Stuttgart im Zweiten Weltkrieg Ihre Gesichter sind vom Krieg gezeichnet
Der neueste Film unseres Projekts „Stuttgart im Zweiten Weltkrieg“ zeigt, wie es im Stollen aussah – und die Zerstörungen nach den alliierten Luftangriffen.
Der neueste Film unseres Projekts „Stuttgart im Zweiten Weltkrieg“ zeigt, wie es im Stollen aussah – und die Zerstörungen nach den alliierten Luftangriffen.
In diesem Film sieht man die Bunker und Stollen, die in Stuttgarts Untergrund und Hänge getrieben werden; die beengte Realität in ebendiesen Schutzräumen; und die Zerstörungen, die alliierte Bomben draußen anrichteten, während die Bevölkerung hoffte, mit dem Leben davonzukommen. „Der Luftkrieg gehört zu den in Deutschland am intensivsten erinnerten Aspekten des Zweiten Weltkriegs“, sagt Jürgen Lotterer vom Stadtarchiv Stuttgart in der neuesten Folge unserer gemeinsamen Filmreihe „Stuttgart im Zweiten Weltkrieg“.
Dieser Krieg, so Lotterer, „war auch von Anfang an ein Luftkrieg“. Stuttgart wurde schon im Ersten Weltkrieg sporadisch zum Ziel von Luftangriffen, kam in der ersten Kriegshälfte noch vergleichsweise glimpflich davon. Mit der Zerstörung des Hauptbahnhofs im November 1942 begann jedoch eine Reihe von verheerenden Bombardements. Im September 1943 traf ein Angriff bei helllichtem Tag den Stuttgarter Westen, bereits im März waren Vaihingen, Kaltental und Süd schwer getroffen worden. 1944 wurden bei den schwersten Luftangriffen die Altstadt und weite Teile des Westens in Schutt und Asche gebombt oder verbrannten beim anschließenden Feuersturm.
Gut ein Dutzend Filme zum Thema Luftangriffe und Luftschutz sind im Stadtarchiv-Bestand der Kriegsfilmchronik enthalten – ungefähr jeder fünfte Film. Man sieht Übungen zum Löschen von Phosphorbomben, die Baugruben von Marktplatz- und Marienplatz-Bunker und die neu errichteten Luftschutzstollen samt Inneneinrichtung. Auch Übungen zum Betreten des Stollens wurden abgefilmt: Überwiegend Mütter und Großmütter sowie ihre Kinder und Enkel marschieren zügig, aber ruhig zu „ihrem“ Stollen. Ältere Geschwister schieben Kinderwagen oder haben ein Kissen unterm Arm, die Mütter haben kleine Koffer mit der obligatorischen Luftschutzmappe darin.
„Dieser Film ist im ‚Kräherstollen‘ in Feuerbach gedreht worden, dem Stollen in unserer Straße“, sagt Norbert Prothmann von der lokalhistorischen „Forschungsgruppe Untertage“. Der Experte erkennt auch sofort den Wert des Films: „Ich kannte bisher die Fotos vom Stollen, die Rolf Zielfleisch von ‚Schutzbauten Stuttgart‘ in seinen Büchern publiziert hat. Aber acht Minuten Propagandafilm mit zahlreichen Details sind schon etwas anderes.“
Zu den Details zählen neben dem Betrieb etwa der Belüftungsanlage, einer Abkochstelle für Babymilch oder der Stollenleitung die Blicke in die Gesichter der Kinder und der Erwachsenen. Ernst schauen sie, teilweise geht der Blick ins Leere. War es eine Anweisung des Dokumentarfilmers Jean Lommen oder von der beauftragenden Stadtverwaltung? Oder ein Eindruck von der Härte des Krieges, der nicht zuletzt als Luftkrieg den Stuttgartern mehr als präsent war?
