Ergül Bozkurt und seine Frau Esra stehen am Morgen des 13. August in ihrem Schuhgeschäft in der Hirschstraße in Stuttgart buchstäblich vor den Scherben ihrer Existenz. Bei dem Einbruch, der in der Nacht zuvor stattgefunden haben muss, wurden 150 Paar Schuhe gestohlen. Das hört sich zunächst nicht nach viel an. Aber der Schaden, der dabei entstanden ist, liegt bei 111 000 Euro.
Der Grund für den hohen Betrag ist die Ware, die das Ehepaar in der Stuttgarter Innenstadt anbietet. Die türkischstämmigen Geschäftsleute aus dem Schwabenland haben sich auf die Nische der seltenen Luxussportschuhe spezialisiert. Es sind Sammlerstücke, die sie verkaufen.
Namhafte Sportartikelhersteller wie Nike oder Adidas bringen in regelmäßigen Abständen limitierte Auflagen bestimmter Designerschuhe auf den Markt. Jenseits des Einkaufswerts haben die Schuhe auf dem freien Markt teils ungewöhnlich hohe Wertsteigerungen, weil Sammler bereit sind, mehrere Tausend Euro für sie zu bezahlen. Die Schuhe sind jedoch nur dann tatsächlich etwas wert, wenn sie vollständig sind. Das heißt, wenn sie unter anderem mit Schuhkarton und Seriennummer vorliegen.
Nur wertvoll mit Schuhkarton
Die limitierte Ausgabe der Air Jordan High Dior, die der 32-jährige Ergül Bozkurt und seine zwei Jahre jüngere Frau in den Überresten des zerstörten Ladens gefunden hatten, wäre vollständig wohl mehr als 12 000 Euro Wert gewesen. Da die Diebe jedoch nur einen der beiden Schuhe und keinen Karton mitgenommen haben, ist der Schuh sowohl für die Stuttgarter Geschäftsleute als auch für den mutmaßlichen Dieb wertlos. Das Problem ist nun auch, dass das Ehepaar sich nicht mit seiner Versicherung einigen konnte. Diese hat bisher abgelehnt, den Schaden zu übernehmen, und dem Paar sogar gekündigt.
Bei einer Zigarette in einem Stuttgarter Café erzählt Ergül Bozkurt von seinem bewegten Weg in die Selbstständigkeit, der mit gleich zwei Einbrüchen innerhalb weniger Wochen einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Der junge Geschäftsmann trägt einen schwarzen Bart und die Haare zu einem Zopf gebunden. Bei seinem sportlichen Kleidungsstil merken wohl nur Kenner, dass die grün-weißen Nikes an seinen Füßen einen Wert von 1000 Euro haben dürften. Seit 2013 sammelt er Schuhe. Bevor er sich selbstständig machte, arbeitete er unter anderem bei Bosch und war Ausbilder bei der IHK. Jahrelang hat er sich nebenbei auf Messen herumgetrieben und in den Sneaker-Markt eingearbeitet.
Zweiter Einbruch im Oktober
Kurz vor dem Corona-Lockdown im Jahr 2020 wagte er dann den Schritt in die Selbstständigkeit, als er im Einkaufszentrum Milaneo in Stuttgart einen Pop-up-Store eröffnete. „Wir konnten nach zwei Wochen jedoch nichts mehr verkaufen, weil Corona kam. Für den Verlust, der durch unsere Fixkosten entstanden ist, haben wir auch keine Coronahilfen erhalten, weil es uns noch nicht lange genug gab“, sagt er. Dennoch verkaufte er seine Wohnung und eröffnete bald seinen ersten Store am Rotebühlplatz. Nach Schwierigkeiten mit dem Vermieter gab er den Standort nach kurzer Zeit auf und zog im Juli in die Hirschstraße.
Inzwischen hat sein Laden nach dem ersten Einbruch zwar wieder geöffnet, doch das Ehepaar kämpft nun mit erheblichen finanziellen Problemen. Zu allem Überfluss gab es am 21. Oktober wieder einen Einbruch.
Diesmal gibt es ein HD-Video der Überwachungskamera, das den Täter zeigt, wie er mit einem Sonnenschirm die Scheibe einschlägt, diesen als Sichtschutz aufspannt und dann seelenruhig hineinläuft, um Hoodies und ein Kissen mitzunehmen. Die Polizei bestätigt beide Einbrüche und hat die Ermittlungen aufgenommen.
Mesut Özil und RAF Camora im Store
Trotz der Rückschläge lief das Geschäft für das Ehepaar bisher gut. Mit ihrer Filiale am Rotebühlplatz hatten Ergül und Esra Bozkurt innerhalb weniger Monate ein breites Publikum erreicht. Nicht nur Influencer kommen regelmäßig in ihren Laden und posten danach Videos vom Einkauf auf Plattformen wie Tiktok. Auch der ehemalige Mittelfeldspieler der deutschen Nationalmannschaft, Mesut Özil, war im April zu Besuch.
Mit ihrem Video, das den Diebstahl und den Schaden zeigt, haben die zwei auf Tiktok ein Millionenpublikum erreicht. Und nicht nur die Nutzer und Sammler zeigen ein großes Interesse an dieser Branche.
Für Hersteller wie Nike oder Adidas ist der Handel mit Luxus-Sneakern ein Multi-Millionen-Dollar-Geschäft. Es verwundert daher nicht, dass sich Adidas im Oktober zunächst Zeit gelassen hat, bevor der Konzern die Kollaboration mit US-Rapper Kanye West wegen seiner antisemitischen Entgleisungen aufkündigte. West hatte zuvor mitgeholfen, Schuhe wie die Yeezy Slides zu designen, die in der Branche einen Kultstatus erreicht haben.
