Weinstadt erhält seine ersten Stolpersteine, mit denen Opfern des Nationalsozialismus gedacht wird. Verlegt werden sie für Alfred Herbst und Anna Linder.
Sie dürfen nicht vergessen werden, die Opfer des menschenverachtenden Nationalsozialismus. Das Gedenken an die Ermordeten im Dritten Reich wird unter anderem durch die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig aufrechterhalten, die dieser seit 1992 in ganz Europa verlegt. Nun wird auf diese Weise auch in Weinstadt (Rems-Murr-Kreis) an zwei Opfer erinnert. Die Stolpersteine für Alfred Herbst und Friederike Anna Linder werden am Mittwoch, 15. Oktober, in der Theodor-Heuß-Straße 21 im Ortsteil Endersbach, beziehungsweise am Prinz-Eugenplatz in Großheppach verlegt. Die Bürgerinitiative „Stolpersteine für Weinstadt“ hat das Leben und Leiden von Alfred Herbst und Friederike Anna Linder rekonstruiert.
Der am 15. Dezember 1906 in Schriesheim bei Heidelberg geborene Alfred Herbst war ein überzeugter Gegner des Nationalsozialismus. Seine Eltern waren überzeugte Christen und gehörten einer Baptistengemeinde an, der sich auch ihr Sohn mit 16 Jahren anschloss.
Nach einer Ausbildung zum Chirurgie-Mechaniker in Heidelberg arbeitete Alfred Herbst ab 1927 als Monteur bei der Firma „Gas und Wasser Stuttgart KG“. In dieser Zeit schloss er sich der Stuttgarter Baptistengemeinde an und lernte beim gemeinsamen Singen im Gemeindechor Elise Petershans aus Endersbach kennen und lieben. 1935 heirateten sie in deren elterlichem Haus, wo sie zukünftig auch lebten. Ihre Tochter Sonja, das einzige Kind der Eheleute, wurde am 1. Januar 1936 geboren.
Der liebevolle Ehemann und Vater Alfred Herbst hatte eine Leidenschaft für Gott, die Natur und das gemeinsame Musizieren. Und aus seinem festen Glauben heraus war er ein überzeugter Gegner des Nationalsozialismus. Er verweigerte den Hitler-Gruß und das Aushängen der Hakenkreuzfahne. Die Baptistengemeinde in Stuttgart verließ er bereits 1930 wegen deren fehlender Abgrenzung zum Nationalsozialismus. Im Haus der Familie in Endersbach fanden nun geheime Bibel- und Gebetstreffen statt, die von der Gestapo überwacht wurden und in der Folge Hausdurchsuchungen veranlassten.
Der überzeugte Christ widersetzt sich
Mit Beginn des Krieges wurde auch Alfred Herbst für den Wehrdienst erfasst. Bis 1943 konnte sein Arbeitgeber jedoch die Einberufung verhindern, da die nach den Bombenangriffen laufend erforderliche Instandsetzungsarbeit an den Bahnhöfen als „kriegswichtig“ galten. Dennoch wurde Alfred Herbst am 23. März 1943 schließlich zur Wehrmacht einberufen. Er trat zwar an, verweigerte jedoch Wehrdienst und Fahneneid – in der Folge wurde er inhaftiert.
In zahlreichen Verhören bekräftigte er seine ablehnende Einstellung gegenüber den Nationalsozialisten und alle Versuche, ihn umzustimmen, waren vergeblich. Daraufhin verurteilte ihn das Reichskriegsgericht am 25. Juni 1943 wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode, zum Verlust der Wehrwürdigkeit und zum dauernden Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte.
Nur knapp einen Monat später wurde Alfred Herbst in das Zuchthaus von Brandenburg-Görden eingeliefert, wo er mit dem Fallbeil hingerichtet wurde.
Friederike Anna Linder wurde am 21. April 1889 in Großheppach geboren. Ihre Mutter, Christiane Friederike Siegle, war Großheppacherin. Ihr Vater, der Schuhmachermeister Bernhard Linder, stammte aus Niederstetten. In Großheppach betrieb er ein Schuhgeschäft am Prinz-Eugen-Platz. Bei der Geburt von Anna hatte die Familie bereits sechs Kinder, zwei davon aus der ersten Ehe ihres Vaters. Anna ging in Großheppach zur Schule und wurde 1903 konfirmiert. Überliefert ist, dass sie wohl Schwierigkeiten mit dem Lernen hatte und unter kognitiven Beeinträchtigungen, vielleicht auch psychischen Einschränkungen litt. Zumindest schien sie zu einem eigenständigen Leben nicht in der Lage gewesen zu sein.
In der Familie hatte Anna allerdings ihren festen Platz. Sie unterstützte ihre Mutter im Haushalt und kümmerte sich um ihre sieben jüngeren Geschwister und später auch um ihre Nichten und Neffen.
Nach dem Tod von Annas Vater im Jahr 1928 führte ihr Bruder Bernhard das Schuhgeschäft weiter. Anna lebte weiterhin bei ihrer Mutter. Als diese 1938 ebenfalls starb, musste eine Lösung für die Betreuung von Anna gefunden werden. Bei ihren Geschwistern konnte sie nicht bleiben, sodass Anna schließlich am 7. Mai 1940 in einem Heim der Gustav-Werner-Stiftung in Göttelfingen untergebracht wurde.
Als 1940/1941 von den Nationalsozialisten die heute sogenannte „Aktion T4“ – eine Bezeichnung für den systematischen Massenmord mittels Giftgas – durchgeführt wurde, mussten auch aus dem Heim der Gustav-Werner-Stiftung Menschen in den Tod geschickt werden. Darunter auch Anna: Sie wurde am 26. März 1941 zunächst in ein Zwischenlager in Weinsberg deportiert, am 7. Mai 1941 wurde sie von den Nazis in Hadamar in der Gaskammer ermordet.
Die geistig beeinträchtigte Anna Linder wurde in der Gaskammer ermordet
Annas Tod wurde dem Bürgermeisteramt in Großheppach gemeldet, woraufhin dieser als ihr gesetzlicher Pfleger darum bat, ihm Annas Hinterlassenschaften aus Göttelfingen zu senden, um diese an deren Geschwister verteilen zu können. Die jüngeren Geschwister entschieden, dass der Holzkoffer mit Annas Nachlass an ihren älteren Bruder August in Ulm gehen sollte.
- Friederike Anna Linder Am Mittwoch, 15. Oktober, wird um 9 Uhr am Prinz-Eugen-Platz 5 in Weinstadt-Großheppach der Stolperstein für Friederike Anna Linder verlegt.
- Alfred Herbst Um 10 Uhr folgt die Verlegung des Stolpersteins für Alfred Herbst in der Theodor-Heuss-Straße 21 im Weinstädter Ortsteil Endersbach.
- Programm Der Weinstädter Oberbürgermeister Michael Scharmann und Ursula Vollmer von der Bürgerinitiative „Stolpersteine für Weinstadt“ sprechen jeweils ein Grußwort. Die Bläsergruppe des Remstal-Gymnasiums Weinstadt sorgt für die musikalische Umrahmung. In Großheppach beteiligen sich Schülerinnen und Schüler der Erich-Kästner-Schule mit einer Lesung und Blumenniederlegung, in Endersbach ist die Familie von Alfred Herbst anwesend.