Südkoreanische Sekte „Shincheonji“ missioniert wieder auf Stuttgarter Straßen

Die Anhänger von Shincheonji tragen eine einheitliche Uniform: Weiße Hemden und schwarze Hosen. Die gelben Krawatten stehen für den Frankfurter Standort „Simonstamm“, zu dem auch Stuttgarter Mitglieder gezählt werden. Foto: /privat

Die südkoreanische Sekte „Shincheonji“ fällt durch unorthodoxe Missionierungsmethoden auf: Betroffene berichten von Täuschung, Bespitzelung und emotionalem Missbrauch.

„Ein System, das darauf aus ist, dich mental, verbal und körperlich zu brechen“, so beschreibt Jonas G. (Name geändert) die Strukturen der „Shincheonji“-Sekte (Schinschonschi), die in Deutschland immer häufiger durch unorthodoxe Missionierungsmethoden auffallen.

 

Es handelt sich um eine südkoreanische Endzeit-Bewegung aus Gwacheon, die sich auf die Bibel beruft und in Deutschland drei große Standorte hat: Berlin, Essen und Frankfurt. Kleinere Abzweigungen der drei „Stämme“ gibt es auch in anderen Städten, unter anderem München, Darmstadt, Mannheim, Hamburg und Bremen. Dessen Shincheonji-Mitglieder zählen jeweils zu einem der drei Standorte.

Missionieren auch in Stuttgart

Seit einiger Zeit missioniert der Frankfurter „Simonstamm“ von Shincheonji auch in Stuttgart und konnte hier bereits einige Mitglieder gewinnen. Die Zahl für Baden-Württemberg wird von dem Aussteiger Adrian M. (Name geändert) auf 50 Mitglieder geschätzt, bundesweit dürfte es etwa 1000 Mitglieder geben. „Stuttgart ist sozusagen das kleine Lieblingsprojekt der Frankfurter Gemeinde“, sagt Jonas G.. Die Mitglieder selbst wirken äußerlich harmlos: Mehrheitlich junge Leute in hippen Klamotten kann die Gemeinde, die vom 19. bis 25. Januar in Stuttgart verstärkt missioniert, vorzeigen. Sie laden zu Bibel-Kursen ein.

Auffällig ist Ihre Freundlichkeit. Das sogenannte „Love Bombing“ ist ein Merkmal der „Heiligen“, wie sie sich selbst intern bezeichnen. Das weiß auch Simon Garrecht, Pastor in der freikirchlichen Mosaik-Gemeinde Stuttgart, der Aufklärungsarbeit über die Sekte mit seinem „Apologetik Projekt“ auf sozialen Medien betreibt und mehrere Aussteiger kennt. Er weiß, unverhältnismäßiges Interesse, die volle Aufmerksamkeit und Komplimente erwartet Neulinge. Das sei aber keine Herzenseinstellung, sondern vielmehr ein System. Dies bestätigen auch mehrere Aussteiger im Gespräch mit unserer Zeitung.

Woran glauben Shincheonji-Mitglieder?

Die Shincheonji Kirche Jesu wurde 1984 von dem vermeintlichen „Endzeithirten“ Lee-Man-hee gegründet. Die Anhänger gehen nach einer eigenen Zeitrechnung: Sie schreiben das Shincheonji-Jahr 40 nach Gründung der Gemeinde – nach Vorbild des Jahres 2023 nach Christi. Übersetzt bedeutet Shincheonji „Neuer Himmel und neue Erde“. Und Lee-Man-hee, der angeblich unsterblich sein soll, habe behauptet, der Geist Jesu Christi sei in ihm wiedergekommen, das erzählen die Aussteiger. Laut ihren Aussagen behaupte Lee-Man-hee, dass nur er das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes, und die vermeintlich „verschlüsselten Gleichnisse“ der Bibel verstehen könne. Das Verständnis der Offenbarung und der Gleichnisse sei wiederum notwendig, um gerettet zu werden. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass niemand in den Himmel kommt, der nicht an Lee-Man-hee glaubt, selbst wenn man Christ ist. Auch lehnen sie die Lehre vom Dreieinigen Gott der Bibel ab. In der Gemeinde werde zudem erzählt, dass Lee-Man-hee mit einem Friedensabkommen im Jahr 2014 in Mindanao auf den Philippinen für Frieden zwischen Muslimen und Christen gesorgt habe – in Wirklichkeit gab es dort seit 2014 immer wieder Konflikte. Seine Anhänger glauben diesen Behauptungen dennoch, nicht zuletzt, weil ihnen das googeln untersagt wird, das erzählen mehrere Aussteiger.

