Stuttgarter Leonhardsviertel Stadt tastet illegale Bordelle und Wettbüros nicht an

Im Leonhardsviertel könnte das Rotlicht ausgehen. Doch die Stadt zögert. Foto: LG// Rettig

Bevor nicht feststeht, ob die grün-schwarze Landesregierung den Bestandsschutz auf Betriebe ohne Baugenehmigung ausweitet, greift die Stadt im Rotlichtviertel nicht durch.

Nachdem der Stuttgarter Gemeinderat in seiner letzten Sitzung vor den Weihnachtsferien nach zwölf Jahren Verfahrensdauer einen neuen Bebauungsplan für das Leonhardsviertel beschlossen hat und dadurch Vergnügungsstätten, Wettbüros sowie Bordelle und bordellartige Betriebe nicht mehr zulässig sind, könnten Baurechtsamt und Amt für öffentliche Ordnung theoretisch zur Tat schreiten und die Nutzungen untersagen. Jedoch sehen sie gegenwärtig davon zur Freude von Bordellbetreibern und Wettbürobesitzern ab, obwohl diese laut Stadt keine Baugenehmigung haben.

 

„Schwarzer Peter“ geht ans Land

Auf Anfrage unserer Zeitung nach den Ursachen der Zurückhaltung, trotz offenkundiger Möglichkeiten einzuschreiten, reicht die Stadtverwaltung den „Schwarzen Peter“ prompt an die grün-schwarze Landesregierung weiter. Sie bereitet derzeit eine Novellierung der Landesbauordnung (LBO) vor, die unter anderem vorsieht, den Bestandsschutz auch auf Betriebe ohne Baugenehmigung auszuweiten. Diese Änderungen würden der Klientel im Rotlichtviertel voll in die Karten spielen.

„Vor Einleitung der konkreten Verfahren für die erforderlichen Nutzungsuntersagungen ist abzuwarten, ob es in der vom Landtag beschlossenen Reform dann tatsächlich Neuregelungen zum Bestandsschutz geben wird und ob sie Auswirkungen auf die rechtliche Situation der Bordellbetriebe im Leonhardsviertel haben“, teilt die Stadtverwaltung mit – dabei kennt sie die Antwort längst. „Das wird uns im Hinblick auf die im Leonhardsviertel vorhandenen, aber nicht baurechtlich genehmigten Bordelle Schwierigkeiten bereiten“, hat der grüne Baubürgermeister Peter Pätzold bereits öffentlich beklagt.

Wildwuchs von Wettbüros fördern

Die Gesetzesreform hätte zudem auch weitreichende Folgen für Wettbüros, die meist illegal errichtet und in weiten Teilen unerwünscht sind, künftig jedoch ebenso Bestandsschutz erhalten könnten wie illegal errichtete Fitnessstudios. Auch große Bürogebäude in Mischgebieten, die in allgemeine Wohngebiete umgewandelt werden könnten, könnten geschützt sein.

Bisher haben die Warnungen von Experten des Städte- und Gemeindetags vor der Änderung in Sachen Bestandsschutz keine Früchte getragen. Auch die Rathausspitze scheint keinen Draht in den Landtag zu haben. Pätzolds Beschwerde bei seinen Parteifreunden, etwa bei der Staatssekretärin im CDU-geführten Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen, Andrea Lindlohr, stieß auf taube Ohren. Aber auch bei Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und der zuständigen Ministerin Nicole Razavi dringen die Experten mit ihren Gegenargumenten nicht durch.

„Turbo für Beschleunigung“

Die Regierung hat vor allem das Ziel im Auge, das Bauen schneller und einfacher zu machen. Sie preist die bereits vierte Reform der LBO als „Turbo und zentralen Hebel bei der Vereinfachung und Beschleunigung“. Kretschmann weist allerdings korrekt darauf hin, dass damit nicht automatisch mehr gebaut wird. Die Zurückhaltung hat zumindest aus Sicht der Wohnungsbauunternehmen und Baugenossenschaften ihre Ursache in der im Vergleich zu anderen Bundesländern unzureichenden Landesförderung.

