Der Regisseur Christian Kaiser erzählt mit dem Stück „Lichter in der Finsternis“ die Schicksale fünf ukrainischer Frauen und macht die unbegreiflichen Auswirkungen des Krieges nachfühlbar.

„Jetzt verstehe ich, was Krieg für die Menschen bedeutet“, sagt ein Zuschauer in der Nachbesprechung der Inszenierung „Lichter in der Finsternis“. Für die fünf ukrainischen Frauenfiguren auf der Bühne des ABV-Zimmertheaters bedeutet der russische Angriffskrieg Ausharren in Kellern, Hunde essen vor Hunger, Mitmenschen sterben sehen. Es sei wie zwei verschiedene Leben in einem Körper leben – eines davor und eines danach, sagt eine der Frauen. In schwarz gekleidet liegen sich die Protagonistinnen in den Armen, laufen umher oder kriechen auf dem Boden, während sie von ihrem Kriegsalltag und der Flucht nach Deutschland erzählen. Teilweise sind es die eigenen Erfahrungen der Darstellerinnen, teilweise verkörpern Schauspielerinnen die Erfahrungen ihrer Landsfrauen.

 

Christian Kaiser suchte lange nach Ukrainerinnen, mit denen er seine Idee für das Stück umsetzen und weiterentwickeln konnte. Fest stand für den Regisseur nur: Er kann angesichts der Kriegslage nicht tatenlos bleiben. Über Kontakte stieß er schließlich auf Yeva Ruban, Tania Ponomarova, Olha Sizykh, Inessa Demchenko und Mariia Svynar. Ohne vorherige Schauspielerfahrung wirkten Svynar und Demchenko bereits an dem Stück „City X“ des Staatstheater Stuttgarts mit. Ruban und Sizykh studierten Schauspielerei in Charkiw und sind mittlerweile Gäste an der Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg. Ihnen allen ist es ein besonderes Anliegen, die ukrainische Perspektive mit der Welt zu teilen. Dass einige von ihnen noch nicht lange Deutsch sprechen, merkt man ihrem Spiel nicht an.

Die ukrainische Bevölkerung leidet schon lange unter Russland

Svynar etwa spricht auf der Bühne über ihr Verhältnis zu Russland, der angeblich „älteren Schwester“ des Landes. Die Erzählungen ihrer Großmutter über den Holomodor rücken die Grausamkeiten der damaligen Sowjetunion gegenüber der ukrainischen Bevölkerung in den Fokus. Svynar gibt wieder, wie die sowjetischen Behörden unter Stalin die Ernte einsammelten und Millionen Bauern verhungern ließen. Der Bruder ihrer Großmutter entkam nur knapp seiner Nachbarin, die ihn töten und essen wollte. Das Deckenlicht des Theaters erlischt, bevor kauernde Gestalten eine Person zu Boden zerren und mutmaßlich zu Kannibalen werden. In einer anderen Szene wird das besetzte Mariupol zum Gefängnis für die Protagonistin – eine Hommage an Mstyslaw Tschernows oscarprämierten Dokumentarfilm „20 Tage in Mariupol“. Mit weißer Kreide zeichnet sie die Tage seit der russischen Invasion an die schwarzen Wände.

Stuttgarts ältestes Amateurtheater zeigt das Unbegreifliche

„Lichter in der Finsternis“ ist bis zum 27. Juli im ABV-Zimmertheater zu sehen. Der Eintritt ist kostenlos, nach allen Vorstellungen gibt es ein Nachgespräch. Mit dem Theaterstück bringt Regisseur Christian Kaiser das Unbegreifliche auf die Bühne von Stuttgarts ältestem Amateurtheater: die Auswirkungen des Krieges auf die ukrainische Bevölkerung. So entsetzlich die Geschichten auch sind, so vereint am Ende alle Figuren die Zuversicht an eine bessere Zukunft und der Glaube an die Ukraine – die „Lichter in der Finsternis“.