Und Lee-Man-hee, auch „der Überwinder“ genannt, weiß genau, was er tut. Bevor er Shincheonji gegründet hat, war er Mitglied in drei koreanischen Endzeit-Bewegungen. In seinem Lebenslauf finde sich das „Olive Tree Movement“ von 1957 bis 1967, „The Tabernacle Temple“ von 1967 bis 1971 und die „Recreation church of Beak“ von 1977 bis 1980 wieder. Daher ist es nicht verwunderlich, dass er etliche Lehren von seinen Vorgänger-Gemeinden übernommen hat. So behauptete bereits Park Tae-seon vom „Olive Tree Movement“ unsterblich zu sein, an die Lehre der verschlüsselten Gleichnisse glaubten schon Anhänger des „Tabernacle Temple“. Lee-Man-hee selbst wurde 2021 zu drei Jahren Haft, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, wegen Veruntreuung von Spendengeldern in Höhe von 5,7 Milliarden Won (entspricht etwa 4,2 Millionen Euro) verurteilt.

Die Shincheonji-Gemeinde ist nach Lee-Man-hees Vorstellungen aufgebaut und diese schließen „schelten, schreien und Gehorsamkeit durch Schikane“ mit ein: „Mit Liebe hat das nichts zu tun“, betont Lukas B. (Name geändert), der ebenfalls ein Aussteiger ist. Es gäbe sehr viele Dinge, die verstörend seien. Jonas G und weitere Betroffene verschafften der StZN exklusive Einblicke in den Tempel – dem Gotteshaus der Shincheonjiler: Mitglieder tragen einheitliche Uniformen aus weißen Hemden und schwarzen Hosen und je nach Standort eine bestimmte farbliche Krawatte. Verstörend ist auch die Militär-Manier der Anhänger: Neue Mitglieder, die nach einem sechsmonatigen Bibel-Kurs im Tempel in die Gemeinde eingeführt werden, salutieren bei ihrem Einführungsritual im Gleichschritt. Sie verstehen sich, so die Aussteigerin Jennifer A. (Name geändert), als „Krieger Gottes, die sich im geistlichen Krieg befinden“. Daher werde in jedem Gottesdienst, also zwei Mal die Woche, ein Siegesruf ausgerufen: „Shincheonji Siegesausruf – bereit! Ihr, die zwölf Stämme von Shincheonji – Himmelsheer! Nehmt das Himmelsschwert und siegt durch die Wahrheit! Erhebt das Schwert der Wahrheit und ruft aus! Die Herrlichkeit des Sieges unserem Gott! Halleluja!“.

Zeugnisse von Mitgliedern, die wegen ihres Eintritts in die Gemeinde Ausbildungen abbrechen oder Berufe aufgeben, werden in solchen Veranstaltungen beklatscht. Andersgläubige, Atheisten und andere christliche Denominationen seien hingegen „abgefallene Verfolger“, vielmehr noch die „Hure Babylon“ aus der Bibel, sagt Adrian M. im Gespräch. Kritiker werden deswegen intern als „Zerstörer“ und „Verfolger“ betitelt. „SCJ (Shincheonji) arbeitet mit einem dualistischen Weltbild – es geht darum, den Leuten zu vermitteln, dass nur SCJ die Wahrheit ist und alle anderen ihnen etwas Böses wollen“, erzählt er. Jegliche Kritik werde als Verfolgung gewertet. Das unterstütze, so Adrian M., die Isolation vom Rest der Gesellschaft, denn jede Kritik sei eine „Verführung durch den Teufel“.

