„Heute würde ich mich in Nashville nicht mehr sicher fühlen, weil ich lesbisch bin“, sagt die Bestsellerautorin V. E. Schwab Foto: S. FIscher/Jenna Maurice
Was können Frauen von Vampiren lernen? Die lesbische Bestsellerautorin V. E. Schwab verrät beim Besuch des Festivals Dragon Days in Stuttgart, wie politisch das Fantasygenre ist.
Kathrin Horster
15.10.2025 - 14:02 Uhr
Die US-Amerikanerin V. E. Schwab hat bei dem Fantasyfestival Dragon Days in der Stadtbibliothek Stuttgart ihren Vampir-Roman „Bury our Bones in the Midnight Soil“ vorgestellt. Im Interview spricht sie über das feministische Potenzial von Blutsaugern und ihr schwieriges Verhältnis zu ihrer fernen Heimat.
Frau Schwab, wenn die Rede von Fantasy ist, denken die Leute bloß an Hexen und Drachen. Ärgert Sie das?
Ich habe meine gesamte Karriere darauf verwendet, solche Vorurteile abzubauen. Für mich ist Fantastik alles, was sich von der Norm abhebt. Meine Bücher sind wie eine Einstiegsdroge für Menschen, die sich an Fantasy herantasten wollen, aber auch für jene, die Fantastik als Variante der Wirklichkeit sehen.
Seit Bram Stoker und Sheridan LeFanu sind Vampire nicht mehr wegzudenken aus der Literatur und Popkultur. Was fasziniert Sie persönlich an diesen Nachtgestalten?
Sie sind so abstoßend wie verführerisch, sie machen uns Angst, verkörpern ein Verlangen nach Wissen, Autonomie, Freiheit. Als lesbische Frau schreibe ich über die Schwellenerfahrung des Coming Out, das in gewisser Weise wie bei Vampiren ein Akt des Sterbens und der Wiedergeburt ist. Man begräbt eine Version von sich, und obwohl das die richtige Entscheidung ist, verliert man in diesem Moment auch etwas, da ist immer eine große Trauer. Ich selbst hatte mein Coming Out mit 28 Jahren und betrauere bis heute, nie eine authentische Jugend gehabt zu haben.
Ihr neuestes Buch handelt von drei Frauen, die nach ihrer Verwandlung in Vampirinnen ein neues, wildes Leben entdecken. Wie politisch ist die Figur des weiblichen Vampirs für Sie?
Vampire leben mutig. Über Jahrhunderte wurde Frauen eingetrichtert, genau das nicht zu sein. Man hat Frauen das Verlangen als etwas Schmutziges verkauft, Männer durften immer ihren Ambitionen folgen, hungrig und aggressiv sein.
Sie haben also einen feministischen Zugriff auf das Vampir-Motiv …
Ja, absolut. Als Frau bin ich automatisch Beute, nie Jäger. Die größte Freiheit, die ich den Frauen in meinen Büchern geben konnte, war, sie zu Jägern zu machen und sie so von der Last zu befreien, sich fürchten zu müssen. Queere Menschen haben in den bisherigen Narrativen nur mit ihrem Schmerz einen Platz. Dabei sollten sie in all ihrer menschlichen Komplexität betrachtet werden.
V. E. Schwab: Bury our Bones in the Midnight Soil. Fischer Verlag, 688 Seiten. 26 Euro. Foto: Fischer Verlag
Sie wuchsen in Nashville, Tenessee, auf. Die Region ist mythenumwoben wegen ihrer Musik und Folklore, aber auch berüchtigt wegen der historischen Sklaverei…
Oh ja, der Süden ist ein dunkler Ort...
Hatte diese besondere Atmosphäre Einfluss auf Ihr Schreiben?
Der Kleinstadt-Effekt hat mich sicherlich geprägt. In jedem Kaff gibt es den Außenseiter, ich selbst war so jemand. Als Zugezogene aus Kalifornien fühlte ich mich in Nashville nie zu Hause.
Heute leben Sie in Schottland. Fällt es Ihnen angesichts der aktuellen Vorgänge in den USA, wo Bücher wie Stephen Kings „Carrie“ aus Schulbibliotheken verbannt werden, noch schwerer, an Amerika als Heimat zu denken?
Oh ja. Meine Bücher wurden auch schon verbannt. Das Schlimme ist, dass es genügt zu sagen, dieses oder jenes Buch sei unangemessen. Die Zensoren lesen die Bücher nicht einmal. Ich wurde verbannt, weil in meinem Buch „Das unsichtbare Leben der Addie La Rue“ der Teufel und eine bisexuelle Figur vorkommen. Weil meine Bücher Hexerei seien, weil ich lesbisch bin. Es ist eine wirklich erschreckende Zeit und Amerika ist ein sehr junges Land, was gerne vergessen wird.
Aber es ist eine alte Demokratie…
Theoretisch. Die Staaten sind 50 eigenständige Länder. Heute würde ich mich in Nashville nicht mehr sicher fühlen, weil ich lesbisch bin und das öffentlich lebe. Ich könnte im Süden nie die Hand meiner Freundin halten. Ich liebe Amerika, aber ich erkenne es kaum mehr wieder. Dasselbe sagen Leute, die dort leben. So viele von uns fühlen sich im eigenen Land wie in Geiselhaft.
Hoffen Sie, eines Tages in die USA zurückkehren zu können?
Ich gehe dorthin auf Tour. Aber es gibt Staaten, in denen ich nicht lesen kann, Florida ist derzeit nicht sicher. Das ist so ätzend! Da sind junge Menschen, die gesehen und gehört werden wollen. Literatur ist eine Zuflucht für sie, und ich möchte mit ihnen feiern, deshalb ist es so hart für mich, dort nicht hinzugehen. Und ich habe noch Glück, ich bin eine weiße Frau, ich kann vieles verbergen, meine Queerness herunterspielen. Aber genau das werde ich nicht tun!