Die Popkultur verdankt diesem Autor das Wort Detektiv: Vor 175 Jahren starb Edgar Allan Poe. Ein geheimnisvoller Schrecken, Poes großes Geschenk an die Weltliteratur, umgibt auch seine letzten Tage.
Als der amerikanische Schriftsteller Edgar Allan Poe an einem ganz gewöhnlichen Herbsttag des Jahres 1849 in Richmond vor die Tür trat, ahnte der Schöpfer so vieler grausiger Fantasien seinen eigenen schaurigen Tod gewiss nicht voraus. Man fand ihn eine Woche später 250 Kilometer entfernt in der Stadt Baltimore, von Alkohol oder Drogen betäubt, aufgedunsen, in tödlicher Agonie. Der zeitlebens so elegante Mann war in zerschlissene, vor Schmutz starrende Sachen gekleidet, die nicht ihm gehörten.
Edgar Allan Poe starb am Morgen des 7. Oktober vor 175 Jahren um fünf Uhr früh. Was ihm in den Tagen seines Verschwindens widerfahren ist, ist bis heute nicht sicher geklärt. War es Straßenraub? Geriet Poe bei einem lokalen Wahlkampf in die Hände skrupelloser und brutaler Stimmenfänger, die ihn mehrfach zur Urne prügelten? Der Sterbende war nicht mehr klar genug bei Verstand, um es aufzuklären.
Urknall des Krimis
Edgar Allan Poes Tod könnte der Stoff für eine von seinen eigenen Detektiv- oder Gruselgeschichten sein. Beide Gattungen verdankt die Weltliteratur diesem großen Autor. Ohne sein Werk hätte die Figur des Detektivs wohl nie diese Bedeutung in der Popkultur erlangt.
Allen voran ist die im Jahr 1841 verfasste Kurzgeschichte „Der Doppelmord in der Rue Morgue“ zu nennen, eine Art Urknall des Krimis. Poe schuf damit als Erster eine fiktionale Erzählung aus Sicht eines Detektivs. Sein Held Auguste Dupin war der Prototyp des analytischen Ermittlers, der Ur-Ahn von Sherlock Holmes und anderen brillianten Fahndern.
„Poe war ein Meister der Effekte. Er war besessen von den Figuren und Bildern der Angst, der Katastrophe, des Sogs und steigerte sie bis zum Äußersten“, schreibt der Literaturwissenschaftler Wolfgang Martynkewicz in seiner Poe-Biografie. „Wie ein Magier spielte er mit der Lust am Untergang, die er nicht nur immer und immer wieder ästhetisch inszenierte, sondern die zu seinem Leben, seiner Existenz gehörte.“
Wegbereiter der Moderne
Zu Lebzeiten hatte Edgar Allan Poe nur mit einem einzigen Werk kommerziell Erfolg gehabt. Es hieß: „Erste Anleitung für den Muschelforscher“ und war ein Schulbuch. Lediglich das Vorwort stammte wirklich von ihm.
Doch auch wenn ihm während seines kurzen, bitteren Lebens die ersehnte Anerkennung versagt blieb, zählt Poe bis heute zu den wichtigsten Schriftstellern Amerikas. Seine romantischen Schauer-Erzählungen machten ihn zum Wegbereiter der Moderne. Daneben setzte er mit meisterhaften Gedichten Maßstäbe.
Seine messerscharf sezierenden Detektivgeschichten gehören zu den meistgelesenen Krimis der Welt. Geniale Spukgeschichten wie „Der Untergang des Hauses Usher“, „Die Grube und das Pendel“, „Die Maske des roten Todes“ oder „Der Goldkäfer“ haben Generationen von jungen und alten Lesern das Gruseln gelehrt.
Bis heute üben Poes Geschichten eine unwiderstehliche Faszination aus. Obwohl oft grotesk überdreht und gelegentlich noch nicht einmal in sich stimmig, ziehen sie den Leser unweigerlich in Bann. Es geht um sprechende Raben und mordende Affen, um lebendig Begrabene und die Geister von Toten, um Okkultes und Satanisches, Tod und Verfall.
Abgründe des menschlichen Unterbewusstseins
Edgar Allan Poe lotete Abgründe des menschlichen Unterbewusstseins aus, wie es so kein Autor vor ihm gewagt hatte. Seine eigene Seele, darin sind sich die Biografen einig, hatte im Laufe seines kurzen Lebens mehr Schaden genommen, als ein Mensch verkraften kann.
Am 19. Januar 1809 als Kind von Wanderschauspielern in Boston geboren, machte sich der Vater kein Jahr später aus dem Staub. Die Mutter starb nach quälender Krankheit an Schwindsucht, als Edgar zwei ist. Der kleine Junge kam in eine Pflegefamilie.
Nach anfänglicher Zuwendung ließ der Vater ihn fallen und enterbte ihn später. Poe verwand das nie. 1824 starb seine erste große Liebe nach einem Hirntumor in geistiger Umnachtung. Auch seine geliebte Stiefmutter und sein Bruder starben.