Bespitzelung und Weitergabe privater Informationen

Die Sekte ist auf Sozialen Netzwerken wie Instagram und christlichen Dating-Plattformen aktiv sowie auf den Straßen Deutschlands. Shincheonji spricht von einer offenen Missionierung, die Realität zeichne, laut der Aussteiger, ein anderes Bild. Die Methoden der Sekte gleichen einer Bespitzelung, so die Aussagen mehrerer Betroffener. Jedes kleine, noch so unwichtige Detail über eine zu missionierende Person, auch „Frucht“ genannt, werde notiert und berichtet. „Jede Info ist hilfreich. Beispielsweise kann die Tatsache, dass jemand Videospiele spielt, helfen, den Kontakt zur Frucht aufzubauen und sie so besser zu manipulieren“, erklärt Adrian M., der selbst jahrelang Mitglied war und bestens mit den Methoden vertraut ist. Auch er habe während seiner Zeit in der Sekte neue „Früchte gepflückt und geerntet“, das heißt neue Kursteilnehmer angeworben und später in die Gemeinde eingeführt. Früchte sind Angeworbene, die den sechsmonatigen Bibel-Kurs der „Zion Bible Academy“, eine Bibelschule von Shincheonji Frankfurt, besuchen. Danach erst werden Neulinge in den Tempel eingeführt. Dass es sich hierbei um ein Lehrangebot der Sekte handelt, erfahre man erst nach ein paar Monaten, so Adrian M.. Der Unterricht könne zum Ende des Kurses bis zu sechs Mal die Woche stattfinden, die Treffen mit Lernpartnern kämen noch hinzu. Das Problem sei aber, dass diese Lernpartner und Kursschüler mehrheitlich sogenannte „Blätter“ seien - verdeckte Mitglieder, die sich als Neulinge ausgeben. Jennifer A. fügt hinzu: „Sie täuschen von Beginn an. Sie sagen nicht, dass sie von Shincheonji kommen und vermitteln auch, dass alle Kursbesucher gewöhnliche Neulinge sind“.

Die Blätter sollen sich mit den Kursteilnehmern anfreunden und ihre Meinungen beeinflussen: „Wenn jeder ständig sagt, dass der Unterricht toll ist und dass alles Sinn ergibt, fällt es schwer, eine andere Meinung zu vertreten. Und irgendwann glaubt man das dann auch“, erläutert Jennifer A. weiter. In den Bibel-Kursen, den sogenannten „Centern“ – finden oftmals in privaten Wohnungen oder Hotels statt – sitze ein Blatt stets neben einer Frucht. Das solle den Kontakt zwischen Früchten verhindern, so Adrian M.. Der Kontakt der Blätter zu Früchten wiederum sei Pflicht. Das Verhalten der Blätter werde vorgegeben und in speziellen Schulungen gelehrt, erklärt er. Ein Ausschnitt aus der Schulung: „Alles, was man von der Zielperson erfährt oder ihr ereignet, muss das Blatt dem Lehrer mitteilen, damit der Lehrer den Unterricht entsprechend vorbereiten kann“. Oder auch: „Das Blatt soll den Lehrer loben, dadurch die Kompetenz vermitteln“. Solche Vorgaben geben Einblicke in eine systematische Manipulation, sagen die Aussteiger, auch auf emotionaler Ebene: „Das Blatt soll sich nicht nur im Center treffen sondern auch außerhalb vom Center, zum Beispiel Essen gehen oder Kaffee trinken gehen. Den Zustand des Schülers dann mitteilen“.

Für jede Zielperson werde ein dreiseitiger „Missionsantrag“ ausgefüllt mit allerlei Informationen, das weiß Adrian M.. Unter anderem der Name, der Beruf, die Blutgruppe, charakterliche Besonderheiten, Transportmittel und die Anwerbe-Methode werden angegeben. Ins Auge sticht dabei besonders die Frage „Hat wenig Sektenskepsis“. Viel fraglicher aber sei das „Buch des Lebens“ – ein Formular, welches zum Ende des Bibelkurses ausgefüllt nach Südkorea geschickt werde. Dieses enthält auch mit Angaben zu Familienangehörigen, die nichts davon wissen. „Da werden illegal Informationen weitergegeben“, betont Adrian M., der in die Praktiken eingeweiht war. Doch damit nicht genug. In „Früchte-Gruppen“ auf Telegram, die aus mehreren Mitgliedern bestehen, werden Informationen über Zielpersonen sowie Bilder gepostet: „Ich war schockiert, als ich mitbekommen habe, dass heimlich Bilder von mir gemacht wurden“, so Jennifer A.. Sie spricht von emotionalem Missbrauch: „Ich habe ihnen vertraut und die haben hinter meinem Rücken in Gruppenchats über meine privaten Dinge gesprochen. Das war so demütigend“.

Die Sekte arbeitet mit Fassadengemeinden, um ihre Identität zu tarnen. Dazu gehört unter anderem „Deutschland Zion Gemeinde“, die beispielsweise das Missionierungsteam „Um Em Deus“ – speziell für portugiesisch-sprechende Menschen – vertritt, die für verdeckte SCJ-Bibelkurse werben. Auf der Internetseite von „Um Em Deus“ findet sich im Impressum als Verantwortlicher für den Inhalt der Seite „Seongcheon Park“, der Gemeindeleiter der Shincheonji-Gemeinde Frankfurt. Auch wird die Adresse des Frankfurter SCJ-Tempels angegeben – nur eben unter anderem Namen. „Vereint in Jesus“ oder auch „Kulturgemeinde“ sind weitere Beispiele, das hat das Zentrum Ökumene der evangelischen Kirchen in Hessen und Nassau und Kurhessen-Waldbeck in einer Broschüre zum Umgang mit der Shincheonji-Sekte veröffentlicht.

