Das dürfte ein Traum von jedem Pfarrer sein: Menschen stehen Schlange vor der Kirche! Vor einem Jahr kam die immersive Licht- und Klangshow „Genesis“ in der Johanneskirche so gut an, dass nun die Fortsetzung seit der Premiere für einen Ansturm sorgt.
Wer beim ersten Gastspiel des Züricher Künstlerkollektivs Projektil vor Weihnachten 2023 dabei war, weiß, worauf es ankommt: Man muss früh kommen, um einen bequemen Platz zu ergattern. Rund um den Altar der im 19. Jahrhundert im neugotischen Stil erbauten Johanneskirche liegen Sitzsäcke, die begehrt und rasch belegt sind. Auf ihnen kann man sich ausstrecken, flachliegen, dabei ohne Genickstarre an die Decke blicken, wo sich das Lichterspektakel am heftigsten abspielt.
Die hervorragende Akustik der Kirche macht das Erlebnis noch intensiver
Doch auch die Kirchenbänke sind am ersten Wochenende, da „Genesis II“ nach etlichen Stationen wie Berlin, Hamburg oder Regensburg Stuttgart-Premiere, „ausverkauft“, was bei einem normalen Gottesdienst das falsche Worte wäre, aber nicht bei einer immersiven und bildgewaltigen Show, für die man Eintritt zahlt (für Erwachsene macht’s 13 Euro). Auf den Bänken werden die meisten Köpfe nach hinten gebeugt – eine Herausforderung für die Nackenmuskeln. Doch für eine halbe Stunde wird es schon mal möglich sein (länger geht die Show nicht). Zum Staunen gibt es in dieser Zeit schließlich genug.
Die hervorragende Akustik der Kirche macht das Erlebnis noch viel intensiver, weil die Musik, die zur virtuell erzählten Schöpfungsgeschichte erklingt, immer wieder für Gänsehautmomente sorgt. Immersive Ausstellungen gibt es inzwischen viele, der Hype scheint nicht nachzulassen – doch keine so schöne Veranstaltungshalle kann eine derart großartige Kulisse für die Projektionen bieten wie eine 160 Jahre alte Kirche, deren Vorbild französische Kathedralen waren.
„Die schönste Kirche auf der deutschen Genesis-Tour ist die Johanneskirche“
Projektmanagerin Alisa Ostermann betreut mehrere Kirchen-Shows von „Genesis II“ in Deutschland. „Die beste und schönste Kirche auf unserer Tour ist in Stuttgart“, sagt sie. Dass die nach den Kriegszerstörungen abhängte Decke weiß „wie eine Leinwand“ aussehe, mache die Projektionen schärfer als andernorts. Die Akustik ist im Vergleich zum Vorjahr deutlich verbessert worden, erklärt die Projektmanagerin weiter, die fürs Stuttgarter Publikum noch einen Tipps hat: „Die besten Plätze sind nicht nur die Sitzsäcke vorne, sondern auch die Kirchenbänke ganz hinten – da hat man einen tollen Überblick!“
Wie viele High-Tech-Projektoren bei „Genesis II“ im Einsatz sind, wollen die Veranstalter zunächst nicht verraten, um die „Magie nicht zu zerstören“. Also es sind 15, die so gut versteckt sind, sodass man sie kaum sieht. Das Künstlerkollektiv hat zur Vorbereitung der Show die gesamte Decke und alle Strukturen, alle Säulen der Johanneskirche vermessen, berechnet und dimensioniert, damit die Projektionen perfekt zu den Proportionen des Gotteshaus passen. „Kunst, Technologie und Spiritualität“ sollen zu einem „Erlebnis“ vermischen, steht in der Projektbeschreibung der Schweizer, „das neue Weite und Kreativität freisetzt und den Zuschauer Raum und Zeit vergessen lässt“.
Die Veranstalter wollen Gewinn machen – und auch die evangelische Kirchengemeinde profitiert dank der Miete davon. Viele Menschen zahlen Eintritt, die lange nicht mehr in der Kirche waren – wer weiß, vielleicht werden sie auch ohne Lichterspiele wieder kommen?
Die Farben, Figuren und Lebewesen wechseln bei „Genesis II“ rasant. Die Besucherinnen und Besucher wissen, dass es dabei um die Schöpfungsgeschichte geht. Aber auf die eigene Fantasie kommt es an, weil sich nicht alle Szenen von selbst erklären. Man sieht die Schöpfung der Tiere, dann der Menschen. Die Musik schwillt an, erinnert mal an Popmusik, mal an Kirchenchoräle. Am Ende sind nur noch bunte, schwirrende Punkte zu sehen – sind das Atome, die übrig bleiben, nachdem sich die Menschheit selbst zerstört hat? Den Besucherinnen und Besuchern gehen viele Gedanken durch den Kopf, tauschen sich nach der Vorstellung angeregt aus. Andere haben aber auch nur gechillt.
Bis zum 8. Dezember wird „Genesis II“ in der Johanneskirche aufgeführt. Die Karten kosten 13,90 Euro für Erwachsene und 6,90 bzw. 9,90 Euro für Kinder. Montags und dienstags ist spielfrei. Die Öffnungstage und -zeiten variieren. Karten kann man unter https://feverup.com buchen.