Das Alte Rathaus in Esslingen steckt voller Geheimnisse: Ein paar konnten nun gelüftet werden. Etwa, dass die tragenden Doppelstützen des Gebäudes von Bäumen stammen, die 1423 und 1424 gefällt wurden. Was gab es sonst noch am Tag des Denkmals?

Mit Hilfe der wissenschaftlichen Untersuchungsmethode der Dendrochronologie wurde festgestellt, dass die beiden Doppelstützen in der Erdgeschosshalle des Esslinger Alten Rathauses von Bäumen stammen, die in den Jahren 1423 und 1424 gefällt wurden. Und weil man weiß, dass damals Hölzer im Winter geschlagen und noch im selben Jahr verbaut wurden und dass das Haus ohne diese beiden zentralen Stützpfeiler nicht hätte entstehen können, lässt sich der Baubeginn des Alten Rathauses auf das Jahr 1424 datieren. Deshalb wird in diesem Jahr der 600. Geburtstag von Esslingens fotogenem Altstadt-Wahrzeichen gefeiert. Nicht nur das, sondern viele weitere spannende Fakten rund um die Stadtgeschichte konnten die Besucher am Sonntag beim Tag des offenen Denkmals in Erfahrung bringen.

 

Angesichts von 660 verschiedenen Denkmälern, die in Esslingen verzeichnet sind, überrascht es nicht, dass das Planungsteam um Denkmalpfleger Andreas Panter, Architekt Peter Dietl und Stadtplanerin und Architektin Christine Keinath für diesen Tag ein ausgesprochen vielfältiges Programm zusammengestellt hatte: 65 Führungen, Besichtigungen und Vorträge gewährten bei freiem Eintritt Einblicke in die Esslinger Geschichte, die sonst meist nicht möglich sind. Themen waren etwa die Faszination mittelalterlicher Glasfenster, die stilistischen Eigenheiten der Louis-Seize-Fassade am Faulhaberschen Haus, die Kriegsgräber auf dem Ebershaldenfriedhof, die geschichtsbewusste Sanierung der Burgschule oder die Maschinenfabrik Esslingen als Sinnbild der Industrieentwicklung.

Altes Rathaus war neues Haus

Besonderes Augenmerk lag in diesem Jubiläumsjahr auf dem Alten Rathaus. Es wurde als städtisches Kauf- und Steuerhaus in einer Fachwerkkonstruktion erbaut. Fachwerk ist ein für die Forschung dankbares Baumaterial, betonte Christine Keinath bei ihrer Führung: „Holz wurde wieder und wieder verwendet, und die Bearbeitungsspuren bleiben sichtbar.“ Sie berichtete den interessierten Zuhörern auch, dass das heutige Alte Rathaus einst „nuwe huss“ hieß, weil in der Ritterstraße bereits ein Kauf- und Rathaus „aus lauter Aichenholtz“ existierte. „Da hat sich die Stadt innerhalb von 40 Jahren gleich zwei repräsentative multi-funktionale Gebäude geleistet. Als Symbol für die neu gewonnene städtische Autonomie. Davor, im 13. und 14. Jahrhundert, hat man vor allem die Stadtbefestigung, Brücken und Kirchen gebaut.“ Rathäuser, so die Fachfrau, waren die ersten öffentlichen Funktionsgebäude: „Und sie waren gleichzeitig Steuer- und Kaufhaus, Informationsbörse, Schau- und Verkaufsraum und Wechselstube. An der Ritterstraße eher für Fernhandel, im ‚nuwe huss‘ eher für die Brot- und Fleischlauben.“

Das Interesse am Denkmaltag, so Christine Keinath, sei groß: „Die vier Turmführungen in der Frauenkirche waren innerhalb von zwei Minuten ausgebucht. Esslinger möchten ihre Stadt kennenlernen. Neu Zugezogene möchten mit ihrer neuen Heimat Bekanntschaft schließen. Und Menschen von außerhalb sind einfach neugierig“, hat Keinath beobachtet.

Ein Stück Menschheitsgeschichte

So wie Dieter Helm aus Stuttgart, der mit Freunden jedes Jahr zum Denkmaltag nach Esslingen kommt: „Hier kann man nachvollziehen, wie die Menschen früher gelebt haben.“ Viele verstehen Gebäude als Zeitzeugen der Geschichte“, erläutert Keinath: „Mit jedem Gebäude sind auch die Geschichten von Menschen verbunden.“ Sie erzählt, dass Esslingens ältestes Haus in der Webergasse 1267 erbaut wurde: „Das sind rund 750 Jahre, das entspricht 25 Generationen, die da gewohnt und gelebt haben.“

Der Denkmaltag sei eine gute Gelegenheit, darauf aufmerksam zu machen, was für eine geschichtsträchtige Stadt Esslingen ist. „Vielen Menschen ist bewusst, dass diese Stadt unser Erbe ist, ein Geschenk an uns, mit dem wir aber auch pfleglich umgehen müssen“, gibt Christine Keinath zu bedenken, und sie lobt das Engagement all der Ehrenamtlichen, die Denkmäler pflegen und die sich am Tag des offenen Denkmals bereit erklären, ein Thema zu erarbeiten, ihr Haus zu öffnen oder eine Führung anzubieten.

Tag des Denkmals

Öffnung
Seit 1993 initiiert die Deutsche Stiftung Denkmalschutz jeweils am zweiten Sonntag im September den Tag des offenen Denkmals. Die bundesweite Aktion stand in diesem Jahr unter dem Motto „Wahr-Zeichen. Zeitzeugen der Geschichte“.

Information
An Ständen berichteten die Jugendbauhütte Baden-Württemberg, der Geschichts- und Altertumsverein, die Stiftung Altes Rathaus und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz über ihre Arbeit und aktuelle Projekte.

Vernetzung
„Der Denkmaltag ist auch wichtig, um Menschen zusammenzubringen, die sich für die Denkmalpflege engagieren und die sich einsetzen für eine attraktive, lebenswerte Stadt“, betonte Christine Keinath vom Organisationsteam.