Illustre Runde: Es diskutierten Unternehmensberaterin Edeltraud Leibrock von Roland Berger, Instagrid-Mitgründer Sebastian Berning, Ineratec-Mitgründer Philipp Engelkamp, StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs, Start-up-Beauftragte Anna Christmann und Lea-Investor Nils Seele (von links). Foto: Lichtgut/Julian Rettig
In einer Veranstaltung von Stuttgarter Zeitung, Roland Berger und L-Bank loten Experten die Chancen des Start-up-Standorts Baden-Württemberg aus. An Gründern mangelt es nicht – doch warum haben sie so große Mühe, den Durchbruch zu schaffen?
Vom Schraubenimperium Würth bis zum Autobauer Mercedes-Benz: Die Wirtschaftskraft der baden-württembergischen Unternehmen ist unbestritten. Doch bei den Existenzgründungen hat der Südwesten im internationalen Vergleich Nachholbedarf. Für große Erfolgsgeschichten fehlt Start-ups oft das Geld. „Wo stecken die neuen Boschs und SAPs der Zukunft?“, fragt Joachim Dorfs, Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, zu Beginn der Podiumsdiskussion „Start-up-Land Baden-Württemberg: Wer die Zukunft prägt.“
Als Gesprächspartner bei der von Dorfs moderierten Veranstaltung der Reihe „Zukunft der Region“ haben sich am Donnerstagabend in der Rotunde der L-Bank Experten mit unterschiedlichsten Perspektiven versammelt: Sebastian Berning, Mitgründer und Co-Chef des Stuttgarter Batterie-Start-ups Instagrid; Philipp Engelkamp, Mitgründer des Karlsruher E-Fuels-Pioniers Ineratec; Anna Christmann (Grüne), die Start-up-Beauftragte des Bundes; Nils Seele, Partner beim strategischen Investor LEA aus Karlsruhe und Unternehmensberaterin Edeltraud Leibrock, die beim Mitveranstalter der Diskussion, Roland Berger, im globalen Vorstand das Thema Innovation verantwortet.
Start-up-Beauftragte: Brauchen mehr Wagniskapital
Im Zentrum stehen die Fragen nach den Rahmenbedingungen und der Finanzierung für Existenzgründungen. „Wir haben in Deutschland einen immer noch zu schlechten Zugang zu Wagniskapital“, benennt Anna Christmann zu Beginn eines der Kernprobleme.
Wagniskapital, mit denen sich spezialisierte Fonds oder Konzerne an Start-ups beteiligen, gilt als Schlüssel für Wachstum in der Gründerbranche. Hier hinkt Deutschland den USA, Großbritannien und auch Frankreich hinterher. Der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY zufolge sammelten Start-ups 2023 rund sechs Milliarden Euro Wagniskapital ein, 39 Prozent weniger als im Jahr davor.
Deutschen Investoren fehlt der Mut
Viele deutsche Start-ups kommen in der frühen Wachstumsphase an Geld, bei großen Finanzierungsrunden sind sie aber meist auf angelsächsische Anleger angewiesen – diese Erfahrung hat auch Instagrid-Mitgründer Berning gemacht. „Wer Kapital in unserer Größenordnung braucht, muss nach New York“, sagt der Unternehmer, der fossile Generatoren obsolet machen will.
Die Drehorte des Schwarzwald-„Tatorts“ werden bereits mit den tragbaren Batteriepaketen der Stuttgarter Firma beleuchtet. Für den Sprung in den US-Markt benötigte das Unternehmen fast 100 Millionen Dollar (91,3 Millionen Euro). Mutige Investoren aus Deutschland? Fehlanzeige.
Seinen Mitgründer Andreas Sedlmayr hat Berning beim Stuttgarter Technologieriesen Bosch kennengelernt, wo sie vom Trainee bis zur Führungskraft aufgestiegen sind. Doch 2018 hängten sie ihre Jobs an den Nagel – und wagten den Sprung in die Selbstständigkeit. Eine baden-württembergische Bilderbuchgründung, findet Edeltraud Leibrock von Roland Berger. Sie nennt die enge Kopplung zwischen etablierten Firmen und Gründern eine Stärke des Standorts.
Weniger Aufmerksamkeit bedeutet weniger Geldfluss
Die Kehrseite: weniger Aufmerksamkeit bedeutet weniger Geldfluss. So mahnt auch die Unternehmensberaterin: „Beim Venture Capital müssen wir in Deutschland im internationalen Vergleich besser werden; da sehen wir auf der institutionellen und privaten Seite Nachholbedarf.“
Anna Christmann in der angeregten Debatte Foto: Lichtgut/Julian Rettig
Auch Ineratec-Gründer Engelkamp lässt durchblicken, dass der Karlsruher E-Fuels-Pionier ohne internationale Investoren keine Chance hat. Aus Wasserstoff und CO2 Treibstoffe wie Kerosin, Diesel oder Benzin nachhaltig herstellen – das klingt ein bisschen nach Science-Fiction. Ineratec ist seit Jahren Vorreiter in dieser Technologie. Die Karlsruher wollen den Markt mit anführen. Doch neue Großanlagen kosten Millionen. „Wenn ich Geld für eine neue Anlage brauche, muss ich zu einer großen Investmentbank nach New York“, sagt er.
Warum Investoren zögern
Die Diskussionsrunde ist sich einig: Risikokapital ist knapp, vor allem, wenn es um eine Vermarktung im großen Stil geht. „Wir sind sehr stark darin, Erfindungen zu machen, aber extrem schlecht darin, diese Erfindung in den Markt zu bringen“, sagt Firmengründer Berning. Engelkamp von Ineratec drückt das so aus: „Im Land der Erfinder wird die Erfindung überschätzt.“ Neben einer genialen Idee sei ganz viel unternehmerische Leistung notwendig. „Es gib unglaublich viele Erfindungen, aber diese zu positionieren ist ein Handwerk, das unterschätzt wird.“
„Warum haben Sie es nicht geschafft, in Start-ups wie Ineratec oder Instagrid zu investieren?“, fragt Moderator Dorfs etwas provokant in Richtung Nils Seele, der Partner beim strategischen Investor LEA aus Karlsruhe ist und besonders innovative Tech-Start-ups betreut. „Ich bin großer Fan von beiden“, bekennt der Investor und verrät, dass er beide Firmen in der Frühphase im Blick gehabt hätte. „Wir haben leider nicht investiert – das war im Nachhinein ein großer Fehler.“