„Literaturdiktator und gefallener Engel“
„Der Tod einer schönen Frau ist wahrlich das poetischste Thema der Welt“, schrieb Poe später einmal. Sein anrührendes Gedicht „Annabel Lee“ (1849) ist ein wunderbarer Beleg dafür. Doch für ihn selbst wurde die Suche nach Liebe und Anerkennung die größte Herausforderung. 1836 heiratete er seine13-jährige Cousine Virginia. Mit ihr und der ihm nah verbundenen Schwiegermutter „Muddy“ hatte er erstmals eine richtige Familie.
Doch meist lebten sie in bitterer Armut. Immer wieder bekam er in unterschiedlichen Städten vielversprechende Anstellungen bei Zeitschriften, warf aber bald wieder hin. Er trank, stürzte ab, versank in tiefe Depressionen. „Sein ganzes Leben mutet wie ein permanenter Wechsel zwischen zwei Rollen an: der des gottgleichen Literaturdiktators und der des gefallenen Engels“, schreibt der Anglist Hans-Dieter Gelfert in seiner Biografie „Edgar Allan Poe“ (2008).
Philadelphia und „Der Rabe“
Neben Aufenthalten in Baltimore und Fordham (dem heutigen New Yorker Stadtteil Bronx) verbrachte der Autor sechs Jahre seines Lebens in Philadelphia. Hier traf er sich mit Autorenkollegen wie Charles Dickens und korrespondierte mit Schriftstellern und Lyrikern wie Henry Wadsworth Longfellow und James Russell Lowell.
In Philadelphia erschien auch die Kurzgeschichte „Der Untergang des Hauses Usher“, in der die verstorbene Madeline aus dem Grab aufersteht, bevor ihr früheres Wohnhaus unter Flammen einstürzt. Auch ein Großteil seines Gedichts „The Raven“ , sein berühmtestes Werk, schrieb er in hier.
Mit diesem Gedicht verbuchte Poe 1845 seinen größten literarischen Erfolg. Doch inzwischen war seine Frau krank. Zwei Jahre später starb sie, ebenfalls an Schwindsucht. Es folgten Abstürze, Krankheit, ein Selbstmordversuch und neue Hoffnungen auf Frauen.
Aber Edgar Allan Poe hatte seine Kraft verbraucht. Am 7. Oktober 1849 tat er sein letzten Atmezug in einem Krankenhaus in Baltimore. Nach einem dreitägigen Delirium wachte er noch einmal kurz auf und flüsterte: „Gott helfe meiner armen Seele.“
Info: Edgar Allan Poe - einige seiner berühmtesten Werke
„Tamerlane and other Poems“
(Tamerlane und andere Gedichte), 1827: Der Gedichtband ist Poes erstes Buch. Er gibt es im Selbstverlag und anonym heraus. Als Autor wird lediglich angegeben: „Von einem Bostoner (by a Bostonian)“.
„The Narrative of Arthur Gordon Pym of Nantucket“
(Seltsame Seeabenteuer Arthur Gordon Pyms), 1838, deutsch 1883: Poes umfangreichstes Werk wird heute als Vorläufer der Science-Fiction- Literatur gefeiert. Geschilderte übernatürliche Phänomene geben der Novelle einen pseudo-wissenschaftlichen Anstrich.
„The Conchyologist’s first book, or a system of testaceous malacology“
(1839): Das Schulbuch über Schnecken war Poes zu Lebzeiten erfolgreichstes Buch. Er war allerdings nicht der Verfasser, sondern schrieb nur das gut bezahlte Vorwort, weil sich der Verlag von seinem Namen höhere Verkaufszahlen versprach.
„The Fall of the House of Usher“
(Der Untergang des Hauses Usher), 1839, deutsch 1883: Die Erzählung erschien im „Gentlemen’s Magazine“ in Philadelphia, bei dem Poe zeitweise als Redakteur arbeitete. Schilderungen über lebendig Begrabene und andere unheimliche Erfahrungen begründeten Poes bis heute anhaltenden Ruf als Horrorautor.
„The Murders in the Rue Morgue“
(Der Doppelmord in der Rue Morgue), 1841, deutsch 1853: Poe galt nach diesem Buch als «Erfinder» des Krimis. Für die Erzählung kreierte er den kühl kombinierenden Pariser Detektiv Dupin, der noch in zwei weiteren Kurzgeschichten ermitteln sollte.
„The Black Cat“
(Die Schwarze Katze), 1843, deutsch 1883: Die Erzählung ist ein Beispiel für seine unheimlichen Schauergeschichten, in denen psychisch auffällige Menschen hilflos in ihr Verderben laufen.
„The Raven and other Poems“
(Der Rabe und andere Gedichte), 1845, deutsch 1909: Die viel übersetzte Ballade gilt als Poes lyrisches Meisterwerk. Das zentrale Motiv ist der Verlust der Geliebten, der in stürmischer Winternacht nachgetrauert wird.
The Philosophy of Composition“
(D„(Die Philosophie dichterischen Schaffens), 1846: Der scharfsinnige Essay ist als Beginn der modernen Literaturtheorie anzusehen. In weiteren literaturkritischen Arbeiten entwirft Poe das Konzept der modernen Kurzgeschichte.