Erzählt man die Geschichte des Marienplatzes, schreibt man über Zirkusleute, SA-Trupps, Drogensüchtige und Hipster-Eltern. Die Vergangenheit des Platzes im Stuttgarter Süden hält einige Überraschungen bereit.

Digital Desk: Anja Treiber (atr)

Stuttgart - Die Vergangenheit des Marienplatzes im Stuttgarter Süden ist wechselvoll. Erzählt man seine Geschichte, schreibt man über Zirkusleute, aufmarschierende SA-Trupps, Drogensüchtige und die Hipster-Eltern, die dort heute gerne in der Sonne sitzen und ihren Kaffee schlürfen.

 

Die Geschichte des Platzes zwischen Filderstraße und Tübinger Straße begann romantisch. 1876 wurde dort erstmals ein Park angelegt. Weil sich der spätere König Wilhelm II. kurz zuvor mit Prinzessin Marie von Waldeck-Pyrmont verlobt hatte, sollte der Platz ihren Namen tragen – und heißt von da an Marienplatz. 

Die Nationalsozialisten erheben Anspruch auf den Platz

Gekrönt wurde er einige Jahre später mit einem Zirkusgebäude, das Hofwerksmeister Albert Hangleiter gegen Ende des 19. Jahrhunderts dort errichten ließ. Es war beheizt und mit elektrischem Licht ausgestattet - und galt als die modernste Manege des Reiches. Etwa 3500 Menschen fanden darin Platz. Alle Zirkus-Gruppen, die Rang und Namen hatten, gastierten damals in Stuttgart. Heute ist von dem Zirkusgebäude nichts mehr erhalten, weil es bereits 1916 wieder abgerissen werden musste. Es genügte den damaligen Brandschutzstandards nicht mehr.

Bis in die 1930er Jahre hinein wurde die grüne Schmuckanlage mit Rasenflächen, Rosen- und Sommerblumenbeeten im Volksmund liebevoll das „Anlägle“ genannt - bis die Nationalsozialisten den Platz für sich beanspruchten und ihn als Aufmarschplatz missbrauchten. Ihren Anspruch manifestierten sie 1937, indem sie dem Platz einen neuen Namen gaben: „Platz der SA“ sollten die Bürger ihn nun nennen. Aber das war nur von kurzer Dauer. Gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das wieder rückgängig gemacht und die Stuttgarter hatten ihren Marienplatz wieder.

Das „Anlägle“ wird zum Treffpunkt für Junkies

Dann beginnt der Teil der Geschichte, der vielen noch in Erinnerung sein mag. „Die verstärkten Razzien und Streifen im Bezirk Mitte haben dazu geführt, dass sich die dort zum Teil verdrängte Drogenszene in den Süden verlagert hat – auf den Marienplatz, in die Grünanlagen bei der Paulinenbrücke und auf den Rupert-Mayer-Platz vor der Marienkirche“, schreibt die Stuttgarter Zeitung im September 1993. Das „Anlägle“ wird zum Treffpunkt für Junkies. Dass sich am Marienplatz etwas ändern musste, war Anwohnern wie Stadtplanern spätestens zu diesem Zeitpunkt klar.

Die „Arena des Südens“ gefällt nicht allen

Die Gestaltung des heutigen Marienplatzes geht auf die Planungen des Architekten Heinz Lermann von der Freien Planungsgruppe 7 zurück. Rund um den gelben Steinplatz führt seither eine hufeisenförmige Allee. Es gibt Wasserspiele, einen kleinen Bolzplatz und die große Freitreppe in Richtung Tübinger Straße. Ein runder Gastronomie-Pavillon soll an die Zirkusvergangenheit des Platzes erinnern.

Im Juli 2003 weihte der damalige Oberbürgermeister Wolfgang Schuster den umgestalteten Platz euphorisch ein: „So wie der Schlossplatz das Herz der Stadt ist, so ist der Marienplatz der gelbe Salon.“ Er spielte damit auf die gelben Betonsteine an, die den Platz pflastern. Auch als „Arena des Südens“ rühmen die Planer den Marienplatz gerne. Was die Architekten als urbanen Freiraum bezeichnen und die Planer an große Stadtplätze in südlichen Ländern erinnert, schimpfen viele Stuttgarter schlicht als „Beton-Wüste“.

Über die Jahre hinweg haben sich die Wogen geglättet und die Stuttgarter haben sich mit dem neuen Marienplatz angefreundet, auf dem seit kurzem einmal im Jahr das Marienplatzfest gefeiert wird. Wer an einem Wochenende über den Platz spaziert, sieht, wie die gelben Betonsteine mit Straßenkreide bemalt werden, Hipster-Eltern beisammen stehen und ihren Kindern beim Skaten zuschauen und Jugendliche sich auf die große Freitreppe fletzen.

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Die Geschichtswerkstatt „Von Zeit zu Zeit

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