Der pauschale Antisemitismusvorwurf gegen junge linke Akademiker ist vorschnell, behauptet eine Studie der Uni Mannheim. Aber wie passt das zu den anti-israelischen Protesten an den Hochschulen?

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Jahrzehntelang ist der Antisemitismus in Deutschland vor allem auf der rechten Seite des politischen Spektrums verortet worden. Seit es an den Universitäten verstärkt zu anti-israelischen Kundgebungen kommt, hat sich der Fokus verschoben. Jung, links, akademisch gebildet und gleichzeitig antisemitisch – das ist der neue verstörende Vierklang, der politisch diskutiert wird. Die Uni Mannheim hat dies untersucht und kommt zu einem differenzierten Ergebnis.

 

Der Antisemitismusvorwurf an das linksorientierte junge akademische Milieu sei „vorschnell“, warnen Marc Helbling und Richard Traunmüller. Die Professoren berufen sich auf Ergebnisse einer deutschlandweiten Umfrage mit 3702 Teilnehmern aus allen Alterskohorten und Schichten, die sie im Januar und Februar erhoben und jetzt ausgewertet haben. Das Ergebnis: junge, linksorientierte Menschen haben tatsächlich oft eine ausgeprägte pro-palästinensische Haltung. Diese sei aber nicht aus traditioneller Judenfeindlichkeit gespeist. Hier gebe es statistisch keinerlei Korrelation. „Tatsächlich handelt es sich um die am wenigsten antisemitisch eingestellte Gruppe in Deutschland“, heißt es in der Studie.

Antisemitische Klischees wurden abgefragt

So stießen Aussagen wie Juden seien „mehr hinter Geld her als andere Menschen“, sie hätten „zu viel Einfluss in der Welt“ und würden „nur über den Holocaust“ reden, „um ihre politische Agenda voranzutreiben“, bei linken Studierenden kaum auf Zustimmung. „Tatsächlich ist der traditionelle Antisemitismus sowohl in älteren Alterskohorten als auch im rechten politischen Spektrum deutlich verbreiteter“, schreiben Helbling und Traunmüller.

Betrachte man den „antizionistischen Antisemitismus“ ergebe sich allerdings eine etwas andere Einschätzung, räumen die beiden Wissenschaftler ein. Hier drehten sich die Fragen unter anderem ums Existenzrecht Israels und um die Behauptung, Israel behandele „die Palästinenser so, wie die Nazis die Juden behandelt“ hätten. Im jungen linken akademischen Milieu hätten sich hier tatsächlich leicht erhöhte Werte gezeigt. Insgesamt seien die Einstellungsunterschiede über alle Alterskohorten und das gesamte politische Spektrum hinweg aber bei diesen Fragen sehr gering. Größere Unterschiede gebe es einzig bei der Toleranz gegenüber scharfer Israelkritik. Die Bezeichnung des Landes als Apartheidsstaat, der Palästinenser unterdrückt, wird von jungen linken Akademikern eher für zulässig gehalten.

Blume warnt vor Querfront

Kritik an der Studie äußerte der baden-württembergische Beauftragte gegen Antisemitismus, Michael Blume (CDU). Falsch sei schon die Trennung von „traditionellem“ und angeblich neuem antiisraelischen Antisemitismus. Auch dieser habe eine lange Tradition. Schon Karl Marx habe sich das Ende des Judentums gewünscht, die Sowjetunion habe einen mörderischen Antizionismus betrieben und die „Rote Armee Fraktion“ habe sich mit palästinensischen Terroristen verbündet. „Der Palästinenserschal und die Romantisierung des Terrors wurden zu einer anti-israelischen Tradition, bis heute.“

Zudem übersähen die Studienmacher, das antisemitische Drohungen gegen jüdische Studierende und Gewaltbereitschaft gegen Synagogen sicht häuften, „auch in Mannheim und Heidelberg“, sagte Blume gegenüber unserer Zeitung. Dies müsse bei künftigen Untersuchungen berücksichtigt werden. „Seit dem 7. Oktober 2023 eskaliert eine Querfront aus linkem, islamistischem und rechtem Antisemitismus vor allem in den Universitätsstädten und im Internet.“ Dies habe reale politische Folgen. Zuletzt seien sich Alice Weidel (AfD) und Sahra Wagenknecht (BSW) in ihrer Ablehnung von Waffenlieferungen an Israel schon einig gewesen.