Erst ging es noch um die US-Wahl, dann plötzlich um das Ende der Ampel. Deutschland wird wohl bald schon neu wählen müssen. In Stuttgart fühlen sich viele verunsichert. Wir haben uns auf dem Marktplatz umgehört.
Georg Müllner ist wenig überrascht von den Geschehnissen in Berlin. „Irgendwie war das doch erwartbar“, drückt es der 67-Jährige aus. Am Mittwochabend entließ Kanzler Olaf Scholz (SPD) den Finanzminister Christian Lindner (FDP), viele Vorwürfe stehen seither im Raum. Klar ist vor allem, dass die Koalition im Bund am Ende ist. Aber welche Gefühle ruft das auch in den Stuttgarterinnen und Stuttgartern hervor? „Irgendwie geht es immer weiter. Am Ende zahlt es ja ohnehin der Bürger“, sagt Müllner. Er sorgt sich vor allem um all jene, die am Rand der Gesellschaft um ihre Existenz kämpfen müssen. Viele wüssten nicht mehr, wie sie etwa die hohen Mietkosten tragen sollen, gerade auch in Stuttgart, so der 67-Jährige.
„Ich habe kein Vertrauen in die Politik und zurzeit das Gefühl, dass alles zusammenbricht“, sagt eine 77-Jährige, die am Donnerstagmittag auf dem Markt ihr Gemüse einkauft. Politik sei nicht so ihr Thema, aber sie mache sich aktuell große Sorgen. Was aus ihrer Sicht hilft? „Erbseneintopf“, sagt die Dame mit Blick auf die Einkaufstüte und lacht. „Das ist nichts besonders, aber etwas für den Magen.“
Die junge Mutter Kathy ist mit ihrem kleinen Sohn auf dem Markt unterwegs. Sie blickt trotz der politisch schwierigen Lage positiv in die Zukunft. „Ich bin Optimistin“, sagt sie. Auch nach der letzten Trump-Wahl hätten die Menschen viel Schlimmes befürchtet, ganz so dramatisch sei es dann ja aber doch nicht geworden, findet sie. Sie arbeitet als Personal Trainerin und fürchtet vor allem die Folgen der Inflation. „Viele Familien haben nicht mehr so viel Geld“, sagt sie. Kathy fragt sich vor allem, ob sich ihre Kunden die Kurse bei ihr in Zukunft noch leisten können.
„War dieser Punkt wirklich unausweichlich?“, fragt ein 45-jähriger Stuttgarter, der sein Fahrrad mit Einkäufen am Rathaus vorbeischiebt. Er hätte sich von der Koalition mehr Durchhaltevermögen gewünscht. „Das sind doch Politik-Profis, bei der Arbeit muss ich auch Kompromisse mache, das erwarte ich von denen auch“, erklärt er. Die Verantwortung für das Land müsse doch im Zweifel über die Agenda der Einzelnen gestellt werden, meint der Mann mit Rad, der lieber nicht seinen Namen in der Zeitung lesen will.
„Ich bin nicht so optimistisch“
Positiv blickt an diesem Mittag kaum jemand in die kommenden Jahre. Der 21 Jahre alte Finn Kohlbecker sagt: „Ich bin grundsätzlich nicht so optimistisch, was die Zukunft angeht.“ Er ist mit einem Kumpel auf dem Weg in die Bibliothek, sie wollen gemeinsam lernen. „Trump macht mir Sorgen, vor allem wegen der Außenpolitik“, sagt Kohlbecker. Vor allem im Hinblick auf den Gaza- und den Ukrainekrieg werde die Lage wohl noch schwieriger werden, meint er. Weniger negativ blickt sein Kumpel Luca Steinröder auf die US-Geschehnisse. „Immerhin wurde es nicht Biden, der hat den Eindruck gemacht, als sei er dement. Immerhin wisse Trump, was er tut“, so der Stuttgarter.
„Der Moment ist denkbar ungünstig“, findet eine 52-jährige Stuttgarterin, die wegen der Diskussionen innerhalb ihrer Familie ihren Namen lieber für sich behalten will. Direkt nach der Wahlentscheidung in den USA die Koalition platzen zu lassen, findet sie falsch. „Ich habe das Gefühl, die Gesellschaft driftet auseinander, ein echter Dialog findet nicht mehr statt“, sagt sie. Es brauche eine Regierung, die Zuversicht verbreite, findet sie. Zuletzt habe das definitiv nicht stattgefunden.
Manche Stuttgarter äußern sich auf dem Marktplatz jedoch auch positiv über das Ende der Ampel. Zu ihnen gehört Barbara Stahl-Polziehn: „Ich bin froh, dass es jetzt Klarheit gibt. Wir brauchen eine klare politische Richtung. Manchmal muss etwas passieren, dass sich etwas bewegt“, sagt sie. Vor allem angesichts des Klimawandels sei es wichtig, dass mehr unternommen wird, findet sie. Mit der Koalition in Berlin sei sie ohnehin nicht zufrieden gewesen.
Einen negativeren Blick auf die Lage hat der 48 Jahre alte Michael Schmieder. Er kann der aktuellen Lage nichts mehr abgewinnen und spricht von einem „Albtraum“. Erst die Trump-Nachricht aus den USA und nun auch noch baldige Neuwahlen in Deutschland. „Die Politiker kleben an ihren Posten“, kritisiert er mit Blick auf Verkehrsminister Volker Wissing, der Minister bleiben will und die FDP verlassen hat. „Das ist nicht mehr mit Herz“, findet er.