Verkehr im Kreis Böblingen Immer mehr Unfälle durch Ältere und E-Bikes
Die Menschen werden immer älter und wollen möglichst mobil bleiben. Auch im Kreis Böblingen hinterlässt das in der Unfallstatistik traurige Spuren.
Die Menschen werden immer älter und wollen möglichst mobil bleiben. Auch im Kreis Böblingen hinterlässt das in der Unfallstatistik traurige Spuren.
Die Pressemeldung der Polizei ist knapp und nüchtern gehalten, doch was sich dahinter verbirgt, sind vermutlich Schock, Trauer, Schmerz und Schuldgefühle. Es geht um einen Unfall mit tödlichem Ausgang, der sich am 12. September in Weil im Schönbuch ereignet hat. Die Beteiligten: ein 70-Jähriger auf einem Pedelec und eine 87-jährige Autofahrerin.
Die ältere Frau im Auto übersah wohl den Radfahrer an einer Kreuzung, es kam zum Zusammenstoß. Zehn Tage später erlag der Mann im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen. Er hatte keinen Helm getragen.
Der Unfall wirft ein Schlaglicht auf die steigende Zahl betagter Menschen, die in unserer älter werdenden Gesellschaft aktiv am Straßenverkehr teilnehmen – ob mit dem Auto oder immer mehr auch auf Pedelecs – und damit auf Zweirädern, die mit ihrer Geschwindigkeit und ihrem größeren Gewicht ein erhöhtes Unfallrisiko bedeuten können.
Dieser Trend spiegelt sich in der Unfallstatistik wider. „Aus unseren Tabellen geht hervor, dass die Zahl der Unfallverursacher aus der Gruppe der Senioren in den letzten fünf Jahren deutlich zugenommen hat“, sagt Steffen Grabenstein, Pressesprecher bei dem für den Landkreis Böblingen zuständigen Polizeipräsidium Ludwigsburg.
Der Trend setzt sich fort: Im Jahr 2024 wurden laut Verkehrsunfallbilanz der Polizeibehörde rund zwei Drittel der insgesamt 2559 Unfälle von älteren Menschen selbst verursacht. Einen deutlichen Anstieg von 30,4 Prozent (von 115 auf 150 Fälle) gab es im Vergleich zum Vorjahr bei der Anzahl schwerer Verletzungen bei Unfällen mit betagten Personen. Dasselbe gilt bei der Zahl der Todesopfer, die von acht auf 13 anstieg. Außerdem hat das Polizeipräsidium Ludwigsburg für seinen Geltungsbereich dokumentiert, wie Verkehrstote von 2020 bis 2024 nach Altersgruppen verteilt waren. Dabei sind Senioren bei tödlichen Unfällen mit 33 Prozent im Vergleich zum Anteil an der Bevölkerung (22,1 Prozent) überproportional vertreten.
Bei dem Pedelec-Unfall in Weil im Schönbuch hatte die mutmaßliche Verursacherin Fahrerflucht begangen – ob aus Schock, Scham oder womöglich aus Verwirrtheit ist nicht bekannt. Klar ist aber, dass die ältere Dame mit dieser Reaktion nicht alleine ist. Laut Polizeisprecher Grabenstein habe auch in dieser Statistik die Gruppe der Senioren deutlich zugenommen.
Das andere Problemfeld betrifft die zunehmende Zahl an Pedelecs im Straßenverkehr: Nach Angaben des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV) sind in Deutschland mittlerweile rund 15,7 Millionen Menschen auf Zweirädern mit Elektroantrieb unterwegs. Laut Allgemeinem Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) hat sich damit die Zahl in zehn Jahren verachtfacht. „Mehr Radfahrer bedeuten leider oft automatisch auch mehr Unfälle“, sagt Tobias Husung, Pressereferent beim Landesverband Baden-Württemberg des ADFC.
Pedelecs seien aber trotz anderen „Handlings“ nicht per se gefährlicher als herkömmliche Fahrräder, sagt Husung. Die Gefahr gehe eher von Autofahrenden aus. Die Frage, ob es sinnvoll wäre, einen verpflichtenden Pedelec-Führerschein einzuführen, sieht der ADFC deshalb kritisch. „Wir setzen uns dafür ein, dass das Radfahren allen Menschen zugänglich wird und bleibt. Führerscheine oder andere Hürden halten Menschen in erster Linie davon ab, aufs Rad zu steigen“, sagt Tobias Husung. „Je mehr Fahrräder statt Autos unterwegs sind, desto sicherer werden unsere Straßen für alle“, davon ist der ADFC-Pressesprecher überzeugt.
Nach Berichten über Autounfälle mit Hochbetagten wird in den Sozialen Medien schnell der Ruf nach altersbezogenen Regelungen bei der Fahrerlaubnis laut. Ganz so einfach ist das aber nicht: „Eine Altersgrenze ist schwer umsetzbar“, sagt Gerhard Puscher von der Verkehrswacht Böblingen. „Wenn es gerecht geschehen soll, wäre eine Fahrerlaubnis auf Zeit für alle Führerscheininhaber sinnvoll.“ Er fände einen Gesundheitstest sowie Auffrischungen in Sachen Erste Hilfe und Verkehrsregeln folgerichtig. Entscheidend sei, dass ältere Menschen vorhandene Präventionsangebote nutzten. Von Verkehrswacht, ADFC und Polizei gebe es ein vielfältiges Angebot an speziell auf die Zielgruppe ausgerichteter Kurse und Fahrsicherheitstrainings.
In diesem Zusammenhang stellt sich auch immer die Frage nach einer Helmpflicht für Radfahrer. Im Jahr 2024 hatten bei 853 Radfahrunfällen im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Ludwigsburg bei knapp einem Drittel dieser Unfälle (308) die Betroffenen keinen Helm getragen. An 161 der insgesamt 853 Radfahrunfällen waren laut Polizeisprecher Grabenstein Personen im Alter von 65 Jahren oder älter beteiligt – bei 42 davon, also rund einem Viertel, trugen die Verunglückten keinen Helm.
„Leider gibt es keine Helmpflicht“, bedauert Gerhard Puscher von der Verkehrswacht Böblingen. „Wir stehen zu den gesetzlichen Regelungen und setzen auf das freiwillige Helmtragen“, sagt dagegen ADFC-Sprecher Husung. Der eigentliche Schutz vor Unfällen sei aber ein flächendeckender Ausbau der Radinfrastruktur. „Denn nur auf sicheren Radwegen ist sicherer Radverkehr möglich“, sagt Husung und fordert zudem ein großflächiges Tempo-30-Gebot.
Pedelecs
Die Verkehrswacht Böblingen bietet auf ihrer Homepage ein Pedelec-Training für aktive Seniorengruppen an. Kontakt und Infos unter ww.verkehrswacht-boeblingen.de oder per Telefon unter 0179 / 6 14 44 22 bei Gerhard Puscher. Unter der Adresse radspass.org/start bietet der ADFC Baden-Württemberg Fahrsicherheitskurse für Pedelec-Fahrer an.
Senioren
Unter der Adresse www.gib-acht-im-verkehr.de/themen/aeltere-generation stellen Polizei und die Koordinierungs- und Entwicklungsstelle Verkehrsunfallprävention (KEV) ein speziell auf die ältere Generation ausgerichtetes Angebot zur Verfügung.