Dorothee Flaig und Achim Schmitt aus Stuttgart sind happy: Nur noch das Gerüst an ihrem komplett sanierten Haus muss abgebaut werden. Foto: Lichtgut/Kovalenko
Oft dauert eine energetische Sanierung viele Monate – mit einem neuen Konzept soll alles in 22 Werktagen fertig sein. Eine Familie in Stuttgart-Bad Cannstatt hat es ausprobiert.
Was für ein schöner Traum: Man fährt vier Wochen in den Urlaub auf die Kanaren, und wenn man zurückkommt, ist das Eigenheim tippitoppi und komplett saniert – neues Dach inklusive Solaranlage, gedämmte Fassade, Wärmepumpe im Keller. Und vielleicht noch neue Fenster gefällig? Ganz so wunderbar geht es beim neuen Stuttgarter Konzept des Sanierungssprints leider nicht zu, weil die Bauherren und -damen anwesend bleiben sollten. Aber sonst stimmt alles: in 22 Werktagen wird ein Einfamilienhaus grundlegend energetisch saniert. Wer will, kann gleichzeitig noch Sanitäranlagen oder Fußböden renovieren lassen.
Die Agrarwissenschaftlerin Dorothee Flaig und der Bauphysiker Achim Schmitt haben diesen Sanierungssprint jetzt in ihrer Doppelhaushälfte in Stuttgart-Bad Cannstatt, erbaut im Jahr 1949, gewagt. Der Monat ist vorbei, das Versprechen wurde eingehalten – nur das Gerüst muss noch abgebaut werden. „Wir waren vorher sehr abgeschreckt von der Komplexität einer Grundsanierung und haben das Projekt vor uns hergeschoben“, sagt Achim Schmitt: „Mit dem Sanierungssprint lief es saumäßig gut.“
Der Grundgedanke hinter dem Konzept lautet: Die Handwerker erhalten vor Beginn ein festes Zeitfenster für ihr Gewerk und arbeiten zeitweise auch parallel; vor dem Start kommen sie alle einmal zusammen und tauschen sich aus. Daneben fungiert ein Koordinator als Bauleiter, damit alles flutscht. Die Idee stammt von dem Bauingenieur Ronald Meyer, der den ersten Sanierungssprint vor zwei Jahren in Hamburg durchgeführt hat. Schon damals begleitend im Boot oder vielmehr auf dem Gerüst: die Universität Stuttgart. So kam die Idee nach Baden-Württemberg.
Der Sanierungssprint fühlte sich an wie ein WM-Kurzstreckenlauf.
Darius Heller vom Institut für Baubetriebslehre überzeugte dann die Berater von „Zukunft Altbau“ vom Konzept eines Turbo-Umbaus – sie sind jetzt erste Anlaufstelle für alle Interessenten. Sowohl beim ersten Haus in Esslingen als auch nun in Bad Cannstatt wurde der Zeitplan eingehalten. Achim Schmitt betont aber, dass vor allem die erste Woche sehr intensiv war, weil seine Frau und er trotz Koordinators viele kleine und große Entscheidungen treffen mussten: „Ich war eigentlich komplett mit auf der Baustelle.“
Manchmal hat sich der Sanierungssprint deshalb für ihn selbst auch angefühlt wie ein WM-Kurzstreckenlauf. Er hat allerdings alle Vorarbeiten selbst gemacht und war deshalb stark in alle Planungen involviert. Wer den Koordinator schon früher einbindet, darf während der Bauarbeiten vielleicht zumindest stundenweise von Urlaub träumen.
Der rechte Nachbar hat sich anstecken lassen und saniert jetzt auch – allerdings nicht im Sprinttempo. Foto: Lichtgut/Kovalenko
Zwei weitere Projekte in Plieningen und Kaltental sind schon terminiert, daneben gebe es Dutzende weitere Anfragen, sagt Projektleiter Felix Schweikhardt von Zukunft Altbau: „Wir wollen das Konzept in ganz Baden-Württemberg umsetzen.“ Große Pläne also, und Schweikhardt hofft, so insgesamt die Zahl der Sanierungen zu erhöhen. Denn bisher bleibt nicht nur die Stadt Stuttgart weit hinter ihrem Sanierungsziel zurück und gefährdet damit die geplante Klimaneutralität im Jahr 2035. Zwölf Koordinatoren seien schon ausgebildet worden, darunter auch Matthias Stöffler, der bei Dorothee Flaig und Achim Schmitt als Architekt die Rolle des Koordinators inne hatte.
Die Kosten für ihn übernehmen die Bauherren. Umgekehrt ist sich Darius Heller sicher, dass durch den Sanierungssprint Geld eingespart werden kann. Denn durch die kurzen Zeitfenster pro Gewerk komme es tendenziell nicht zu Budgetüberschreitungen. Wer will, kann auch einen Baustellenassistenten anstellen – in Bad Cannstatt war das ein befreundeter Student –, der gewerkübergreifend „Geh-her-da“-Aufgaben übernimmt, also zum Beispiel den Lastwagen ablädt oder Schutt wegräumt. Machen das die Handwerker selbst, käme der übliche Stundensatz zum Anschlag.
Konzept des Sanierungssprint als Sicherheit für Bauherren
Ein Glücksfall war für Dorothee Flaig und Achim Schmitt, dass der Nachbar in der anderen Doppelhaushälfte fast zeitgleich renovierte und man sich Handwerker „teilte“ – so fielen manche Rechnungen geringer aus. Wie bei jeder Sanierung werden künftig auch die Kosten für die Heizung sinken – die Einsparung liege bei 85 Prozent, so Schweikhardt. Statt 40 000 Kilowattstunden an Wärmeenergie im Jahr braucht die neue Wärmepumpe nur noch knapp 6000 Kilowattstunden.
Darius Heller von der Universität Stuttgart begleitet das Projekt wissenschaftlich. Foto: Lichtgut/Kovalenko
Der Sanierungssprint sei für Bauherren gedacht, die große Sorgen hätten, dass die Kosten ausuferten oder dass man in eine ewige Baustelle hineingerate, erklärt Felix Schweikhardt. Oder für Bauherren, die nicht monatelang ausziehen wollen. Da könne das Konzept Sicherheit geben. Wie umfangreich die Sanierung sein soll, entscheidet der Bauherr – eine energetische Sanierung muss aber dabei sein. In Bad Cannstatt wurde zum Beispiel zudem das Erdgeschoss renoviert, um eine Einliegerwohnung einzurichten. Insgesamt waren acht Handwerkerfirmen involviert. Das Obergeschoss hatte Achim Schmitt schon in Eigenregie hergerichtet – die Familie mit zwei kleinen Kindern konnte deshalb sogar während der Kernsanierung im Haus wohnen bleiben.
Alles glatt ging aber trotz des innovativen Konzepts nicht. Manche Überraschung sorgte dafür, dass Arbeiten doch in der Reihenfolge geändert werden mussten. Und bis die neue Wärmepumpe lief, verging eine Woche ohne heißes Wasser. „Die erste Dusche danach war ein Hochgenuss“, scherzt Achim Schmitt. Und jetzt gibt es noch einen Bonus für jeden Sanierungswilligen: Felix Schweikhardts kleine Tochter hat, um die Arbeit ihres Papas zu unterstützen, versprochen, dass sie für jeden Bauherren zum Abschluss ein schönes Bild malt. Achim Schmitt und Dorothee Flaig haben ihres jetzt bekommen. Egal, dass die Wärmepumpe darauf fast so hoch ist wie das ganze Haus.