Laut einer Pressemitteilung vom Oktober hat Adidas mit dem Ende der Zusammenarbeit einen Verlust von 250 Millionen Euro erlitten und sein wichtigstes Standbein in dieser Sub-Branche aufgegeben. „Kanye West hat mit seinen Designs für Adidas das Unternehmen überhaupt erst in das Geschäft mit den Luxus-Sneakern geführt. Davor haben deren Produkte für die Sammler keine Rolle gespielt“, sagt Ergül Bozkurt.
Gerade Nike hatte in den 90er Jahren durch seine Kollaboration mit dem Basketballspieler Michael Jordan großen Erfolg. Der Weltstar hat mit dem Unternehmen 36 Jahre lang Sneaker entworfen und Nike damit zum Marktführer der Branche gemacht. Die Air Jordan Sneaker sind auch in ihren billigeren Varianten populär und haben den Weg dafür geebnet, dass Prominente zusammen mit Sportartikelherstellern Schuhe auf den Markt bringen. So kann man mit sehr geringen Produktionskosten und geschicktem Marketing enorme Gewinne einfahren.
Käufer zelten vor den Geschäften
Das Geschäftsmodell mit den Luxusschuhen ist auch deswegen ungewöhnlich, weil sich Verkäufer wie die Bozkurts nicht immer einfach an die Hersteller wenden können, wenn sie Nachschub brauchen.
Es gibt für sie mehrere Wege, an die Produkte zu kommen. Eine Möglichkeit ist über sogenannte Campouts: Wenn einzelne Schuhfilialen zu einem bestimmten Termin einen seltenen Schuh geliefert bekommen, kündigen sie dies vorher an. Einzelne Käufer verbringen teilweise die Nacht vor dem Geschäft, um am nächsten Morgen bei der Eröffnung die ersten zu sein. So ein Ereignis gab es beispielsweise im August 2020 vor einer Sneaker-Filiale in der Königstraße in Stuttgart. Der Jordan 1 Japan/Tokyo des US-Sportartikelherstellers Nike wurde damals zum Verkauf angeboten.
„Ich stelle mich in der Regel nicht selbst bei einem Campout an, sondern gehe direkt auf die Käufer zu, die den Schuh ergattert haben, und kaufe ihnen diesen mit einem Aufpreis ab“, sagt Ergül Bozkurt. Auch Bots können helfen, an die Schuhe zu kommen. Dabei handelt es sich um digitale Stellvertreter eines Nutzers, die so programmiert werden, dass sie automatisch auf eine Website gehen und dort Schuhe kaufen. Ergül Bozkurt hat Mitarbeiter, die sich darauf spezialisiert haben, bei Sell-outs hohe Stückzahlen der Schuhe zu erwerben. Und weil das über die Bots automatisch geschieht, können sie schneller größere Mengen kaufen, ohne dafür einzelne Kaufabschlüsse machen zu müssen. Normale Nutzer haben in der Regel keine Chance gegen die Bots, wenn sie selbst auf den Seiten der Hersteller die begehrten Sammlerstücke kaufen wollen.
Viel Betrug beim Handel
Der Bot-Ansturm führt jedoch dazu, dass neue Modelle innerhalb weniger Minuten ausverkauft sind, wenn Nike oder Adidas und ihre Vertreiber diese auf den Markt bringen. „Online-Shops haben nur selten einen Schutz für Bots, weil die Verkäufer sich natürlich freuen, wenn sie sagen können, dass ihre Schuhe schnell ausverkauft waren“, erklärt Profi Bozkurt.
Wie es nach den Rückschlägen der letzten Wochen weitergehen soll, weiß das Ehepaar noch nicht genau. „Ich bin verunsichert wegen der Einbrüche. Es war einfach ein traumatisierendes Erlebnis“, sagt Esra Bozkurt. Fremde Menschen drangen in ihr Heiligstes ein und fügten den beiden einen existenziellen Schaden zu. Aufgeben wollen sie aber trotzdem nicht. Bald schon ist wieder eine Messe in der Schweiz. Vielleicht wartet für die Bozkurts dort schon das nächste große Geschäft mit dem kleinen Schuh.
Online gegen Offline
Fakes
Beim Handel mit den Sammlerstücken wird viel betrogen – auch mit Fälschungen. „Wenn man online ein gutes Geschäft wittert, muss man vorsichtig sein“, sagt Ergül Bozkurt, Sneaker-Händler aus Stuttgart. Der Vorteil an Geschäften wie seinem sei, dass er vor Ort die Garantien habe und als Anlaufstelle für die Kunden erreichbar bleibe. Bozkurt und seine Frau sind die Ersten, die in Stuttgart einen Sneaker-Store für Luxusschuhe eröffnet haben.
Internethandel
Im Internet kann man die teuren Schuhen auf Secondhand-Plattformen kaufen. Das Portal Stock X hat sich auf den Handel mit Sneakern spezialisiert und in den letzten Jahren einen Boom erlebt. Das Unternehmen mit Sitz im US-amerikanischen Detroit wurde unter anderem vom Milliardär und Geschäftsmann Dan Gilbert im Jahr 2015 gegründet. Händler können den Mitarbeitern des Unternehmens ihre Artikel schicken, und diese überprüfen und authentifizieren die Ware vor dem Verkauf. Online kann man dann den Wert der Produkte transparent verfolgen.