Laut der zuständigen Stelle für Religionsangelegenheiten am Kultusministerium in Baden-Württemberg, handle es sich um eine „konfliktträchtige Gruppe“, die für Irritationen sorge. Vor einem halben Jahr habe es Fälle gegeben, in denen über vermeintliche Friedensarbeit oder interreligiösem Dialog unter verdeckten Namen wie „International Peace Forum (IPF)“ oder „Heavently Culture, World Peace, Restoration of Light“ (HWPL) Kontakt zu kirchlichen Einrichtungen aufgenommen wurde, um dort Mitglieder zu werben. Seit einem Jahr habe die Aktivität der Gruppe im Allgemeinen abgenommen. Von staatlicher Seite gäbe es gute Aufklärungsarbeit, weswegen insgesamt weniger Aktivitäten, zumindest in Baden-Württemberg, zu beobachten seien. Die Sprecherin des Ministeriums macht aber deutlich, dass die Wahrnehmung der Fälle davon abhinge, wie viele Betroffene sich melden. Den Grund für diese Beobachtung sieht Pastor Garrecht in der Corona-Pandemie. Die Missionierungen und Bibel-Kurse haben sich auf soziale Netzwerke und Zoom-Veranstaltungen verschoben, Missionierungen fanden in dieser Zeit über Seiten wie Instagram statt. So befand sich eines der Center in Stuttgart-West in einer von außen unscheinbaren Wohnung, wurde aber dann während Corona aufgelöst und durch Online-Veranstaltungen ersetzt, das bestätigt Lukas B., der Kenntnis davon hat. Seit Ende Corona missionieren die Mitglieder nun wieder auch auf Straßen, so Jonas G.. Gemeinden werden auch durch einzelne SCJ-Mitglieder heimlich infiltriert. Pastor Garrecht hat das in seiner Gemeinde erlebt. „Ein alter Freund hatte Kontakt aufgenommen. Ich habe ihn dann mit in die Gemeinde genommen und zu einer Feier eingeladen. Später habe ich erfahren, dass er ein Gemeindemitglied von uns in die Sekte gebracht hat“.

„Müdehalten“, Essensentzug und die drastischen Folgen

Jonas G. weiß noch, wie die Indoktrination bei ihm begonnen hat: „Ich habe keine kritischen Fragen gestellt, weil ich mit so viel Information und Programm vollgepumpt wurde, dass ich schlicht zu müde war, um kritisch zu denken“. Das sei scheinbar das Ziel der Sekte: die Mitglieder durchgehend zu beschäftigen, sodass jegliches kritische Denken unmöglich wird – das ist sein Eindruck. Daher sei auch der Alltag der Heiligen randvoll mit Programm gefüllt. Ein uns vorliegender Stundenplan zeigt ein Wochen-Programm mit mehrfachen Belehrungen, Blättertreffen, Gottesdiensten, Datenchecks und Center-Unterricht. Die Sonntage sind teilweise von 7.30 Uhr bis 22 Uhr fast komplett durch getaktet. Auch „Boot-Camps“ im Frankfurter Tempel seien eine mentale und körperliche Tortur – ein mehrtägiges Programm mit Übernachtung von täglich 6 Uhr morgens bis 1 Uhr nachts, erzählen Betroffene. Die Tage bestünden nur aus beten, trainieren, missionieren, Belehrungen, Meetings und noch mehr missionieren. Auf den Missionsgängen gelten dabei feste Vorgaben: In Tabellen werde aufgegeben, wer wie viele Handynummern von Passanten sammeln müsse. Schafft man die Anzahl an Nummern nicht, werde man unter Druck gesetzt, nichts zu essen, denn man müsse „Buße tun“, führen die Betroffenen aus. Nach einem langen Tag ohne Essen werde man nachts wieder aus dem Bett gerissen, um auf einer Wiese Kniebeugen zu machen, während man „gescholten“ werde. Schlafentzug sei den Mitgliedern nicht fremd.

