Zum Auftakt der neuen Spielzeit unter dem Motto „Vom Osten lernen“ hat das Stuttgarter Theater Rampe eine Premiere gezeigt: Ada Mukhínas „Schule des Überlebens“.

Die volle Dröhnung! Im Theater Rampe geht vor der Leinwand mit Katastrophen-News die Party ab. Calum Perrin rockt die Gitarrenriffs, Ada Mukhína haut elektropoppig die Melodie aus dem Keyboard. Wild, punkig, bis jäh der Schlussakkord knallt, das Video stoppt, „System Error“ zu lesen ist.

 

Grande Finale am Start? Ada, in Sankt Petersburg geborene, in Berlin lebende Theatermacherin, bedankt sich bei nordostenglischen Musiker Calum und nicht vorhandenen, weil nicht zu bezahlenden Kolleginnen und Kollegen, „dem Bass, der Orgel und allen Backstage“. Dabei haben sich die Zuschauer erst auf ihren Stühlen eingerichtet! Doch Ada packt, Calum schrubbt. Theater nach Kulturkürzung .... willkommen in der „Schule des Überlebens“ von Ada Mukhína.

Passende Premiere zum Tag der Deutschen Einheit

Eine passendere Premiere in diesen haushaltsdiskursiven Zeiten hätte das Rampeteam nicht zeigen können zur Eröffnung der neuen Spielzeit. Deren Motto? „Vom Osten lernen“. Angesichts 35 Jahren Deutscher Einheit präsentiere man fast ausschließlich ostdeutsche und osteuropäische künstlerische Perspektiven – Erfahrungsräume und ästhetische Strategien, die man im Westen angesichts autoritärer Wenden und geopolitischer Konflikte gut gebrauchen könne.

Ada und Calum schildern, dass man im Osten alles schon erlebt habe, was der Westen noch erleben werde. „Die Frage ist nicht, ob die Demokratie verschwindet, nur wann“, konstatiert ein Video-Fuchs mit Frauenstimme. Und die Deutschen? Sind für „German Angst“ für „Anxiety“ bekannt. Calum verbreitet mit seinem Song „End of the World“ den Mut der Verzweiflung: das Beste aus der Zeit machen, die Welt geht sowieso unter. „Make the most of what time you have left, ’cause the world’s gonna end“, singt er leidenschaftlich, bevor Ada mit Bildercollagen testet, wie „anxious“ das Publikum ist.

Schule des Überlebens

Von Blumenwiese bis Ukraineflagge reichen die Assoziationen – nun gilt es, mit der Schule des Überlebens, „anxious Germans“ mit „Lessons“ zu „empowern“. Lektion eins? „Ängste annehmen“, so Ada, Calum steuert einem „Anxiety Song“ bei. Rasender Puls, Schlaflosigkeit, schlechte Löhne, faschistische Bedrohung, Gewalt? Nicht von Desinformation verführen und sich einschüchtern lassen. Praktische Hilfen für Zeiten der Zensur, wie sie Adas Eltern noch kannten, Dissidenten in der Sowjetunion. Etwa Sonnencreme anpreisen, weil es am Demo-Ort heiß wird, schwarze Striche ins Gesicht malen, um Gesichtserkennungssysteme zu verwirren, oder Songs als West-Dekadenz beschimpfen, um sie zu propagieren.

Willkommen in der „Schule des Überlebens“ von Ada Mukhína. Foto: c Jochen Detscher

Wenn alles schief geht? Dann hilft „anmutig scheitern“. Scheiterstorys aus dem Publikum goutiert Ada mit Fallübungen auf Matte, dramatisch, pragmatisch, ballettös. Calum übernimmt. Schreit heraus, wie im Nordosten Englands Premierministerin Margaret Thatchers Kahlschlagpolitik der 1980er zu spüren ist, die Zerstörung von Stahl- und Kohleindustrie, die Zerschlagung von Gewerkschaften, die harten Einsätze gegen Demonstrationen.

Auch in Deutschland geht es um Kulturkürzungen

Was die beiden in der Rampe zeigen, ist ein populäres Mix-Genre, Gig-Theater aus Konzert, Performance, Stand-up, Protest, Punk, und Rock against Racism und DIY-Kultur. „Gig“ verweist auch auf eine neue Realität, eine Form des Kapitalismus, mit ausbeuterischen Geschäftsmodellen aus kurzfristiger Arbeit ohne sozialen Schutz.

Auch in Deutschland geht es um Kulturkürzungen und marktorientierten Überlebensstrategien für Kulturschaffende. Wie viele Lichter werden in deutschen Theatern ausgehen, freie Kulturschaffende, Experten im Management des Mangels, aufgeben – ihre Schule des Überlebens nicht mehr weitergeben? Wie in der Rampe, wo tief, ironisch vergnüglich angeregt wurde, über die Zukunft der Kultur und des Lebens nachzudenken.