliche Unternehmen wünschen sich mehr Präsenz – doch das kollidiert mit den Wünschen einiger Beschäftigten. „Homeoffice spart Zeit, erlaubt kleine Freiheiten und fühlt sich für viele inzwischen wie ein Grundrecht an“, sagt Böhm. Die Vorteile liegen auf der Hand: mehr Autonomie, weniger Pendelzeit, mehr Flexibilität im Alltag.
Der Wunsch nach Homeoffice ist dabei nicht nur rational begründet. „Verluste wiegen stärker als Gewinne. Wer einmal die Freiheit des Homeoffice hatte, gibt sie ungern wieder her“, sagt Böhm. Um diesen Status zu bewahren, würden manche sogar finanzielle Einbußen in Kauf nehmen. „Studien zeigen: Beschäftigte sind bereit, auf bis zu 15 Prozent ihres Gehalts zu verzichten, wenn sie dafür mehr von zu Hause arbeiten dürfen.“ Umgekehrt würde dies bedeuten, dass Unternehmen deutlich mehr zahlen müssten, um volle Präsenz durchzusetzen.
Mercedes hat derzeit eine Anwesenheitsquote von 50 Prozent
Wie Unternehmen konkret mit dieser Spannung umgehen, zeigt das Beispiel Mercedes-Benz. Personalchefin Britta Seeger sprach kürzlich von einer Anwesenheitsquote von rund 50 Prozent. Doch diese Zahl täuscht: Nicht alle Mitarbeiter sind die Hälfte ihrer Arbeitszeit im Büro – vielmehr kommen einige regelmäßig, andere kaum noch. Ermöglicht wird das durch eine Betriebsvereinbarung, die bis zu 100 Prozent Homeoffice erlaubt, sofern es die Tätigkeit zulässt. Seeger und Vorstandschef Ola Källenius appellieren dennoch zunehmend an die Belegschaft, wieder häufiger ins Büro zu kommen.
In der Debatte um Homeoffice dürfe man nicht vergessen, dass viele Berufe gar nicht dafür geeignet sind, gibt Böhm zu bedenken. Die Unterschiede zwischen sogenannten Blue- und White-Collar-Jobs – also zwischen eher handwerklichen und akademischen Tätigkeiten – treten dadurch noch deutlicher zutage. Manche Unternehmen versuchen nach Angaben des Professors gegenzusteuern: etwa mit flexibler Schichtplanung oder der Möglichkeit, etwa in der Pflege Dokumentationen von zu Hause aus zu erledigen. „Ein Blue-Collar-Job kann auch vorteilhaft sein“, sagt Böhm. „Man nimmt die Arbeit nicht mit nach Hause.“ Ja, diese Jobs seien unflexibler – aber niemand klappe dort um 22 Uhr noch den Laptop auf.
Wer Mitarbeitende ernst nimmt, ihnen Gestaltungsspielraum lässt und gleichzeitig die Vorteile der Präsenz erlebbar macht, habe die besseren Karten, sagt Böhm. Einer der größten Fehler sei es hingegen, Beschäftigte zur Rückkehr ins Büro zu zwingen. Aus Studien wisse man, dass der wirksamste Weg darin bestehe, wenn Unternehmen klare Leitplanken setzen, etwa die Anzahl an Präsenztagen, und die konkrete Ausgestaltung dann den einzelnen Teams überlassen.
Büro oder Blaumann
White Collar wörtlich übersetzt „weißer Kragen“, bezeichnet Angestellte in Bürojobs oder wissensbasierten Berufen, etwa in Verwaltung, IT, Marketing oder Forschung. Sie arbeiten meist am Schreibtisch und tragen traditionell eher Hemd und Sakko.
Blue Collar „blauer Kragen“; steht für Arbeiter in handwerklichen, technischen oder industriellen Berufen, etwa in der Produktion, Logistik oder Pflege. Die aus den USA stammende Bezeichnung verweist auf die typische Arbeitskleidung von Blaumännern.