Langes Warten für einen Smashburger? Machen momentan viele in Stuttgart. Auch Zimtschnecken, Dubai-Schokolade oder Sexpositiv-Partys führten und führen zu langen Warteschlangen. Wird das Anstehen zum Trend? Langes Warten für einen Smashburger? Machen momentan viele in Stuttgart. Auch Zimtschnecken, Dubai-Schokolade oder Sexpositiv-Partys führten und führen zu langen Warteschlangen. Wird das Anstehen zum Trend?

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Eine Schlange (lateinisch: serpens) hat viele Gesichter. Die Schlange vor der Kfz-Zulassungsstelle oder vor Bürgerämtern macht die Menschen wütend. Wenn nichts vorwärtsgeht, sucht man die Schuldigen in der Politik. In diesen nervigen Fällen handelt es sich also um die böse Schlange, der man am liebsten aus dem Weg gehen würde – was aber Gesetze verbieten oder mangelnde digitale Fortschritte verhindern.

 

Doch es gibt auch die gute Schlange, die sogenannte Trendschlange (lateinisch: tendenza serpens), deren Teilnahme freiwillig ist. Niemand müsste anstehen. Denn ein Leben ohne Zimtschnecke, Dubai-Schokolade, Sneakers, Döner und Sexpositiv-Party ist möglich. Trotzdem steht man sich die Beine in den Bauch, weil man scharf ist auf ein heiß begehrtes Kaufobjekt beziehungsweise auf ein ganz besonderes Event. Oder weil man scharf gemacht wird auf Social Media.

Schlange in der Stuttgarter City zur Sexpositiv-Party im Club Proton. Foto: Alexander Klarmann

Na, heute schon angestanden?

Die Schlange kann zur Marketingstrategie gehören, da ein Geschäft, in das man nicht sofort reinkommt, reizvoller erscheint. Ist erst einmal ein Hype entstanden, werden immer noch mehr Menschen angelockt. Denn das Warten suggeriert Exklusivität.

Na, heute schon angestanden? Wer ansteht, will dazugehören, will etwas ergattern, was nicht jeder erwischt. Und schon fühlen sich die Wartenden damit als Trendsetter, fürchten, dass sie was verpassen, wenn sie sich die Zeit nicht nehmen. Hinterher können sie stolz erzählen oder posten, dass sie zum kleinen Kreis gehören, denen etwas Einzigartiges gelungen ist.

Wer in diesen Tagen an der Tübinger Straße vorbeikommt, denkt beim Anblick der Schlange im ersten Moment vielleicht, da stehen aber viele für das Delphi-Kino von Simon Erasmus an. Doch das Ende der Schlange führt ins Nachbarhaus, in dem die Berliner Vladislav Gachyn und Kajo Hiesl (sie lernten sich in einer Drei-Sterne-Küche kennen) vor wenigen Wochen nach weiteren Großstadtfilialen den Stuttgarter Pop-up-Store Goldies eingerichtet haben. An der Tür steht: „Best Bad Food in Town“.

Sind Smashburger das „Beste des Schlechten“?

Die Logik, die dahintersteckt: Fast Food, also Pommes und Burger, ist „Bad Food“. Das Beste des Schlechten aber gibt es bei ihnen. Das Ziel ist, dass sich die Kunden „hinterher ein bisschen weniger schlecht fühlen als anderswo“, weil etwa auf Konservierungsstoffe verzichtet wird oder ein Patty aus Erbsenprotein auch Veganer glücklich macht. 

Bei der Zubereitung ihrer Smashburger werden wie in den USA die Pattys nicht einfach auf den Grill gelegt, sondern vorher zerquetscht („gesmasht“) und dann beim Erhitzen mit einem Gewicht beschwert.

Die Zimtschnecken von Zeit für Brot haben in der Calwer Passage für Schlangen gesorgt. Foto: Andreas Rosar

Von Zimtschnecken, Dubai-Schokolade und Döner weiß man: Klingt der Hype mal ab, wird es auf den Bürgersteigen davor wieder ruhiger. Es soll Geschäfte aus dem Luxussegment geben, die ganz bewusst für Schlangen sorgen, indem die Security nur wenige Kunden gleichzeitig reinlässt. Werbestrategen diskutieren angeblich über die Bildung von „Fake-Schlangen“, um aufzufallen.

Ein Besuch bei den Goldies der Tübinger Straße an einem Abend gegen 21 Uhr. Die Wartenden, die ganz vorne stehen, sagen, sie hätten eine Dreiviertelstunde gebraucht, um an die Pole-Position zu gelangen. Die Schlange zieht sich am Kino vorbei bis zum ehemaligen E & H Meyer. Wer vorbeiläuft, wird neugierig. „Die Schlange verlief auch schon bis vor zur Königstraße an der Bank vorbei“, hört man, „heute geht’s eigentlich.“

Für die Wartenden vor Tafelläden sind die Trendschlangen ein Hohn

Auch das ist Stuttgart: Menschen stehen vor Tafelläden in der Schlange an. Sie könnten sich einen „Super Smash Brother Double Burger“ für 11,90 Euro nicht leisten, der in dieser Stadt zurzeit so hoch im Kurs steht und den man – wie bei allen Speisen bei den „Goldies“ – nur mit Karte bezahlen kann. Nicht wenige der Wartenden, die von Hilfsorganisationen Lebensmittel bekommen, die man sonst vernichten würde, haben sogar gar keine Karte – die Trendschlangen dürfte ihnen wie Hohn vorkommen.

Zafer Kilic vom Restaurant und der Weinbar Mozart 3 im Heusteigviertel kann sich nur wundern: „Wenn Gäste bei uns nur mal drei Minuten auf ihren Tisch warten müssen, sie nicht gleich bestellen können oder der Service nicht sofort da ist, schreiben sie gleich negative Bewertungen ins Netz – und andernorts stehen sie freiwillig eine Stunde, ohne zu murren, in der Kälte. Was stimmt mit diesen Menschen nicht?“

Warten nervt. So dachte man bisher. In Metropolen gehört das freiwillige Warten nun aber zum Stadtbild. Obwohl es in Stuttgart an Grills mit Burgern gewiss nicht mangelt, will man dorthin, wo es alle hinzieht. Dies verbindet die Menschen in der Schlange, auch wenn sie während des Wartens kein Wort miteinander reden. Es entsteht ein Gruppengefühl. Das Geduldsspiel wird hingenommen, weil nicht zuletzt die sozialen Medien dazu verführen.

Und hinterher fühlt man sich belohnt, wenn man in den Smashburger beißen kann. Dann schmeckt er gleich noch viel besser. Wenn der Trend es will, führt eine Schlange gar zu Glücksgefühlen. Alles sonderbar!