Studie zu Freizeitverhalten Zerstört das Internet unsere Freundschaften?

Dienen oder schaden Smartphones unseren Beziehungen? Foto: imago//Yuri Arcurs

Eine Erhebung ergibt, dass Menschen die meiste Zeit mit Medienkonsum oder im Internet verbringen. Gleichzeitig wünschen sich viele mehr echte Nähe. Ist das Internet schuld an der Einsamkeit? Unsere Autoren sind unterschiedlicher Meinung.

Die Deutschen sind am liebsten online, wenn sie Muße haben. Laut dem aktuellen „Freizeit-Monitor“ der BAT-Stiftung für 2024 nutzen 96 von 100 Befragten regelmäßig das Internet. Neben dem Internet schauen etwa 84 von 100 Befragten Fernsehen, 82 hören Musik, und 78 beschäftigen sich in erster Linie mit Computer, Laptop oder Tablet. Gleichzeitig haben die Forscher einen Wunsch nach mehr „echter Nähe“ erhoben. Macht uns das Internet also einsamer? Unsere Autorin Nina Ayerle und unser Autor Florian Gann sind unterschiedlicher Meinung.

 

Pro: In sozialen Netzwerke finden wir Menschen mit verschiedenen Lebensstilen

Es gibt Menschen in meinem Leben, mit denen ich täglich in Kontakt stehe. Allerdings beschränkt sich dieser oft darauf, dass wir uns lustige Reels über Instagram schicken. Eine Weile dachte ich, dass es irre ist, abends im Bett nach kleinen Videos zu suchen, die die Arbeitsproblematik meiner einen Freundin widerspiegeln, den Dating-Frust meiner anderen oder die Hunde- und Italienliebe, die mich mit zwei weiteren Freunden verbindet.

Dann aber habe ich ein Reel gefunden, dass man diese Art von Verbindung heute „Pebbling“ nennt, weil Pinguine ihren Liebsten kleine Kieselsteine (pebble) mitbringen, um ihre Zuneigung zu zeigen. Reels sind quasi die Kieselsteine der Millenials und Gen Z. Das ist dann ja doch irgendwie süß.

Und ja, wenn man viel in sozialen Netzwerken verbringt, baut man die eine oder andere Hassliebe zu Wildfremden auf. Da ist zum Beispiel diese Tradwife-Influencerin, die mit einer unerträglich hohen, monotonen Stimme, Sachen sagt wie: „Meine Kinder wollten heute morgen soo gerne Schokoladencroissants. Also habe ich Butter selbst gemacht und aus einer Kakaofrucht Schokolade hergestellt.“ Diese Frau macht mich wahnsinnig. Ich bin froh, dass ich eine Freundin habe, der es genauso geht – deshalb ich ihr direkt das neuste Reel der Hausfrau geschickt, damit sie auch etwas zu lachen hat.

Ich habe viele Freunde, die mit sozialen Netzwerken nichts am Hut haben und das als „nicht echte Kommunikation“ bezeichnen. Die meisten davon haben kleine Kinder und wohnen auf dem Dorf. Dort treffe man Menschen noch persönlich, betonen sie immer. „Internet-Freunde“ verbinden sie gedanklich mit mindestens Psychopathen. Dabei habe ich über soziale Netzwerke viele Freunde gefunden, mit denen ich mich längst in „echt“ treffe. Viele eint, dass sie Lebens- und Liebesmodelle haben, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen und die dadurch sehr viel weltoffener sind. Wenn man Kontakte übers Internet knüpft, verlässt man seine gewohnte Bubble – die bei vielen eben häufig immer noch aus nur bürgerlichen Kleinfamilien besteht. Es erweitert den Horizont aber ungemein, wenn man nicht jeden, der von diesem Modell abweicht – eine Singlefrau oder ein schwules Paar – wahlweise als „höchst sonderbar“ oder als völlig gescheitert im Leben abstempelt.

Nina Ayerle (41) findet, die Zeit in sozialen Netzwerken kann uns bereichern und es können sich neue Freundschaften daraus ergeben.

Contra: Die Zeit im Netz kann uns davon abhalten, Freunde zu treffen.

Mal ehrlich: Es kann erholsam sein, in einem endlosen Tunnel aus unterhaltsamen Reels, also Kurzvideos auf Instagram oder Tiktok zu versinken. Einfach so am Handy vor sich hinzudaddeln und die Welt vorbeiziehen zu lassen. Das baut Stress ab, und das schadet nicht in Zeiten, in denen bei vielen das Nervenkostüm gespannt ist wie die Gummihaut eines voll aufgeblasenen Luftballons.

Andererseits gibt es Studien, die einen nachdenklich machen können: Sie deuten darauf hin, dass die psychische und körperliche Gesundheit durch exzessive Smartphone-Nutzung gefährdet ist. Gleichzeitig warnen Psychologinnen und Psychologen immer wieder, dass gerade jüngere Menschen immer öfter psychisch krank sind. Sind das Internet und das Smartphone dran schuld?

Der Zusammenhang ist nicht so evident, wie es auf den ersten Blick erscheint. Das zeigt eine im Fachmagazin „Plos One“ veröffentlichte Studie aus diesem Jahr besonders gut. Dort heißt es, dass die Verwendung des Smartphones bei Jugendlichen mit einer verbesserten Stimmung einhergehe. Das bestätigt einerseits: Das Gerät kann eine Entlastung sein, wenn man einen schlechten Tag hat. Seine Stimmung zu regulieren, indem man das Handy aus der Hosentasche holt, kann aber auch ein Anzeichen von Suchtverhalten sein.

Das heißt: Smartphones und das Internet können positiv und negativ genutzt werden. Die zentrale Frage dabei ist: Mache ich etwas mit dem Internet, oder macht das Internet etwas mit mir? Ziehe ich bewusst einen Nutzen aus den ganzen Bildern, Informationen, kurzen Unterhaltungsvideos. Macht es mich schlauer oder entspannt mich? Oder verliere ich mich im Angebot, obwohl ich eigentlich etwas anderes tun möchte. Hält mich das Beantworten von Nachrichten davon ab, mich mit Menschen in echt zu treffen? Es schadet nicht, sich diese Fragen ab und zu selbst zu stellen.

Eigentlich sehnen sich die Menschen nach mehr gemeinsamer Zeit, ergibt der Freizeit-Monitor. Das Smartphone und digitale Angebote müssen dem nicht entgegenstehen. Man kann sich online Konzerte, Museen, Abenteuer raussuchen und seine Freunde zu einem gemeinsamen Ausflug einladen. Sie werden sich darüber freuen.

Florian Gann (40) glaubt, dass persönliche Begegnungen durch nichts zu ersetzen sind.

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