Verhütung für Männer Ersetzt der Hodenring die Pille für den Mann?

63 Prozent der Männer wären bereit, die Pille zu nehmen – es gibt bloß keine. Foto: Unsplash/We Vibe Toys

Ein Gel könnte bald die Verhütung für Männer revolutionieren. Aber weil die Entwicklung lange dauert, experimentieren manche längst mit Ringen und Verhütungsunterhosen – durchaus mit Erfolg.

Psychologie/Partnerschaft: Florian Gann (fga)

Die Suche nach einem weiteren Verhütungsmittel für Männer hat in den vergangenen Jahren erstaunliche Erfindungen hervorgebracht: Ein Hodenring aus Silikon etwa, der die Hoden in den Leistenkanal schiebt – das führt zu höherer Temperatur und soll die Spermien unfruchtbar machen. Ähnlich funktionieren Verhütungsunterhosen. Es gibt den Sperm-Switch, der in den Samenleiter eingesetzt wird und ermöglicht, die Samenzufuhr per Schalter zu unterbrechen. Coso, eine Art Hoden-Badewanne, soll durch ein paar Minuten Erwärmung jeden Tag die Spermien unfruchtbar machen. Es gibt Gels für die Haut und Flüssigkeiten, die in den Samenleiter injiziert werden sollten.

 

Eins ist ihnen allen aber gemein: Sie sind nicht zugelassen, etwaige Nebenwirkungen nicht vollständig bekannt. Es gibt zwar seit Jahren Schlagzeilen, dass die Pille für den Mann vor dem Durchbruch stehe. Meist geht es um Substanzen, die in frühen Versuchsstadien vielversprechende Ergebnisse liefern. Die Hoffnungen haben sich bisher nie erfüllt: 63 Jahre, nachdem die Pille für die Frau auf den Markt kam, gibt es nichts vergleichbares für Männer.

Ein Gel ist der große Hoffnungsträger

Aber Michael Zitzmann macht sich Hoffnungen, dass sich das in absehbarer Zeit ändern könnte. Gerade kommt der Oberarzt für Andrologie am Uniklinikum Münster von Kongressen in den USA rund um das Thema zurück. Es gebe derzeit mehrere aussichtsreiche Ansätze und man sei sich einig, nicht nur auf ein Mittel setzen zu wollen. „Es muss mehrgleisig sein, sodass Männern viel angeboten werden kann“, sagt Zitzmann.

Der vielversprechendste Ansatz sei derzeit das Gel Nes/T, das die Hormone Nestoron und Testosteron enthält, sagt Zitzmann. Die Anwendung funktioniert so: Das Gel wird auf die Schultern aufgetragen, die Hormone werden über die Haut aufgenommen. Das Nestoron wirkt auf die Hirnanhangdrüse und sorgt dafür, dass keine Spermien mehr hergestellt werden. Nestoron ist ein Gestagen – und Gestagene sind auch in den Pillen für die Frau vorhanden und würden dort immer wieder für Nebenwirkungen wie Libidoschwankungen, Gewichtszunahme, Nachtschweiß sorgen, sagt Zitzmann. Mit Nestoron scheint man ein Gestagen gefunden zu haben, das diese Nebenwirkungen nicht hat, sagt Zitzmann.

Ein Mittel, dass man nur vorm Sex nehmen müsste

Ein zweiter Ansatz geht auf das hormonfreie Mittel mit dem Namen YCT529 zurück. Im März 2022 tauchte es in zahlreichen Schlagzeilen auf, obwohl es damals nur an Mäusen getestet wurde. Derzeit läuft eine Phase-I-Studie an Menschen. Zitzmann ist aber skeptisch. Der Wirkstoff soll selektiv die Vitamin-A-Wirkung hemmen, die für die Spermienbildung wichtig ist. „Die Frage ist, ob das wirklich so selektiv funktioniert. Wir brauchen Vitamin A für unser Sehen, für die Gehirnentwicklung, für die Schleimhaut“, sagt Zitzmann.

