Verwaltungsgerichtshof urteilt Streit um Corona-Soforthilfen: Beifall im Friseursalon

In fünf von sechs Musterverfahren hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zugunsten der Hilfeempfänger entschieden. Foto: dpa/Arne Dedert

Im Streit um die Corona-Soforthilfe hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg wohl einen Schlusspunkt gesetzt: In fünf von sechs Musterverfahren unterliegt die Landeskreditbank.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Das Land Baden-Württemberg – konkret die Landeskreditbank – hat eine empfindliche Niederlage im Dauerstreit um die Corona-Soforthilfe hinnehmen müssen. In fünf von sechs Musterverfahren hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg zugunsten der Hilfeempfänger entschieden. Die Mannheimer Urteile betreffen Tausende Soloselbstständige, kleine Unternehmen und Angehörige freier Berufe.

 

In vier Fällen wurden die Widerrufs- und Erstattungsbescheide der L-Bank für rechtswidrig erklärt und die Berufungen der Bank gegen die erstinstanzlichen Urteile – unter anderem in Stuttgart – zurückgewiesen. Ferner setzte sich ein Winzer erfolgreich gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg zur Wehr. In lediglich einem Fall hat die Rückforderung der L-Bank Bestand – da ging ein Fahrschulbetreiber vergeblich gegen eine Karlsruher Entscheidung in Berufung.

„Die Kunden im Salon haben geklatscht“

Zu den Gewinnern gehört Holger Schier, Mit-Geschäftsführer des Heidenheimer City-Friseurs, der für das Musterverfahren ausgewählt worden war. Erreicht hat ihn die Nachricht beim Haareschneiden. „Als ich gesagt habe ,Gewonnen!’, haben die Kunden im Salon geklatscht“, schildert er. „Das ist für uns eine große Erleichterung.“ Er muss die verlangten 10 424 Euro nicht zurückzahlen.

Der Heidenheimer Friseur Holger Schier in seinem Salon mit dem Rückforderungsbescheid der L-Bank – der ist nun hinfällig. Foto: dpa/Jason Tschepljakow

Das Urteil sei „einfach nur verdient“, sagt Schier. „Ich habe mich schon im Vorfeld gefragt, warum die L-Bank in Berufung gegangen ist, weil die Urteilsbegründungen der ersten Instanzen eigentlich sehr klar waren.“ Jetzt zeigt er sich „mindestens verärgert“ insbesondere über die Wirtschaftsministerin, „die das zu verantworten hat“. Denn der Steuerzahler müsse für die Kosten der „unsäglichen Verfahren“ aufkommen. „Das Thema trägt zur Politikverdrossenheit bei.“

Es wäre für ihn völlig unverständlich, wenn das Land weitermachen würde – während er sich für die Bundesebene vorstellen kann, „dass wir da noch was erleben werden“, so Schier mit Blick auf unterschiedliche Ausgänge und Handhabungen in mehreren Ländern. „Es ist ein Tohuwabohu vor dem Herrn“, kritisiert der Friseur. „Die Ungleichbehandlung schreit zum Himmel.“

Fachverband fordert Gleichbehandlung aller Betriebe

Eine ganze Branche schaut auf dieses Urteil. Deren Spitzenvertreter im Land, Dirk Reisacher, sagte unserer Zeitung: „Wir warten erst mal ab, wie die Urteilsbegründung aussieht und wie sich die Landesregierung positioniert – wenn es hier zu Verfahrensfehlern gekommen ist, möchten wir eine Gleichbehandlung aller davon betroffenen Friseurbetriebe“, fordert der Vorsitzende des Fachverbands Friseure und Kosmetik in Baden-Württemberg. „Es wäre unbefriedigend, wenn die Betriebe im Land, die nicht den Klageweg beschritten haben, nicht entlastet werden.“

Kritik von der Landtagsopposition

Massive Kritik am Wirtschaftsministerium übt auch die Landtags-Opposition: „Die Urteile sind ein Armutszeugnis für das Wirtschaftsministerium“, rügte Erik Schweickert (FDP). „Einmal mehr wird richterlich festgestellt, dass bei den Corona-Soforthilfen schlechte Arbeit gemacht wurde.“ Die Urteile seien die „Quittung“ für das „Missmanagement der Landesregierung“, betonte Boris Weirauch (SPD). Die Ministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) stehe in der Verantwortung, „die richtigen Schlüsse zu ziehen und Unternehmen nicht weiter rechtswidrig zu Rückzahlungen aufzufordern“.

Das Datum der Verordnung ist von Belang

Im Zentrum der Verfahren standen insbesondere zwei Verordnungen des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg: eine Richtlinie vom 22. März 2020 für ein reines Landeshilfsprogramm – sowie eine Verwaltungsvorschrift vom 8. April 2020, nachdem Bund und Land ein gemeinsames Programm für Überbrückungshilfen initiiert hatten. Entscheidend dabei: die Ausführungen waren unterschiedlich formuliert. Vier der Klagen – des Friseurs, eines Lauchheimer Hotel-Restaurantbetreibers, eines IT-Dienstleisters sowie eines Herstellers und Vertriebs von Pflegeprodukten – basierten auf Anträgen vor dem 8. April.

Land hat im Verlauf der Bewilligungen die Regelungen geändert

Die L-Bank ist der Auffassung, dass die Bewilligungsbescheide deutlich auf einen „Liquiditätsengpass“ – im Nachgang über einen Zeitraum von drei Monaten betrachtet – abgezielt habe. Allein Umsatzeinbußen hätten zur zweckgemäßen Verwendung nicht ausgereicht. Das Gericht befand: In den Bescheiden mit Bezug auf die Richtlinie vom 22. März sei nicht ausreichend erkennbar gewesen, dass später eine Gesamtberechnung von Einnahmen und Ausgaben in diesem Zeitraum vorzunehmen sei.

In den erneuerten Fassungen der Bescheide mit Bezug auf die Verwaltungsvorschrift vom 8. April sei der Verwendungszweck dagegen ausreichend klar bestimmt gewesen, so das Gericht. Dies betraf zwei der sechs Musterverfahren. Der Winzer konnte durch erstmals dem VGH vorgelegte Unterlagen nachweisen, dass er einen Liquiditätsengpass im Sinne der L-Bank hatte und so das erstinstanzliche Urteil umbiegen. Allein der Fahrschulinhaber blieb diesen Nachweis aus Sicht des 14. Senats schuldig.

Bei den Verwaltungsgerichten sind derzeit noch rund 1400 Klagen und bei der L-Bank rund 5500 Widerspruchsverfahren zu der geforderten Erstattung von Corona-Soforthilfen anhängig – sie wurden im Hinblick auf die Musterverfahren ruhend gestellt. Wie es da weitergeht, ist unklar.

Eine Revision gegen die sechs Urteile hat der VGH nicht zugelassen – dagegen kann sich die L-Bank noch mit einer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wenden. Ob es soweit kommt, ist jedoch unklar. Eine Einschätzung zu Konsequenzen der Entscheidungen könne „derzeit nicht abgegeben werden“, sagte ein L-Bank-Sprecher auf Anfrage. „Zunächst müssen wir die schriftlichen Entscheidungsgründe abwarten.“ Diese werden den Beteiligten erst von Mitte November an zugestellt.

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