Die kleine, fast unbefahrene Straße führt entlang von Hopfenfeldern, Streuobstwiesen, Wäldern und sanften Hügeln durch das Hinterland des Bodensees. Der See ist nahe, Tettnang ist nahe – und dennoch ist das hier eine Welt für sich, geprägt von landwirtschaftlichen Betrieben. Wielandsweiler taucht vor einem auf, mittendrin das 200 Jahre alte Gasthaus Traube mit seinem Biergarten.
Dieses wird von Cordula Sorg betrieben. Die Besitzerin des alten Hofgeländes mit dem Gasthaus sowie mehreren weiteren Gebäuden und alten Scheunen ist auch die Bauherrin einer alten Hopfenhalle, die der Stuttgarter Architekt Oliver Fischer von Fischer Rüdenauer Architekten in eine Wohnscheune transformiert hat.
Das zugeknöpfte Vier-Fenster-Haus
Sie liegt etwas zurückversetzt auf dem Gelände. Und sie gibt sich auf den ersten Blick verschlossen. Abgeschottet. Zugeknöpft. Fast abweisend. Als eine braune Holzkiste, die mit einem Satteldach versehen ist. Doch wie bei der Augsburger Puppenkiste kann man sich auf etwas gefasst machen, wenn der Vorhang sich erst einmal hebt.
Nur, dass – anders als bei der Puppenkiste – die alte Hopfenhalle gleich von vier Himmelsrichtungen aus Einblicke in ihr Inneres bietet, wenn die Terrassenfensterläden beiseite geschoben werden. Oder Ausblicke auf die Landschaft, wenn man das Glück hat, in der umgebauten Scheune zu wohnen.
Jeweils zwei der großzügigen Holz-Aluminium-Terrassenfenster liegen sich gegenüber, diese sind – sowohl wie die verschiebbaren Fensterläden – in ihrer Größe und Positionierung an die alten Scheunentore angelehnt.
Sind letztere geöffnet, bieten sich verblüffende Sichtachsen: Dann geht der Blick nicht nur ins Innere der Scheune, sondern er gleitet noch darüber hinaus durch das gegenüber liegende Fenster in die Landschaft mit ihren auf Wiesen grasenden Pferden und den Obstbäumen. Oder auf das Gasthaus Traube mit seinem Biergarten.
„Sind die Fensterläden, die gen Biergarten zeigen, zu, fragen mich sogar Stammgäste, was es eigentlich mit der Scheune auf sich hat. Ob sie nur außen saniert wurde. Was da jetzt drin ist. Ob da wer drin wohnt“, sagt Sorg, die eigentlich „nur einen alten Schopf hatte, aus dem ich was machen wollte“. Sie wollte die Scheune zum Wohnhaus transferieren – und zwei Mietern zugänglich machen.
So kam Oliver Fischer ins Spiel. Für den Architekten wäre das Projekt „vom Volumen her“ eigentlich zu klein gewesen“, aber „die Zusammenarbeit mit der Bauherrin, die in ihrer unvoreingenommenen Art die positive Radikalität des Entwurfs mittrug“, ließ ihn schnell seine Meinung ändern.
Zumal er nicht zuletzt auch ein Zeichen setzen wollte. „Eigentlich ist eine Umnutzung einer Scheune zu einem Wohnhaus nicht im Baurecht vorgesehen“, sagt Fischer. Seiner Meinung nach ergibt diese Vorschrift heute aber keinen Sinn mehr. „So viel Holz oder anderes zu lagerndes Gut gibt ein Hof heute nicht mehr her.“ Deshalb würden viele Scheunen einfach verfallen.
Fischer, der sein Büro zwar in Stuttgart hat, dessen Lebensmittelpunkt jedoch in Bregenz ist, weiß zu berichten, dass das in Österreich anders gehandhabt werde: „Es gibt dort kein Baurecht in der Form, dort wird jedes Haus als Einzelfall behandelt“, sagt er, „Dort schaut man, was die beste Nutzung ist – und eine Nutzung, die geht da immer über Leerstand“. Auf eine solche Haltung will Fischer nun auch in Deutschland hinwirken, „aber es dauert, ein Bewusstsein zu schaffen“.
Der Holzbau folgt konsequent dem konstruktiven Prinzip der alten Scheune
Also führte er „konstruktive Gespräche mit dem Baurechtsamt Tettnang. Zunächst stieß er auf Widerstand, doch als man bei der Behörde merkte, dass es um ein „bescheidenes Haus ging, das fast aussieht wie die frühere Scheune, waren die Entscheidungsträger begeisterungsfähig“.