Mehr hält der Androloge von einem dritten, ebenfalls hormonfreien Ansatz. Bei diesem wird der Ionenkanal SLO3 in den Spermien gehemmt, was etwa dazu führt, dass sie nicht mehr schwimmen können. „Das ist on demand, man müsste das nur an dem Tag nehmen, an dem man weiß, heute könnte etwas passieren“, sagt Zitzmann. Aber Spermien könnten im Körper der Frau zwei, drei Tage überleben. Die Frage sei derzeit, ob die Wirkung nicht irgendwann nachlasse und die Spermien wieder schwimmen könnten, sagt Zitzmann. Dann müsste es die Frau einnehmen, um die Wirkung aufrecht zu erhalten.

Wann könnte das alles marktreif sein? „Ich bin vorsichtig, ich habe ja schon öfter gesagt, in fünf Jahren ist es soweit. Das Gel könnte in dieser Zeit zugelassen sein. Die anderen Ansätze brauchen noch mindestens zehn Jahre“, sagt Zitzmann.

Nebenwirkungen werden bei Männern anders bewertet

Dass bisher keine Verhütungsmittel zugelassen wurden, liege auch daran, dass Nebenwirkungen bei Männern anders bewertet würden, sagt Fabian Hennig, der für seine Promotion in Geschichte und Gegenwart der Zeugungsverhütungsmittelentwicklung arbeitet. Bei Frauen verhindert die Pille eine Schwangerschaft. Die Nebenwirkungen der Pille dürfen – vereinfacht gesagt – nicht größer sein als die Risiken von Schwangerschaft und Geburt. Logischer wäre aber, bei der Zulassung das Risiko eines Paares gemeinsam zu betrachten. „Sonst wird es schwer mit der Zulassung einer Pille für den Mann, sie dürfte ja gar keine Nebenwirkungen haben“, sagt Hennig.

Männer sind eigentlich bereit, Verantwortung für die Verhütung zu übernehmen. 63 Prozent der Männer in Deutschland würden es laut einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts YouGov befürworten, wenn sie mit einer Pille verhüten könnten. Es hat sich sogar eine Bewegung entwickelt, die sich ihre eigenen Verhütungsmethoden zusammenbastelt: Das „Emanzipatorische Verhütungskollektiv“ in Leipzig etwa, Thomas Bouloù in Frankreich, die mit den erwähnten Verhütungsunterhosen oder Hodenringen experimentieren. „Das Wissen, wie man verhütet, zirkuliert krass im Netz“, sagt Fabian Hennig. Die Expertise sei nicht nur auf Ärzte und Wissenschaftler verteilt – eine Demokratisierung.

In fünf Jahren könnte es soweit sein

Könnte eine der thermischen Methoden, die Hodenringe und Verhütungsunterhosen, das Rennen machen? „Das sind alles Methoden, die auch ernstgenommen werden“, sagt Mediziner Michael Zitzmann. „Aber man müsste das auf Folgewirkungen untersuchen.“ Das heißt: Könnte durch die Wärme Hodenkrebs entstehen, werden die Spermien dauerhaft geschädigt, solche Fragen. Und das würde – mehr oder weniger – gleich lang dauern wie die Zulassung der medizinischen Präparate.

Fabian Hennig betrachtet die Vielfalt bei den Entwicklungen positiv. Auch weil es nicht die eine Lösung geben werde, die für alle Männer passt. Auch Michael Zitzmann sieht derzeit ein Interesse bei Regierungen und Organisationen an einer Pille für den Mann, das stimmt ihn positiv.

Als eine Verhütungsspritze vor dem Durchbruch stand

WHO-Studie
 Anfang der 2010er-Jahre sah es so aus, als könnte eine Verhütungsspritze auf den Markt kommen. Michael Zitzmann vom Uniklinikum Münster leitete damals eine Studie an 400 Probanden. Die Verhütung klappte, aber ein Zehntel der Probanden klagte über Depressionen, verringerte Libido oder nahm zu.

Marktpotenzial
 Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wurde die Pille für die Frau im Vorjahr erstmals vom Kondom als häufigstes Verhütungsmittel (38 vs. 53 Prozent) abgelöst. Prognosen sehen trotzdem ein großes Geschäftspotenzial in einer Pille für den Mann.

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