Sicherlich zeigt die für die Kriegsfilmchronik festgehaltene Übung nicht den Stress und die Hektik, die im Stollen bei tatsächlichen Fliegerangriffen geherrscht haben muss. Und doch vermittelt der Blick in die mit Holz ausgekleideten Schutzräume, in denen die Mütter auf einer kargen Bank gerade so vor ihrem Kinderwagen Platz finden, ein Gefühl dafür, wie sich der Aufenthalt im Stollen angefühlt haben muss. Geradezu kurios wirkt beim Blick in das im Stadtarchiv aufbewahrte Rohmaterial dagegen der Umstand, dass das Belegen eines Abteils durch acht Mütter und ihre Kinder gleich zweimal gefilmt wurde.
Es verwundert nicht, dass sich viele der Rückmeldungen zu unserem Filmprojekt auf die Zeit im Luftschutzraum beziehen. Diese Orte sind ja bis heute da. Manche werden nur ganz selten aufgeschlossen wie der Marktplatzbunker, viele Stolleneingänge sind zugemauert. Und doch sieht man bis heute die Lüftungsschächte, und auch die nach dem Krieg eingefügten Häuser verdecken den damaligen Eingang zum Feuerbacher „Krähenstollen“ nur bedingt.
Ebenfalls in dem neuen Film zu sehen sind Bilder vom zerstörten Stuttgart: Ruinen in der damaligen Kronprinzstraße etwa, an denen noch die mit fluoreszierender Schrift aufgebrachten Wegweiser zum nächsten Schutzraum zu sehen sind. Neben vollständig zerstörten Wohnhäusern sind auch die geköpften Statuen im Stadtgarten zu sehen. Diese Schäden des Krieges kann man dort heute noch nachvollziehen.
Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen in der Kriegsfilmchronik zeigen diese Bilder die raue Härte des Krieges. Ob man damals noch hoffte, sie als Kontrastmaterial für den geplanten modernen Wiederaufbau Stuttgarts einsetzen zu können? Oder ob man den Kriegsgegnern die Folgen ihrer damals so bezeichneten Terrorangriffe vorhalten wollte?
Zu diesen oder anderen Absichten hinter den Dokumentarfilmen ist nichts überliefert worden. Für den Stadtarchiv-Historiker Jürgen Lotterer steht allerdings fest: „Das Grauen des Luftkriegs erleichterte es vielen Deutschen, sich eher als Opfer und nicht als Urheber einer solchen Katastrophe zu sehen.“ Schon recht früh nach dem Kriegsende habe sich um das Trauma der Bombardements, der Zerstörungen und der Verluste geliebter Menschen eine eigene Erinnerungskultur etabliert, die etwa an den vielen Bildbänden mit Fotos zerstörter Städte abzulesen sei.
Steht es den Deutschen zu, an dieses Trauma zu erinnern? Schließlich hat das Deutsche Reich den Zweiten Weltkrieg begonnen und auch den Luftkrieg zuerst an andere Orte getragen. „Ich glaube, dass diese Erinnerung auch heute noch richtig und wichtig ist“, sagt Jürgen Lotterer, „solange sie nicht die Ursachen, die Abfolge der Ereignisse und die Abgrenzung von den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen aus den Augen verliert.“
Gemeinschaftsprojekt
Für unsere Serie zeigen wir mit dem Stadtarchiv Filme aus der „Kriegsfilmchronik“. Alle bisher erschienenen Beiträge finden Sie im Online-Dossier.
Meinungen
Wir freuen uns über Ihre Erinnerungen, am besten per Mail an stadtgeschichte@stzn.de. Am Freitag, 11. April findet ab 14:30 Uhr ein Austausch mit Redakteuren unserer Zeitung im Stadtarchiv statt. Eine Anmeldung ist nicht nötig. Am 28. April geht es ab 19 Uhr im Kulturbunker um das Thema Luftschutz. Dabei werden auch ganze Filme aus dem Bestand gezeigt. Anmeldung demnächst über www.zeitung-erleben.de.