Vom kommenden Schuljahr an wird G9 wieder die Regelform in Baden-Württemberg. Wir haben Eltern von Viertklässlern dazu befragt. Foto: dpa/Armin Weigel
Sind Mütter und Väter erleichtert, dass ihr Nachwuchs nun wieder ein Jahr mehr Zeit bis zum Abitur hat? Und was halten sie von der neuen Grundschulempfehlung? Wir haben uns bei einem Tag der offenen Tür an einem Stuttgarter Gymnasium umgehört.
Für die beiden Freundinnen Lina und Lillie ist es eine aufregende Zeit. Die Viertklässlerinnen kommen im Herbst auf eine neue Schule. In diesen Tagen schauen sie sich mit ihren Eltern verschiedene Gymnasien an, um das Passende zu finden. Was ihnen wichtig ist? Nette Lehrer, dass sie sich wohlfühlt und dass sie Freunde hat, antwortet Lina. Lillie ergänzt: „Dass man viel lernt.“
Der Familienvater Martin Berlin begrüßt die Rückkehr zu G9. Foto: Kratz
Familienvater Martin Berlin sieht das ähnlich. Sein Kind soll sich auf der neuen Schule wohlfühlen, und dafür sei es seiner Tochter wichtig, dass sie Anschluss habe, sagt der 49-Jährige am Rande eines Tags der offenen Tür an einem Stuttgarter Gymnasium. Auf die Gymnasien kommen mit der im Januar beschlossenen Bildungsreform große Veränderungen zu. Vom kommenden Schuljahr an wird der neunjährige Weg zum Abitur wieder die Regel sein – und zwar für alle Kinder, die jetzt in der fünften Klasse oder jünger sind. Martin Berlin begrüßt die Rückkehr zu G9. Das nehme Druck von den Kindern, sie hätten damit wieder mehr Freizeit, sagt er.
„Das G8 war schon sehr vollgepackt“, sagt Volker Nadenau. Foto: Bete Grünewald
Auch Volker Nadenau sagt: „Das G8 war schon sehr vollgepackt.“ Die Jugendlichen hätten so deutlich weniger Kapazitäten für Hobbys wie Sport oder Musik gehabt. „Man beeilt sich, um dann mit 17 Abitur zu machen.“ Die Konsequenzen seien, dass teils unmündige Jugendliche die Schule verlassen und Eltern die Praktika an der Uni unterschreiben müssten. Auch aus Sicht der Arbeitgeber sei ein G8 seiner Meinung nach nicht sinnvoll. „Je jünger, desto unreifer sind die Menschen und damit oft auch weniger zielstrebig“, sagt der 57-Jährige Vater dreier Kinder, die in der vierten, sechsten und neunten Klasse sind.
„Mit G8 ist man schon früh mit der Schule fertig“, sagt auch Martin Wuttke. Für viele sei es da noch schwer, einen Beruf oder einen Studiengang zu wählen. „Ich jedenfalls hätte nach der zwölften Klasse noch nicht gewusst, was ich machen will.“ Dennoch habe er sich nicht für das acht-oder neunjährige Gymnasium verkämpft. „Viel wichtiger ist es, dass sich die Kinder an ihrer Schule wohlfühlen, dass sie gerne hingehen.“ Das wünscht er seinem Kind, das im Herbst in die fünfte Klasse kommt. Und dafür brauche es vor allem eine gute Schulgemeinschaft, zu der insbesondere die Lehrkräfte beitragen könnten, weil die Schülerschaft regelmäßig wechsle.
Weniger Unterricht am Nachmittag, das könne für berufstätige Eltern schwierig werden, sagt Christa Gebhard. Foto: Alexandra Kratz
Christa Gebhard wäre das G8 lieber gewesen. Die 34-Jährige hat bereits ein Kind in der sechsten Klasse auf dem Gymnasium und die Erfahrung gemacht, dass immer mal wieder Unterricht ausfällt. Wenn das mehr werde, weil mit G9 zumindest mittelfristig mehr Lehrkräfte gebraucht werden, und dann auch noch an einem Nachmittag weniger Unterricht sei, weil die Kinder wieder mehr Freizeit haben sollen, dann könne das für berufstätige Eltern schwierig werden. „Das ist ein großes Thema für uns. Ich habe Sorge, dass meine Tochter, die jetzt in die fünfte Klasse kommt, noch mehr Ausfälle und noch weniger Nachmittagsbetreuung hat“, sagt die 34-Jährige.
G8 oder G9, Gymnasium oder Realschule – für eine Mutter aus Stuttgart-West sind das gar nicht die entscheidenden Fragen. Sie ist in Spanien aufgewachsen, und dort bleiben alle Mädchen und Jungen bis zum Ende der zehnten Klasse zusammen. „Für mich war es eine absolute Überraschung, dass hierzulande bereits nach der vierten Klasse sortiert wird“, sagt die 39-Jährige. Wenn sie auf ihre Schulzeit zurückblicke, empfinde sie das längere gemeinsame Lernen als positiv. „Es war durchmischter, und es gab weniger Druck.“
Für Kinder in der vierten Klasse seien die vergangenen Monate stressig gewesen. „Viele haben gelitten und gebangt, ob sie es aufs Gymnasium schaffen“, sagt sie. Der neue Kompetenztest Kompass 4 – ein Teil der neuen, verbindlicheren Grundschulempfehlung – sei da wenig hilfreich gewesen. Für viele Eltern sei der Test wichtig gewesen, manche hätten extra mit ihrem Nachwuchs dafür geübt. Unter den Kindern sei so der Eindruck entstanden, dass es um eine entscheidende Prüfung gehe. „Die Kinder sind ja gerade mal neun Jahre alt. Für sie ist so eine Situation anstrengend “, sagt die gebürtige Spanierin.
Kompass 4 habe viele Kinder unter Druck gesetzt, sagt Harriet Kasper. Foto: Beate Grünewald
Harriet Kasper kann da nur zustimmen. „Es war schon aufregend. Die Kinder haben sich unter Druck gesetzt“, sagt sie. Das sei unnötig gewesen, denn letztlich habe die Meinung der Klassenlehrerin gezählt, die das Kind besser einschätzen könne als ein Test, der nur eine Momentaufnahme sei. Aber sie könne auch verstehen, warum Kompass 4 eingeführt worden sei. „Lehrer haben mir erzählt, dass manche Eltern ihre Kinder ins Gymnasium geben, obwohl diese in dem Moment noch nicht soweit sind. Die Lehrer wissen das nach zwei Wochen in der neuen Schule, es dauert aber zwei Jahre bis die Kinder in eine Schule gehen können, wo sie mitkommen. Die Kinder werden in dieser Zeit gebrochen.“