Diese Methoden führten auch zu Isolation von Familie und Freunden: „Meine Familie hat gedacht, mich an die Sekte verloren zu haben – und das hatten sie auch“, blickt Adrian M. zurück. Sein ganzes Leben drehte sich über Jahre nur um die Gemeinde. Wegen des enormen Drucks solle es immer wieder zu psychischen Zusammenbrüchen gekommen seien. Adrian M. weiß auch, dass es 2018 zum Selbstmord eines Kursteilnehmers gekommen sei – ein Tag vor Tempeleinführung. In der Gemeinde wurde die Frage, ob möglicherweise der Druck von Shincheonji zu hoch gewesen sei, nicht behandelt – die Person sei angeblich schon vor dem Kurs labil gewesen, hieß es intern. Die Hintergründe des Suizides sind nicht klar. Außerdem habe sich ein anderer in eine geschlossene Anstalt einweisen lassen, teilt Adrian M. mit.

Gemischte Beziehungen zu „Heiden“ strengstens verboten

Aber auch eine Bandbreite an Regelungen macht die Gemeinde problematisch. Beziehungen zu „Heiden“, also Nicht-Gläubigen, werden beispielsweise untersagt, außer die Person werde missioniert. Das geht aus der internen „Alle-Heiligen-Belehrung“ vom 7. Juni Shincheonji-Jahr 37 (2020) des Gemeindeleiters in Frankfurt, Seongcheon Park, hervor. Eine Beziehung zu einem Heiligen werde genehmigt, sagt Adrian M., wenn man einwillige, sich nach drei Verabredungen zu einer Heirat innerhalb der nächsten sechs Monate zu verpflichten, sonst folge der Gemeindeausschluss. Die Partnerschaften werden deswegen auf Tabellen in Gemeinde-Veranstaltungen öffentlich zur Schau gestellt, das belegen Aufnahmen aus der „Alle-Heiligen-Belehrung“ vom 8. Mai Shincheonji-Jahr 39 (2022). Auch bei Kritik kann Gemeindeausschluss und Kontaktverbot folgen, weil die Person „von Lehren der Widersacher verführt worden“ sei. Diese Erfahrung hat auch Lukas B. gemacht: „Das waren falsche Freunde, sie wollten nichts mehr mit mir zu tun haben, weil ich ein Zerstörer sei.“ Der Grund seines Ausschlusses waren Fragen zu den Lücken in den Lehren, die ihm aufgefallen waren. „Selbst als Mitglied muss man Angst haben, was man sagt – die Anderen beobachten dich, und sobald man sich kritisch äußert oder auffällt, werden Gruppen gebildet von Spitzeln, die dich beobachten und verpetzen“. Dies diene “nur zum Besten“, denn man könne ja „verführt werden und abfallen“, habe man ihm gesagt.

Der Fanatismus von Shincheonji gehe so weit, so Jonas G., dass selbst der Frankfurter Gemeindeleiter Seongcheon Park sich lebendig begraben lassen habe, um nachzuempfinden, wie sich „tote Seelen“, also Nicht-Shincheonjiler, fühlten. In Anbetracht der der illegalen Informationsweitergabe, der Täuschungen und des körperlichen und emotionalen Missbrauchs bleibt die Frage offen, wie die Opfer mit diesen Erfahrungen umgehen. Lukas B. fühlte sich seinem Glauben beraubt: „Ich wollte nichts mehr von der Bibel wissen. Es hat lange gebraucht, bis ich meinen Glauben wiedergefunden habe. Dieses Mal aber ganz ohne Lee-Man-hee“. Adrian M. hingegen benötigte professionelle Hilfe. „Ich war bei einem Psychologen, aber bis heute habe ich Momente, in denen die Indoktrination überhandnimmt – so ganz werde ich das wohl nie los“, erzählt er. Die meisten Aussteiger seien nach ihrer Zeit bei Shincheonji in psychologischer Behandlung. Fest steht, dass diese Betroffenen noch lange Zeit brauchen werden, um die schlimmen Erfahrungen mit der Sekte zu verarbeiten. Die verlorene Zeit im Glauben an den angeblich unsterblichen Lee-Man-hee kann diesen Opfern niemand zurückgeben. Pastor Simon Garrecht jedoch ist sich sicher: „Lee-Man-hee ist jetzt 91 Jahre alt – bald werden die Leute sehen, dass auch er nicht unsterblich ist und dann werden hoffentlich viele Mitglieder aufwachen und bemerken, was sie sich selbst und anderen Menschen angetan haben.“

Von Seiten der Pressestelle der Shincheonji-Gemeinde in Frankfurt erfolgte keine Rückmeldung auf die Anfrage unserer Zeitung, sich zu den Vorwürfen äußern.

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