Sofern tatsächlich „jeder Stein umgedreht“ wurde, wie Razavi auf der Homepage des Ministeriums betont, fragt man sich im Stuttgarter Rathaus, wie man dann selbst für illegal erstellte Bauten, die im Laufe ihrer Existenz nur nicht beanstandet wurden, einen Freifahrtschein für alle Ewigkeit ausstellen kann. Und das gegen den ausdrücklichen Willen des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Mannheim, der 2020 in einem richtungsweisenden Urteil unmissverständlich feststellte, dass es ohne Baugenehmigung keinen Bestandsschutz geben könne.

Schließungen wären möglich

Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Baurechtsämter im Land bis dahin am VGH verzweifelt waren, weil der dies bis dahin anders gesehen hatte – und nun mit dem Segen der grün-schwarzen Landesregierung wieder auf seine überholte Rechtsmeinung zurückfällt, sofern nicht noch ein Wunder passiert und die Regierungsfraktionen den vom Kabinett beschlossenen Entwurf zumindest in diesem Punkt ändern.

Das ökosoziale Bündnis im Rathaus, das nur durch die Zustimmung der Freien Wähler, die ihre Meinung zur Prostitution im ältesten Stadtquartier überdacht hatten, den Bebauungsplan beschließen konnte, ist über die Zurückhaltung der Ämter noch nicht informiert, konnte sich deshalb noch nicht darüber ärgern. Einzelne haben dennoch intern ihren Frust geäußert, denn selbst wenn man auf die LBO-Änderung warten wollte, wären einzelne Schließungen möglich. Nach der Reform wäre selbst dann kein Bestandsschutz zu attestieren, wenn sich im Laufe der Jahre die Nutzung geändert hat, was leicht nachzuweisen ist. Während die Zuständigkeit beim Baurechtsamt liegt, ist für die Entscheidung über den Erlaubnisantrag nach Prostitutionsschutzgesetz, bei der die baurechtliche Zulässigkeit einer Prostitutionsnutzung ebenfalls geprüft wird, das Amt für öffentliche Ordnung zuständig. Die Schließung von ungenehmigten und nunmehr planungsrechtlich unzulässigen Bordellbetrieben würde durch baurechtliche Nutzungsuntersagungen durch das Baurechtsamt durchgesetzt. Das sei aber „eine so tiefgreifende behördliche Anordnung“, dass für jedes einzelne der Objekte – trotz ihres illegalen Betriebs – eine „umfassende Prüfung im Licht der aktuell im Entscheidungszeitpunkt geltenden Rechtslage“ vorgenommen werden müsse. Aktuell verbietet der neue Bebauungsplan den Betrieb dieser Häuser.

„Umfassende Prüfung“ kann dauern

Illegales Bauen hilft

Noch hofft man beim Städtetag und im Stuttgarter Rathaus auf die Landtagsfraktionen – von Regierung und Opposition, die sich bisher zum Thema nicht geäußert haben. Womöglich bedauern sie ihre Entscheidung später, denn eine geänderte Rechtsprechung hätte zur Folge, dass sich auch in ihren Wahlkreisen der gesetzestreue Bauherr, der eine Baugenehmigung beantragt, dem Risiko aussetzt, dass der Bebauungsplan geändert wird.

Wer aber bewusst illegal ohne „roten Punkt“ baut, aber zu diesem Zeitpunkt eine materiell-legale Nutzung vorweise, sei auf der sicheren Seite. „Das widerspricht dem Anstandsgefühl jedes billig und gerecht Denkenden“, warnt Baubürgermeister Peter Pätzold. Der Landesgesetzgeber unterlaufe zudem seinen eigenen Willen. Denn er sehe in vielen Fällen eine Genehmigungspflicht vor, belohne aber gleichzeitig ein rechtswidriges Verhalten.

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