Von zwei Scheunen auf dem Gelände, für die Fischer eine Umnutzung beantragt hatte, wurde diese für eine genehmigt; nämlich für jene, die näher am Wohn- und Gasthaus liegt. „Das könne man dann als Ensemble betrachten“, erklärt Fischer die Entscheidung der Behörde.
Der Holzbau folgt konsequent dem konstruktiven Prinzip der alten Scheune. Die alte Bodenplatte wird in Teilen ergänzt und statisch ertüchtigt. Die Holzfassade aus unterschiedlich breiten Brettern aus vorpatinierter Weißtanne wurde auf die gedämmten Ständerwände montiert.
Das einzige Zugeständnis, dass die Behörde machte, war, dass sie den kleinen Anbau, den die meisten dieser Scheunen in dieser Gegend aufweisen, etwa als Pergola, in das „bewohnte Volumen integrieren und darauf eine Dachterrasse setzen durften“. Dadurch gewann man an Quadratmetern und kam somit auf 120 Quadratmeter Wohnfläche.
Ein Großteil des Raumvolumens konnte als zweigeschossiger Raum mit sichtbarem Dachtragwerk erhalten werden. Die halbe Hauslängsseite wurde auf zwei Geschossen organisiert. Im Obergeschoss verbindet ein zum Luftraum offener Flur das Bad und ein Schlafzimmer mit vorgelagerter Terrasse. Im Erdgeschoss sind Wohnen, Essen, Kochen, ein kleines Gästezimmer, ein WC und ein Technikraum untergebracht.
Es ist ein leiser Bau
Weiße Wand-und Deckenflächen wechseln sich mit Holzoberflächen ab. Sämtliche Holzeinbauten sind aus Fichte. Möbel sowie die Treppe und Türen werden bündig in die Holzvertäfelungen integriert. Möbel verschmelzen mit Wänden, Wände werden zu Möbeln. Der frei stehende Küchenblock im Erdgeschoss bildet die Ausnahme. Er ist aus Altholz mit gefliester Arbeitsplatte in Längsrichtung im zweigeschossigen Raum positioniert.
Auch auf Details wurde viel Wert gelegt – und darauf, überall Zitate der früheren Nutzung zu integrieren, auch wenn vom Altbau eigentlich nur das Fundament und einige Stützen übrig geblieben sind. Doch die Bakelit–Lichtschalter gleichen jenen, die es im alten Gebäude gab.
Alles klein und fein. „Viele Bauten wollen protzen und laut sein – dieser nicht. Dies ist ein leiser Bau. Von meiner Oma an können sich die meisten Leute damit identifizieren, er ist modern unmodern – oder auch zeitlos“, sagt Fischer, der dem rund 650 000 Euro teuren Projekt auch eine gewisse Liebhaberei unterstellt: „Rein wirtschaftlich gesehen ist es nicht ganz logisch.“
Das liegt aber nicht zuletzt auch daran, dass die Bauzeit in eine ungünstige Zeit fiel: Als der Bauantrag 2021 gestellt worden war, hatte Corona die Bauwirtschaft bereits im Griff – und das sollte sich bis zur Fertigstellung im Mai 2023 kaum ändern. „Wir sind aber mit zwei hellblauen Augen davon gekommen“, sagt Fischer. Denn durch die Kontakte von Cordula Sorg konnten sie beim Projekt auf regionale Handwerker zurückgreifen, die die Scheune dann einschieben konnten, wenn es auf einer anderen Baustelle gerade wegen Lieferproblemen stockte.
Fischer ist auch froh, das der energetische Fußabdruck, den das Haus im Gebrauch hinterlässt, klein gehalten werden konnte. Dank einer bestehenden Holz-Hackschnitzelheizung in einem der Nebengebäude kann die Scheune mit einem Nahwärmeanschluss versorgt werden, die die Fußbodenheizung speist.
Wann die Welt und die Sonne reinlassen?
Strom kommt von einer Solaranlage eines Nebengebäudes, Wasser und Abwasser konnten an bestehende Strukturen angeschlossen werden; das Regenwasser wird in einer Zisterne gesammelt. Zudem ist das Gebäude mit guten Fenstern versehen und mit Mineralwolle in Holzständerbauweise gedämmt worden.
Darum müssen sich die Mieter also keine Gedanken machen. Denen bleibt, sich zu überlegen, wann sie Privatsphäre und Schatten wollen – oder wann sie die Welt und die Sonne reinlassen möchten. Und den Terrassentisch mit den Jahreszeiten und dem Sonnenlauf von einer der vier Terrassen auf die nächste zu stellen.