Der Großteil der Freiwilligen in der Behindertenhilfe in Stuttgart kommt inzwischen aus dem Ausland. Der Träger BHZ-Stuttgart mietet eigens Wohnungen für sie an, dafür gibt es immer weniger Bewerbungen aus dem Inland. Woran liegt das?

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Sie spielen Gesellschaftsspiele mit einzelnen Bewohnern, begleiten eine Fördergruppe zum Ausflug auf den Bauernhof, leisten Hilfestellung beim Essen – Freiwillige in der Behindertenhilfe. Die Träger sind auf diese Form der Unterstützung angewiesen, denn immer weniger junge Menschen aus dem Inland bewerben sich für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in dem Bereich. Dass die Stuttgarter Träger dennoch ganz gut dastehen, liegt daran, dass es so viele internationale Bewerbungen gibt. Sowohl die Stuttgarter Lebenshilfe als auch das BHZ Stuttgart berichten, dass die Mehrheit der Freiwilligen inzwischen aus dem Ausland kommt.

 

„Wir bekommen sehr viele Anfragen für FSJ aus aller Welt, und immer weniger aus dem Inland“, berichtet Eva Schackmann, Sprecherin der Lebenshilfe Stuttgart. Von 25 Plätzen würden etwa 15 inzwischen mit internationalen Freiwilligen besetzt. Beim BHZ Stuttgart ist das Verhältnis noch weniger ausgeglichen. Das Interesse hiesiger junger Menschen sei sukzessive über die vergangenen Jahre zurückgegangen, sagt Nicole Schmidt, die in der Personalabteilung des Trägers dafür zuständig ist, FSJ-Kräfte zu gewinnen und zu betreuen. Von den 35 FSJ-Stellen des BHZ würden inzwischen 28 von Freiwilligen aus dem Ausland besetzt.

Die Freiwilligen machen in ihrer Heimat Werbung

„Ohne sie ginge es nicht“, das konstatiert nicht nur Nicole Schmidt, das betont auch ihre Kollegin Andrea Habermehl, die in ihrer Position als Teamleitung Fördergruppe dafür zuständig ist, die FSJ-Kräfte anzuleiten. Gerade für Ausflüge und Eins-zu-Eins-Förderungen seien sie zwingend auf Freiwillige angewiesen. Sie stammten zum Beispiel aus Indonesien, Georgien, von der Elfenbeinküste, aus Uganda und Nepal. „Das ist sehr breit gefächert“, erzählt Schmidt. Oft stellten sie fest, dass die Helferinnen und Helfer aufgrund von Mund-zu-Mund-Propaganda gekommen seien, dass die Freiwilligen also in ihrer Heimat quasi Werbung machten.

Doch woran liegt es, dass weniger Stuttgarter Jugendliche sich für das FSJ interessieren? Bei der Lebenshilfe führt man dafür vor allem zwei Gründe an: Junge Leute müssten in der Regel nicht mehr auf einen Ausbildungsplatz warten. Es müsse „keine Zeit überbrückt werden“, sagt Schackmann. Vorpraktika für soziale Ausbildungsberufe seien zudem anders als früher oft nicht mehr notwendig, stattdessen könne man die Ausbildung direkt nach der Schule beginnen. Auch die Lebenshilfe-Sprecherin betont, dass die internationalen Kräfte „dementsprechend wichtig“ für sie seien.

Hohe Motivation der internationalen Kräfte

Ein Visum bekommen internationale Freiwillige allerdings nur, wenn sie Sprachkenntnisse (mindestens Level A2) und Wohnraum nachweisen können. Das BHZ stellt deshalb inzwischen die Unterkunft und mietet gezielt Wohnungen für Freiwillige an. Auch die Sprachkurse finanziere man den Helferinnen und Helfern. Die Motivation der Freiwilligen sei sehr hoch. „Die meisten würden gerne in Deutschland bleiben und hier eine Ausbildung an das FSJ anschließen“, sagt Nicole Schmidt. „Das sind die Fachkräfte der Zukunft“, sagt auch Andrea Habermehl. Die Ausbildungsgänge in der Heilerziehungspflege könnten sie ohne die FSJ-Kräfte inzwischen nicht mehr voll bekommen, meint sie. Einige wählten aber auch die generalistische Pflegeausbildung oder einen ganz anderen Beruf nach dem FSJ.

Beim BHZ ist man auch aus einem anderen Grund beruhigt, nicht mehr so sehr auf hiesige junge Leute im Freiwilligendienst angewiesen zu sein. Die Wiedereinführung von G9 dürfte sich langfristig so auswirken, dass das Interesse an einem FSJ schwinden könnte, wenn die Schulzeit wieder länger ist. „Da wir vor allem auf internationale Freiwillige setzen, wird uns das nicht so treffen“, schätzt Nicole Schmidt.