Eigentlich sollte das Universum überall ähnlich aussehen – so lautet das kosmologische Prinzip. Doch Studien zufolge befindet sich die Milchstraße am Rande der Großen Leere. Liegt unsere kosmische Heimat also an einem ungewöhnlichen Ort? Eine astronomische Spurensuche.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Das Universum sieht, so besagt es das kosmologische Prinzip, im Großen und Ganzen überall gleich aus, egal wo sich der astronomische Beobachter gerade befindet oder in welche Richtung er blickt.

 

Kosmologisches Prinzip

Selbstverständlich sind die Sterne nicht völlig gleichmäßig im Kosmos verteilt. Sie sammeln sich in Galaxien, diese wiederum in Galaxien- und Supergalaxienhaufen. Aber, so die Theorie, solche Strukturen gibt es überall und sie sehen überall ähnlich aus.

Das kosmologische Prinzip ist ein wichtiger Grundpfeiler der Erforschung des Universums. Denn erst die angenommene Gleichförmigkeit macht es möglich, das Weltall als Ganzes zu beschreiben und seine Entwicklung in Computermodellen zu simulieren.

Doch es mehren sich Zweifel an der Gleichförmigkeit des Weltalls. Ein Hinweis befindet sich quasi vor unserer eigenen kosmischen Haustür – in der Milchstraße.

Milchstraße und Große Leere

Die Milchstraße liegt direkt am Rande der Großen Leere – einer unendlich weiten Zone kosmischer Leere. Sie balanciert dabei auf einer dünnen Brücke aus Materie, die sich mitten durch einen Lokalen Void (englisch: Local Void) zieht.

  • Voids: Voids werden in der Astrophysik und Kosmologie Leer- bzw. Hohlräume im Weltall genannt, in dem (fast) nichts existiert. Sie umspannen wie ein Netz sogenannte Filamente (von lateinisch: filum, Faden).
  • Filamente: Die Filamente sind fadenförmige Verbindungen aus sichtbarer und dunkler Materie zwischen sehr dichten Ansammlungen von vielen Galaxien, den sogenannten Galaxien- und Supergalaxienhaufen.
  • Wabenstruktur: Die Struktur des Universums kann man sich als eine Art Wabenstruktur bzw. kosmisches Netz vorstellen. Dieses Netz besteht aus Filamenten – den größten bekannten Strukturen im Kosmos – und Voids. Diese Leeren enthalten im Verhältnis zu ihrem Volumen nur sehr wenige Galaxien. Auch Voids haben eine Wabenstruktur und gehören zu den größten inhomogenen – das heißt nicht gleichmäßig aufgebauten – Strukturen im Universum.
Das Universum ähnelt einer Art Wabenstruktur bzw. einem kosmischen Netz. Foto: Nasa/Esa/E. Hallman (University of Colorado, Boulder

Wie man sich die Struktur des Universums vorstellen muss

  • Struktur des Kosmos: Die Verteilung von Materie im Universum ist von einem Netz großräumiger, wabenartiger Strukturen geprägt. Dichte Filamente und riesige Klumpen von Gas und Galaxien wechseln sich dabei mit größtenteils leereren Bereichen ab. Die Struktur des Kosmos ist durch die großräumige Anordnung und Verteilung der Materie gekennzeichnet. So sind Sterne in Galaxien zusammengefasst, Galaxien in Galaxienhaufen und diese wiederum in Supergalaxienhaufen, zwischen denen sich große Leerräume - sogenannte Lokale Leere, englisch: Local Voids - befinden.
  • Supergalaxiehaufen: Der Laniakea-Supercluster, die kosmische Heimat unserer Milchstraße, ist Teil dieser kosmischen Großstruktur. Dieser Supergalaxienhaufen umfasst rund 100 000 Galaxien, darunter auch die Milchstraße. Ihr Durchmesser beträgt 520 Millionen Lichtjahre.
  • Lokale Leere: Dieses Gebilde enthält neben der Lokalen Gruppe – der Name einer Ansammlung von Galaxien, deren größte die Milchstraße und die Andromedagalaxie sind – und dem Virgo-Galaxienhaufen auch den Lokalen Void – eine riesige, eher leere Zone im All in unserer unmittelbaren Nachbarschaft.
  • Virgo-Galaxiehaufen: Dieser Galaxienhaufen umfasst 1300 bis über 2000 Galaxien. Er liegt in Richtung des Sternbilds Jungfrau (Virgo). Sein Zentrum ist von der Milchstraße 54 Millionen Lichtjahre entfernt.

https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.geheimnis-des-lebens-warum-ist-alles-aus-sternenstaub.f2838e33-ee9d-48ab-acec-d20320757af3.html

Milchstraße liegt am Rand der Großen Leere

Die Milchstraße ist die Galaxie, in der sich unser Sonnensystem mit der Erde befindet. Entsprechend ihrer Form als flache Scheibe, die aus Hunderten von Milliarden Sternen besteht, ist die Milchstraße vom Blauen Planeten aus als bandförmige Aufhellung am Nachthimmel sichtbar, die sich über 360 Grad erstreckt.

Der Lokale Void in der Nachbarschaft der Milchstraße erstreckt sich von der Erde aus gesehen über 40 Prozent des Himmels und beginnt direkt am Rand der Lokalen Gruppe. Darunter muss man sich eine ausgedehnte leere Region des Weltraums vorstellen, die direkt an die Lokale Gruppe (Local Group) angrenzt. Das Ausmaß der Region beträgt schätzungsweise 150 bis 230 Millionen Lichtjahre. In der Lokalen Leere scheinen sich deutlich weniger Galaxien zu befinden, als kosmologisch zu erwarten wäre.

Unsere Galaxie, die Milchstraße, mit den drei bisher bekannten Schwarzen Löchern: „Gaia BH3“ (gelb),„Gaia BH1“ (rot) und „Gaia BH2“ (blau). Foto: Esa/M. Kornmesser/Gaia/DPAC/CC BY-SA 3.0/IGO

Ein ganzes Netz aus leerem Raum

Der Lokale Void (schwarz) ist mit einem ganzen Netzwerk aus anderen Voids (gelb, blau, grün) verbunden. Und die Milchstraße liegt mittendrin, am Rande des schwarz eingefärbten Lokalen Voids. Foto: © Daniel Pomarède/ University of Hawaii

Diese Lokale Leere ist nicht isoliert, sondern Teil eines ganzen Netzes von kosmischen Voids. Über mehrere Zonen geringer Materiedichte ist sie mit zwei noch größeren Voids in ihrer Nachbarschaft verbunden, den Hercules- und Sculptor-Void.

Wie Astronomen um Brent Tully von der University of Hawaii herausgefunden haben, trennen kleinere Materie-Filamente den Lokalen Void von einem Tunnel, der diese beiden Voids miteinander verbindet.

Die Milchstraße und die sie umfassende Lokale Gruppe selbst sind Teil einer Materiebrücke, die sich quer durch die Lokale Leere zieht. Die Milchstraße liegt unmittelbar am Rand dieser Materiebrücke in einer Zone, die selbst relativ stark ausgedünnt ist. Das bedeutet: Die Menschheit lebt auf der Erde direkt am Rand einer großen kosmischen Leere.